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Das niederösterreichische Vorbild

Von Peter K. Wagner

Politik

Das niederösterreichische Mindestsicherungsgesetz von 2017 hat Vorbildcharakter für die Bundesebene.


St. Pölten. Zwei Tage lang war Mauerbach das Zentrum der österreichischen Politik. Ende Mai dieses Jahres, als sich die Bundesregierung in der beschaulichen niederösterreichischen Marktgemeinde mit ihren etwas mehr als 3600 Einwohnern zur Regierungsklausur traf. Zum Abschluss der Tagung stand dabei ein Thema auf der Tagesordnung, das besonders gut in Niederösterreich besprochen werden kann: die Mindestsicherung.

Immerhin gilt die Novelle zum niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz, die per 1. Jänner 2017 in Kraft trat, als eine Art Vorbild für die anstehenden Reformen auf Bundesebene. Niederösterreich war damals das erste Bundesland, das die Bezüge kürzte, Oberösterreich folgte kurze Zeit später. Nicht umsonst sprach Klaus Schneeberger, der Klubobmann der niederösterreichischen Volkspartei, direkt nach der Regierungsklausur im Mai: "Wir sind in Niederösterreich vorangegangen und haben eine Regelung der Mindestsicherung geschaffen, die sichergestellt hat, dass es einen Anreiz gibt, um wieder aktiv am Erwerbsleben teilzunehmen."

Was Schneeberger aussparte, waren zwei entscheidende Punkte der niederösterreichischen Novelle, die bereits nach 14 Monaten wieder ihre Gültigkeit verloren. Denn sowohl die Deckelung von 1500 Euro pro Haushalts- und Wohngemeinschaft sowie eine an Auflagen geknüpfte Wartefrist für Menschen, die sich innerhalb der vergangenen sechs Jahre weniger als fünf Jahre in Österreich aufgehalten hatten, wurde vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) im März 2018 gekippt. Deckelung und Wartefrist seien gleichheitswidrig.

Nur jeder Siebente istein Asylberechtigter

Im türkis-blauen Regierungsprogramm, das vor dem Spruch des VfGH entstand, fanden sich sowohl Deckelung als auch Wartefrist in der niederösterreichischen Variante. Bei der Regierungsklausur im Mai war von einer Deckelung keine Rede mehr. Dafür wurden vergangenes Wochenende erste Ergebnisse einer Wifo-Studie bekannt, die auf die Auswirkungen eines weiteren Punkts des Regierungsprogramms Bezug nehmen: Die Abschaffung der Notstandshilfe, die in einem "Arbeitslosengeld Neu" integriert werden soll.

Ein österreichweites Szenario besagt, dass im Falle der Abschaffung der Notstandshilfe insgesamt 121.000 Arbeitslose keine Leistungen mehr erhalten würden. 37.000 Menschen davon sollen behinderte Arbeitslose sein, 6000 Jugendliche und 61.000 Personen mit Pflichtschulabschluss.

Ob neue Gesetze bei der Mindestsicherung oder beim Arbeitslosengeld - es geht darum, einzusparen und weniger auszuzahlen. Die Gesetzespraxis in Niederösterreich zwischen Jänner 2017 und März 2018 könnte zeigen, welche Veränderungen Österreich mit neuen Regelungen erwarten. Und die könnten weit weg davon sein, lediglich Menschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen, denen es an Arbeitswillen fehlen soll, zu treffen.

Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der Armutskonferenz, sieht die Entwicklung kritisch. "Die Mindestsicherung ist das unterste soziale Netz für jene, die ein zu geringes oder gar kein Einkommen haben." Es sei nie so gedacht gewesen, dass die Mindestsicherung nur denen zustehe, die etwas eingezahlt haben. Die Gerechtigkeit für jene, die schon länger im Land sind, würde sich durch die geplante Novelle auch nicht einstellen. "Zahlen des Sozialamtes der Landesregierung zeigten, dass nur jeder siebente von der Deckelung betroffene Mindestsicherungsbezieher ein Asylberechtigter ist", sagt Schenk. "Seit eineinhalb Jahren heißt es, es wird nur bei den Ausländern gestrichen - im Endeffekt trifft es stets alle."

Was Kürzungen im Sozialbereich für die Menschen in Niederösterreich bedeuten, unterstreicht Barbara Bühler, Obfrau des niederösterreichischen Armutsnetzwerks und selbst Sozialarbeiterin. Besonders in einem Bereich seien zusätzliche Probleme entstanden. "Durch die Kürzungen und die steigenden Mietkosten wurde die Wohnungsnot noch akuter." Leute würden immer öfter in desolaten Wohnungen unterkommen, würden vielerorts keine aufrechten Mietverträge mehr bekommen. "Das Schlimmste, das ich gehört habe, war eine Matratzenvermietung. So wie früher bei den Tagschläfern." Das Leben sei mit diesen Beträgen nicht mehr möglich. Auch seien in Niederösterreich etwa ein Drittel der betroffenen Mindestsicherungsbezieher Kinder. Bei einer etwaigen Auflösung der Notstandshilfe würde es vor allem ältere Menschen treffen.

"Dann stehen die Leute aufder Straße, das geht nicht"

Waidhofen an der Thaya liegt im strukturschwachen Waldviertel. Der dortige Bürgermeister, Robert Altschach möchte zunächst einmal festhalten, dass die Mindestsicherung zur Hälfte von den Gemeinden finanziert wird. "Das wissen die Wenigsten", sagt er. In Waidhofen an der Thaya seien es wenige, "im Null-Komma-Prozent-Bereich". Altschach habe nur eine Person in seiner Gemeinde, die mit der gekürzten Mindestsicherung nicht mehr ausgekommen sei und von der Bezirkshauptmannschaft in eine billigere Wohnung in einer anderen Gemeinde verwiesen wurde. Jener Person sei aber bei der Wohnungssuche und beim Übersiedeln geholfen worden. "Dass das nicht lustig ist, darüber brauchen wir nicht reden", sagt Altschach. "Aber er kommt jetzt aus."

Man sei in der Gesellschaft immer sehr vorschnell mit dem Urteil, dass Leute das System missbrauchen, sagt Altschach. Der genannte Fall war 54 Jahre alt und geistig nicht mehr so weit, um arbeiten zu können. Dadurch sei er auch nicht mehr so mobil - noch dazu wohnt er entlegen am Land, mit beschränkter öffentlicher Anbindung. "Da brauchst du für alles ein Auto, das wird mit der Mindestsicherung alleine schwierig." All diese Schwierigkeiten würden zu wenig berücksichtigt.

Die Notstandshilfe sieht der Bürgermeister kritisch. Arbeitslose, die vorher gut verdient haben, würden aus diesem Topf manchmal mehr Geld beziehen als so mancher, der 40 Stunden arbeitet. Das führe dazu, dass Betroffene lieber Notstandshilfe beziehen würden als arbeiten zu gehen.

Dass der Staat auf das Vermögen Arbeitsloser zugreifen wird, wenn die Notstandshilfe wegfalle und sie in die Mindestsicherung rutschen, glaubt Altschach nicht. "Wenn Niederösterreich Eigentum fördert, dann kann der Staat nicht herkommen und das kleine Häuschen wegnehmen", sagt er. "Dann stehen die Leute auf der Straße und ohne Auto finden sie am Land keinen Job, das geht nicht."

Gottfried Waldhäusl von den Freiheitlichen ist der zuständige niederösterreichische Landesrat für die Mindestsicherung. "Eine Streichung der Notstandshilfe
wäre verrückt. Das werde ich nicht unterstützen. Diese Diskussion gab es einmal, wurde aber eher von der ÖVP unterstützt", sagt er.

Das niederösterreichische Mindestsicherungsgesetz sei ein gutes gewesen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Deckelung aufgehoben wurde. "Es gibt nach wie vor Bedarfsgemeinschaften, die bis zu 5000 Euro im Monat beziehen. Das versteht kein Mensch." Zu den Plänen auf Bundesebene meint er: "Wir wissen, dass wir Deckelung nicht haben dürfen, gleichzeitig wissen wir aber auch, dass wir dort ansetzen müssen, wenn wir einsparen möchten."

16.000 Bezieher in Niederösterreich

Auch ein Spielraum für Länder müsse gegeben sein, da allein die Wohnkosten sehr unterschiedlich seien, sagt Waldhäusl. Dass es viele Österreicher und nicht nur Migranten treffe, weiß er. "Wir unterscheiden hier nicht. Die Mindestsicherung ist geschaffen worden, um Personen relativ schnell in den Arbeitsmarkt zu bringen. Egal, ob Asylberechtigte oder jemanden, der im reiferen Alter seine Arbeit verloren hat." Auch wenn er zu bedenken gibt: "Es muss natürlich weiterhin ein Auffangnetz geben, wenn etwa der Betrieb eines 50-Jährigen zusperrt und er seinen Job verliert. Diese Leute haben es schwer genug."

Aktuell beziehen in Niederösterreich etwa 16.000 Menschen die Mindestsicherung. "Davon sind knapp 6000 Asylberechtigte", sagt Waldhäusl. Zahlen, die die Fachabteilung Soziales der Landesregierung bestätigt.