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Weniger Spielraum bei Mindestsicherung

Von Karl Ettinger

Politik

Der Europäische Gerichtshof hebt eine geringere Sozialleistung für Asylberechtigte in Oberösterreich auf.


Wien/Linz. Für die Bundesregierung gibt es im Endspurt für die bundesweite Reform der Mindestsicherung einen Warnschuss von EU-Seite. Eine geringere Sozialleistung für befristete Asylberechtigte verstößt gegen EU-Recht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Mittwoch eine entsprechende Bestimmung im schwarz-blau geführten Oberösterreich gekippt.

Für ÖVP und FPÖ hat das insofern Konsequenzen, weil es erklärtes Ziel der beiden Regierungsparteien ist, österreichweit einheitliche Vorgaben für Einschränkungen der Mindestsicherung für Ausländer und anerkannte Flüchtlinge zu schaffen. Mit der EuGH-Entscheidung wird der Spielraum für eine Lösung nochmals eingegrenzt.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hat für November den Gesetzesentwurf für die neue Mindestsicherung angekündigt. Noch wird innerhalb der Koalition allerdings verhandelt.

Am Reformplan hält die Regierung fest, wie der "Wiener Zeitung" versichert wurde. Allerdings wird der Gesetzesentwurf nachjustiert werden. Das ist eine Folge der gerichtlichen Entscheidung auf EU-Ebene. Im Sozialressort wurde erklärt, im Vorschlag der Regierungsparteien werde die Problematik des EuGH-Urteils "berücksichtigt". Nähere Details wollte man dazu nicht nennen. Es werde ein Entwurf vorgelegt, der verfassungs- und EU-rechtskonform sein werde, wurde betont.

Mehr Sachleistungenstatt Geldleistungen

Für die Regierung ist das EuGH-Urteil, mit dem eine geringere Mindestsicherung in Oberösterreich für befristete Asylberechtigte aufgehoben wurde, die zweite Einschränkung bei der Neugestaltung der Mindestsicherung. Schon im März hat der Verfassungsgerichtshof die Regeln in Niederösterreich gekippt, die einen 1500-Euro-Deckel für Großfamilien und eine Wartefrist (jemand muss innerhalb von sechs Jahren fünf Jahre in Österreich gelebt haben) aufgehoben.

Beide Erkenntnisse zeigen auf, was nicht zulässig ist. In der Regierung ist vorgesehen, statt auf Geld- verstärkt auf Sachleistungen zu setzen. Das würde vor allem auch die Unterbringung von Flüchtlingen betreffen.

"Das wäre ein möglicher Ausweg", meint Franz Marhold, Sozialrechtsexperte an der Wirtschaftsuniversität, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der EuGH habe nun zwar verboten, eine geringere Sozialhilfe für befristete Asylberechtigte zu zahlen: "Das sagt aber noch nicht, ob ich Sachleistungen anstelle der Geldleistungen gewähren darf." Das habe der EuGH seines Erachtens nicht entschieden. Es sei sogar die Frage, ob nicht die Sachleistung - etwa in Form einer Unterkunft - für Flüchtlinge ohnehin adäquater sei. Wichtig sei: "Die Werthaltigkeit der Leistung muss die Gleiche sein."

Die Regierung möchte abgesehen davon noch einen anderen Weg einschlagen: Die Mindestsicherung soll an Deutschkenntnisse geknüpft werden. Wer nicht ausreichend Deutsch kann, soll statt 863 Euro Mindestsicherung um 300 Euro weniger erhalten. Betroffen wären Ausländer und Asylberechtigte. "Das würde ich für europarechtskonform halten", analysiert Marhold. Allerdings müssten dann auch Deutschkurse zur Verfügung gestellt werden.

Wie Vorarlberg bei Flüchtlingen spart

Aus der in Niederösterreich aufgehobenen 1500-Euro-Deckelung der Mindestsicherung (ähnliche Fälle aus Oberösterreich und dem Burgenland liegen gerade beim Verfassungsgerichtshof) zieht die Koalition Konsequenzen. Statt einer fixen Obergrenze sinken in ihrem Modell die Kinderzuschläge ab dem zweiten Kind, womit Mehrkindfamilien letztlich weniger als bisher erhalten.

Die Regeln in Ober- und Niederösterreich waren ursprünglich Vorbild für die Bundesregierung. Das Vorarlberger Modell gilt seit längerem als Alternative. Dieses setzt stark auf die Trennung in eine Geldleistung für den Lebensunterhalt mit 645 Euro und einen flexiblen Ersatz für den Wohnbedarf mit maximal 503 Euro.

Gespart wird seit 2017 auch. Asylberechtigte und auch Einheimische in Wohngemeinschaften erhalten statt 630 Euro nur noch 473 Euro als Geldleistung. Die Wohnungskosten trägt das Land als Sachleistung. Flüchtlinge müssen außerdem eine Integrationsvereinbarung erfüllen, sonst drohen Kürzungen der Mindestsicherung bis zu 50 Prozent.

In Oberösterreich sind laut Soziallandesrätin Birgit Gerstdorfer (SPÖ) 590 von 12.914 Beziehern von Kürzungen der Mindestsicherung betroffen. Die seit Juli 2016 geltende und nun vom EuGH aufgehobene Regelung sah statt maximal 921 Euro monatlicher Mindestsicherung für Alleinstehende für befristete Asylberechtigte in Summe maximal 560 Euro vor, davon waren 165 Euro Integrationsbonus. Voraussetzung sind ein Deutschkurs und eine Werteschulung. Oberösterreichs ÖVP und FPÖ nahmen das EuGH-Urteil "zur Kenntnis", die FPÖ freilich mit Unverständnis.

SPÖ, Neos und NGOs sahen sich in ihrer Kritik an den Koalitionsplänen zur Mindestsicherung bestätigt. Die SPÖ befürchtet bei der Neuregelung die nächste "Husch-Pfusch"-Aktion. Die Neos forderten, die Koalition müsse "die grundsätzlichen Konstruktionsfehler" endlich angehen Die Diakonie erwartet eine Berücksichtigung des EuGH-Urteils.

Wissen: Details aus dem EuGH-Urteil

Auszüge aus dem EuGH-Urteil (C-713/17) zur Mindestsicherung in Oberösterreich:

1. Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die vorsieht, dass Flüchtlinge, denen in einem Mitgliedstaat ein befristetes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde, geringere Sozialhilfeleistungen erhalten als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats und als Flüchtlinge, denen dort ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde.

2. Ein Flüchtling kann sich vor den nationalen Gerichten auf die Unvereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 berufen, um die Beseitigung der in dieser Regelung enthaltenen Beschränkung seiner Rechte zu erreichen.

Konkret geht es um eine Klage des Flüchtlings Ahmad Shah Ayubi gegen die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land. Ayubi war am 30. September 2016 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Flüchtlingsstatus zugesprochen worden. Dabei wurde eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter gewährt. Mit einem am 10. April 2017 zugestellten Bescheid erkannte ihm die Bezirkshauptmannschaft eine Hilfe in Form monatlicher Geldleistungen, bestehend aus einer Basisleistung und einem vorläufigen Steigerungsbetrag, zu. Ayubi erhob im Juni 2017 Beschwerde gegen diesen Bescheid. Das Landesverwaltungsgericht setzte das Verfahren zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH aus.