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Einschnitte bei Kindern in der Mindestsicherung sind Zankapfel

Von Karl Ettinger und Martina Madner

Politik

Die Regierung verteidigt die Kürzung für Großfamilien durch Reform. Nur Langzeitbeschäftigten droht künftig keine Mindestsicherung.


Wien. Jetzt liegt die Reform der türkis-blauen Koalition für die Mindestsicherung, die ab 1. Oktober 2019 zum Tragen kommen soll, auf dem Tisch. Am Mittwoch stieß vor allem ein Punkt sofort auf Kritik karitativer Organisationen und der SPÖ. Es geht dabei um die von ÖVP und FPÖ geplante Kürzung der Mindestsicherung für Großfamilien, die damit Kinder betrifft. Insgesamt gab es im Vorjahr im Jahresschnitt für 81.334 Kinder Mindestsicherung.

Mit ihrem Grundsatzgesetz macht die Bundesregierung den Bundesländern bundesweit einheitliche Vorgaben zur Mindestsicherung. Darin ist auch eine Begrenzung für Familien mit Kindern verankert. Konkret ist eine Einschleifregelung vorgesehen: Für das erste Kind erhält man 215 Euro, für das zweite 129 Euro, ab dem dritten Kind aber nur mehr 43 Euro. Die Länder können auch noch niedrige Geldleistungen festlegen. Nach einem Rechenbeispiel der Koalition käme eine Familie mit vier Kindern künftig nur mehr auf 1640 Euro im Monat Mindestsicherung statt wie bisher auf 2227 Euro in Wien.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die Regierung verteidigten nach dem Ministerrat die Beschränkungen für Großfamilien. Bisher bedeute dies, dass ein Alleinverdiener mit Kindern mit 2500 Euro brutto und 1800 Euro netto nicht viel mehr Geld zur Verfügung habe als Mindestsicherungsbezieher.

Höhere Mindestsicherung als Lehrlingsentschädigung

Das sei "kein Arbeitsanreiz". Das gelte auch für 10.000 Asylberechtigte unter 25 Jahren, bei denen die Mindestsicherung höher als die Lehrlingsentschädigung sei.

Der Vergleich des Kanzlers greift allerdings insofern zu kurz, als es um Haushaltseinkommen geht: 50 Prozent der Familien mit drei und mehr Kindern hatten vergangenes Jahr laut Statistik Austria netto 52.649 Euro zur Verfügung. Das macht um eine Familienbeihilfe von monatlich rund 600 Euro bei vier Kindern reduziert 3787 Euro netto pro Monat - im Vergleich zu künftig 1684 Euro Mindestsicherung einer sechsköpfigen Familie.

"Die arbeitenden Menschen in Österreich dürfen nicht die Dummen sein", sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Der FPÖ-Chef versicherte wie Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ): "Wir nehmen das Problem der Kinderarmut ernst." Der Regierungsplan sieht daher für Alleinerziehende Zuschläge zur Mindestsicherung vor.

Ein Schwerpunkt der Reform ist, dass die volle Höhe der Mindestsicherung von 863 Euro im Monat für eine Einzelperson an ausreichende Deutschkenntnisse geknüpft wird. Sonst wird vorerst nur eine um 300 Euro niedrigere Geldleistung von 563 Euro ausgezahlt. Als Sachleistungen sollen von den Ländern Sprachkurse bereitgestellt werden. Das trifft Ausländer und Asylberechtigte, die 2017 die Hälfte der Bezieher der Mindestsicherung ausmachten.

Die Reform richte sich gegen "Integrationsunwillige" und jene, "die nicht arbeiten wollen", betonte Kurz: "In Summe ist es ein gerechteres System." Für Strache bringt die Neuregelung "Fairness für Österreicher": "Ziel muss es sein, mit diesen Maßnahmen die Zuwanderung ins Sozialsystem zu stoppen."

Der Zugriff auf Vermögen der Bezieher einer Mindestsicherung bleibt aufrecht - allerdings in etwas abgeschwächter Form. Ersparnisse müssen künftig bis auf 5200 Euro (statt bisher 4300 Euro) vor dem Bezug der Mindestsicherung aufgebraucht werden. Bei einer selbst genützten Eigentumswohnung erhält die Behörde erst nach einer Schonfrist von drei Jahren statt bisher sechs Monaten die Möglichkeit einer Sicherstellung im Grundbuch.

Strache meinte deswegen: "Ein voller Vermögenszugriff kommt nicht." Allerdings hatte sich die FPÖ in den Verhandlungen als Arbeitsanreiz für den Wegfall des Vermögenszugriffs bei "Aufstockern", die neben einem niedrigen Arbeitseinkommen Mindestsicherung erhalten, starkgemacht. Das scheiterte an der ÖVP und den Ländern.

Aufhorchen ließ die Regierungsspitze zur Reform des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe, die erst 2019 vorgenommen wird. Kurz und Strache versicherten, Langzeitarbeitslose würden nicht automatisch in die Mindestsicherung fallen - und damit auch auf ihr Vermögen zugegriffen. Das sei "Stimmungsmache" der SPÖ. Wer jahrelange eingezahlt habe und mit 40 seine Arbeit verliere, bleibe in Zukunft im Arbeitslosenmodell, betonte Kurz - ohne Vermögenszugriff. Wenn jahrelang eine Versicherungsleistung erarbeitet wurde, bleibe jemand im Versicherungssystem "und fällt nicht in die Mindestsicherung", sagte Strache.

Anders könnte das bei Personen sein, die nur "kurz" gearbeitet haben, wie Kurz und Strache erläuterten. Für diese wird überlegt, sie ins System der Mindestsicherung zu verlagern . Offen bleibt aber für die Verhandlungen 2019, bis zu welcher Arbeitsdauer es bei Arbeitslosengeld bleiben wird. Der genaue Gesetzestext zur Mindestsicherung wird erst im Laufe dieser Woche vorliegen, aber Verfassungsrechtler Theodor Öhlinger ortet schon jetzt rechtliche Bedenken: bei der Staffelung der Mindestsicherungsbeträge für Kinder, der unterschiedlichen Höhe nach Sprachkenntnissen und der Wartefrist von EU- und EWR-Bürgern.

Verfassungsexperte äußertin drei Punkten Bedenken

"Eine Staffelung nach Anzahl der Kinder vorzunehmen, ist zwar grundsätzlich nicht verfassungswidrig", sagt Öhlinger der "Wiener Zeitung". "Das, was die Regierung hier vorschlägt (43,15 Euro ab dem dritten Kind, Anm.), ist aber unverhältnismäßig radikal, und könnte aus diesem Grund verfassungswidrig sein."

Bei der Entscheidung der Regierung, nach Sprachkenntnissen zu differenzieren, kommt es offenbar darauf an, wie das genau gestaltet ist. Denn die Mindestsicherung sei dafür da, ein Mindestmaß an Leben zu ermöglichen: "Man braucht nicht weniger Geld, weil man weniger Deutsch kann. Vorab zu kürzen halte ich deshalb sachlich nicht für gerechtfertigt." Was rechtskonform aber möglich wäre, seien Sanktionen danach für jene, die sich weigern, Sprachkenntnisse zu erwerben.

Die Wartefrist für EU- und EWR-Bürger sei laut Öhlinger zwar nicht verfassungsrechtlich, "aber unionsrechtlich bedenklich. Ich glaube nicht, dass der Europäische Gerichtshof das akzeptiert".