Zum Hauptinhalt springen

Namenspflicht gegen Hass im Netz

Von Marina Delcheva

Politik
© adobe stock/leremy

Regierung will Anonymität auf Online-Plattformen unterbinden. Kritiker sehen das Problem damit nicht gelöst.


Wien. Künftig sollen sich Internetuser auf Online-Plattformen nicht mehr ganz anonym bewegen dürfen. Darauf hat sich die Bundesregierung am Dienstag im Rahmen eines Gipfels im Bundeskanzleramt verständigt. Unter dem Schlagwort "digitales Vermummungsverbot" sollen sich Internetuser künftig mit Klarnamen (tatsächlicher Name einer natürlichen Person) ausweisen müssen. Das Ziel sei, Verfasser von Hassbotschaften einfacher und schneller zur Rechenschaft zu ziehen. Der Vorschlag wird heute im Ministerrat behandelt.

"Auf der Straße ist auch niemand mit Namensschild unterwegs, aber wenn die Polizei ermittelt, muss er sich auch ausweisen können", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Rahmen einer Pressekonferenz. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) meinte, es brauche "bessere Möglichkeiten, Täter rascher zur Verantwortung zu ziehen". Ob Klarnamen tatsächlich die Vielzahl an Hassbotschaften im Netz reduzieren, bezweifeln aber manche Experten.

Hass ist oft nicht anonymisiert

Das anonyme Posten soll weiterhin möglich sein. Plattformen sollen aber die Pseudonyme mit der echten Identität der User hinterlegen. Die Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig, die am Gipfel im Kanzleramt teilgenommen hat, warnt vor einer Abschaffung der Anonymität im Netz für alle Bürger. "Ein großer Teil des Hasses kommt von Accounts mit echten Namen", sagt sie. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie der Universität Zürich aus dem Jahr 2016. Dabei wurden eine halbe Million Online-Kommentare analysiert. Die Forscher kommen zum Schluss, dass Hasskommentare unter Klarnamen sogar häufiger auftraten als anonyme Hasspostings. Außerdem würden Hasskommentatoren die Menschen in ihrem Netzwerk leichter und umfassender von ihren Ansichten überzeugen, wenn sie mit Klarnamen auftraten, weil die Botschaften dadurch authentischer wirkten.

Zu einem etwas anderen Schluss kommt eine Studie von Arthur D. Santana und der Universität Houston. Diese untersuchte das anonyme versus das nicht anonyme Posting-Verhalten in den Userforen von Medien. Das Ergebnis: Anonymität in den Foren fördert einen raueren Umgangston. Auch Brodnig räumt ein: "Anonymität ist ein Faktor, warum es im Netz so hart hergeht." Klarnamen dämpfen allerdings die Aktivität der Nutzer und den offenen Dialog in den Foren. Das wiederum stößt Medien- und Plattformbetreibern sauer auf, weil ein aktives, häufig besuchtes Forum auch für die Werbewirtschaft kostbarer ist.

Es sei aber eine überzogene Maßnahme, die Anonymität aller einzuschränken, meint Brodnig. Viele Bürger hätten ein legitimes Interesse an einem anonymen Diskurs, Beamte etwa, ohne dabei jemanden zu beleidigen. Sie führt ins Rennen, dass das hier geplante Modell, Pseudonyme auf Plattformen mit Klarnamen zu hinterlegen, schon in Südkorea angewandt wurde - und gescheitert ist. "Ich warne vor einer Einschränkung der Anonymität", sagt sie. Dort seien die Hassnachrichten nicht weniger geworden. Allerdings sei es zu einem Datenklau von Millionen hoch sensibler Bürgerdaten gekommen. Auch die ISPA - die Interessenvertretung der Internetprovider - warnt vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Vielfalt im Netz.

Kritik von Maurer

Kritik kam am Dienstag auch von der ehemaligen Grünen-Mandatarin Sigi Maurer. "Die Hassnachrichten im Craftbeer-Shop-Fall, in dem ich verurteilt wurde, kamen per Klarnamen. Gerade vorgestern habe ich wieder ein Hassmail und ein dickpic (ein Foto eines erigierten Penis) erhalten - alles unter Klarnamen, inklusive Handynummer und Adresse", schreibt sie in einer Stellungnahme auf Facebook. Zur Erinnerung: Maurer wurde erstinstanzlich zu einer Strafzahlung verurteilt, weil sie die anzüglichen und beleidigenden Nachrichten eines Bierhändlers veröffentlicht hatte.

Anstatt die Anonymität für alle Bürger einzuschränken, plädiert Brodnig für eine eigene Staatsanwaltschaft für Hass im Netz. Zudem bedarf das Strafrecht diesbezüglich einer Überarbeitung. "Eine Beleidigung ist nur vor Publikum strafbar, aber nicht, wenn sie privat verschickt wird", sagt sie.

Medienanwalt Peter Zöchbauer begrüßt die Regierungsinitiative. "Die Idee einer Klarnamenpflicht ist nur konsequent." Anders als das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gebe es kein Grundrecht auf Anonymität im Netz. "Jeder, der die digitale Bühne betritt, muss sich ausweisen können", meint er. Auch der Linzer Staatsanwalt Philip Christl meint, dass Klarnamen Ermittlungen erleichtern würden.

Beide geben aber zu bedenken, dass der Vollzug einer solchen Verordnung schwierig sei. Vor allem, weil viele Plattformen wie Wordpress oder Facebook ihre Server etwa in den USA haben und man diese kaum zwingen könne, eine Klarnamenpflicht umzusetzen.

Wie man Internetriesen rechtlich zur Klarnamenpflicht verpflichten will, ließ Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) offen. Alle Details wolle man sich nun im Rahmen einer Arbeitsgruppe ansehen. Wie oft es zu Verfahren und Verurteilungen wegen Hass kommt, ist unklar. "Wir können immer nur den Straftatbestand, also Beleidigung oder Drohung, erheben. Aber nicht, wo diese Taten stattgefunden haben (virtuell oder auf der Straße, Anm.)", sagt eine Sprecherin des Justizministeriums. Der Straftatbestand der Verhetzung allerdings, finde fast immer im Netz statt.