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Keine Entlassung, kein Lohn

Von Karl Ettinger

Politik
Warnstreiks wie jene im Oktober 2011 im Wiener Opel-Werk werfen rechtliche Fragen auf.
© aoa/ProGe

Zu Streiks gibt es in Österreich keine Rechtsprechung, sondern "österreichische Lösungen".


Wien. Was ist mit dem Lohn bei einem Streik? Ist die Teilnahme am Streik ein Entlassungsgrund? Nach der Ankündigung der Gewerkschafter, dass es ab Montag in den Metalltechnischen Unternehmen zu Warnstreiks kommt, stellen sich zumindest für rund 130.000 Beschäftigte und rund 1200 Betriebe in diesem Sektor Fragen nach rechtlichen Aspekten der Arbeitsniederlegung.

In einem Punkt sind sich jedenfalls Fachleute grundsätzlich einig: Ein Streik kann in Österreich kein Grund für eine Entlassung sein. Das stellen die Arbeits- und Sozialrechtsexperten Franz Marhold von der Wiener Wirtschaftsuniversität und Martin Risak von der Universität Wien auf Anfrage der "Wiener Zeitung" übereinstimmend klar.

Das Gegenteil sei zwar in Österreich "lange die herrschende Ansicht" gewesen, erläutert Marhold. Er verweist wie auch Risak darauf, dass eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seit dem Jahr 2008 eine Wende gebracht hat. "Es gibt ein Recht auf Streik", erklärt der WU-Professor. Dieses sei abgeleitet vom Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich im Verfassungsrang steht.

Darin ist neben dem Schutz der Versammlungsfreiheit auch das Recht auf Vereinigungs- oder Koalitionsfreiheit - etwa für Gewerkschaften - gewährleistet. Daraus leite sich wiederum ein grundsätzliches, individuelles Recht auf Streikteilnahme ab. Ein Staat könne zwar seit 2014 per Gesetz unter besonderen Umständen dieses Recht auf Streik einschränken. In Österreich gibt es ein Recht zur Beschränkung allerdings nicht.

"Streik ist keine Verletzungdes Arbeitsvertrages"

Beide Experten betonen daher auch, dass damit eine Streikteilnahme für den Arbeitnehmer "keine Verletzung des Arbeitsvertrages" darstelle. "Es ist eine gerechtfertigte Abwesenheit vom Dienst", formuliert Arbeitsrechtler Risak. Umgekehrt räumt für Marhold die Europäische Menschenrechtskonvention den Arbeitgebern auch das Recht auf "Aussperrung" ein. Sie müssen auch "Streikbrecher", die arbeiten wollen, nicht ins Unternehmen lassen. Der WU-Experte weist freilich auch auf die speziell österreichischen Verhältnisse mit den mächtigen Gewerkschaften neben dem festgeschriebenen rechtlichen Schutz hin: "Die hören nicht zu streiken auf, bevor nicht alle Entlassungen rückgängig gemacht worden sind."

Was die Entlohnung betrifft, so ist rechtlich klar: Wer streikt, verliert den Anspruch auf eine Fortzahlung des Entgeltes. "Wenn man aktiv an Arbeitskampfmaßnahmen teilnimmt, dann kriegt man kein Geld", stellt Risak fest.

Viel schwieriger ist hingegen die Frage, was passiert, wenn ein Arbeitnehmer trotz des Streiks arbeiten will und ob er dann weiter Lohn ausbezahlt erhält. "Das ist heftig umstritten. Es gibt da auch keine Rechtsprechung dazu", erläutert Marhold. Fest steht jedenfalls, es kann kein Beschäftigter zur Teilnahme an einem Streik gezwungen werden.

Fix ist außerdem rein rechtlich: Ein Arbeitnehmer, der nicht an einem Streik teilnimmt, muss eindeutig und unmissverständlich nachweisen, dass er arbeitswillig ist. Ob er dann tatsächlich seinen Lohn weiter erhält, ist dennoch umstritten.

Nach Ansicht von Fachleuten, hat ein solcher "Streikbrecher" dann auch Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung. Für Arbeitsrechtler Risak ist das hingegen höchst unklar: "Wir haben das noch nie ausgestritten." Mit Hinweis auf juristische Literatur verweist er aber auf die Meinung: "Wenn ich von einem Streik profitiere, dann muss ich auch das Risiko tragen." Das hieße, kein Lohn.

Marhold führt auch die Möglichkeit an, dass nach deutscher Rechtsprechung Arbeitgeber Arbeitswilligen auch die Arbeit verweigern können. Die Arbeitsleistung muss dabei ausdrücklich abgelehnt werden. Das sei für Firmen etwa möglich, um zu verhindern, dass schon eine ganz geringe Zahl an Streikenden die Produktion praktisch lahmlegen kann. Denn der Betrieb müsste dann für den Großteil der Belegschaft, die nicht wirklich einsetzbar ist, den Lohn zahlen.

Für Gewerkschaftsmitglieder ist in Österreich zumindest vorgesehen, dass sie aus dem geheimnisumwitterten ÖGB-Streikfonds Unterstützungszahlungen für die Streiktage erhalten.

Nachträgliche Auszahlung als Teil der späteren Einigung

Allerdings hat es in der Vergangenheit bei Streiks eine typisch österreichische Lösung gegeben: Bei der Einigung nach den Arbeitsniederlegungen wurde in einer Nebenabsprache vereinbart, dass die Dienstgeber auch die Löhne für die Streiktage im Nachhinein auszahlen. Das ist auch bei den nun ab Montag angekündigten Arbeitsniederlegungen wieder eines der erklärten Streikziele, wie der "Wiener Zeitung" von Gewerkschaftsseite erklärt wurde. Die Lohnauszahlung soll somit Teil des neuen Abschlusses unter den Sozialpartnern werden. Damit würden rechtliche Fragen zu Streiks wieder nicht vor Gericht landen. Das hat in Österreich Tradition: Laut Marhold hat es in Österreich in der Zweiten Republik nämlich keine Fälle dazu gegeben.