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Migration am Theater

Von Petra Paterno

Politik
Interkulturelle Kampfzone: "Willkommen bei den Hartmanns".
© Reinhard Maximilian Werner

Die Politik lässt das Theater nie kalt: Neue Stücke an Wiens Bühnen kreisen um Migration und Integration.


Am Boden: Oliver Huether in "Erschlagt die Armen".
© A. Gotter

"Zeus, Flüchtlingshort, Schau gnädig herab auf uns!" In Aischylos’ Drama "Die Schutzflehenden" flehten Danaos 50 Töchter König Pelasgos um Aufnahme an. Rund 500 Jahre vor Christi Geburt, als Aischylos’ Text uraufgeführt wurde, löste die Bitte um Mitmenschlichkeit und Schutz Gewissenskonflikte aus, die das Theater bis heute bewegen. Migration ist auch Menschheitsgeschichte und spiegelt sich seit je auf Bühnen wider. 2015 flüchteten so viele Menschen wie seit Jahrzehnten nicht mehr nach Europa, laut UNHCR über 800.000 Schutzsuchende. Heftige politische Debatten waren die Folge. Wahlen und politische Personalentscheidungen bestimmten und bestimmen das Thema. Welche Spuren haben die jüngsten Entwicklungen im gegenwärtigen Theaterleben hinterlassen?

Elfriede Jelinek verarbeitete die Flüchtlingsbewegungen bereits, bevor diese Europas Grenzen erreichte. Ihre wortmächtige Anklage "Die Schutzbefohlenen" (2013) wurde vielfach nachgespielt - und gilt inzwischen als Migrationsstück schlechthin. Für Furore sorgte etwa Tina Leischs Inszenierung "Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene" (2015), weil die Adaption nahezu ausschließlich mit Flüchtlingen besetzt war. "Es hat unser Leben verändert", sagte damals Ensemblemitglied Johnny Mhanna.

Der mittlerweile 28-jährige Schauspieler aus Damaskus hat in der freien Wiener Theaterszene inzwischen Fuß gefasst; im Werk X konnte man ihn etwa in der viel diskutierten Flüchtlingsfarce "Homohalal" erleben. "Homohalal"-Autor Ibrahim Amir stammt ebenfalls aus Syrien. "Die Art und Weise, wie man hier lebt, ist vollkommen anders als alles, was ich kannte. Anfangs war es hart", erinnerte sich der Kurde unlängst über seine Ankunft 2002 in Wien: "Mittlerweile fühle ich mich als Wiener. Meine Stücke schreibe ich auf Deutsch." Für sein Drama "Habe die Ehre", eine Farce über Ehrenmorde, wurde Amir bereits mit dem Nestroy ausgezeichnet.

Deutsch lernen mit Brecht

Auf der Flucht: "Die Reise der Verlorenen".
© Sepp Gallauer

Diesen Herbst war im Werk X-Petersplatz auch der selbst verfasste Monolog des iranischen Schauspielers Alireza Daryanavard zu erleben: "Ein Staatenloser" vereint Kindheitserinnerung und Fluchtbericht, changiert zwischen Weggehen und Ankommen. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erläutert Daryanavard, der 2014 nach Wien geflüchtet ist, dass Bertolt Brecht ihm dabei geholfen habe, Deutsch zu lernen: "Ich hatte eine Ausgabe seiner Texte auf Farsi und Deutsch, die habe ich studiert. Seine Stücke mochte ich schon, als ich noch im Iran lebte, aber als ich diese auch auf Deutsch verstehen konnte, gefielen sich mir noch besser."

Die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Migrationsthema im Werk X liefert sich übrigens die aus Bosnien stammende Regisseurin Nina Kusturica mit der Dramatisierung von Shumona Sinhas Skandalromans "Erschlagt die Armen" (siehe Kritik).

Ebenfalls aus dem Iran gelangte Amir Gudarzi nach Wien. In seinem Stationendrama "Arash / Heimkehrer" verbindet er die eigene Fluchterfahrung mit der Emigration der NS-Zeit - und wähnt allerorts die Schatten der Verfolgten und Ermordeten.

Autobiografisch: Alireza Daryanavard in "Ein Staatenloser".
© Fesih Alpagu

Nicht nur die freie Theaterszene hat das Thema für sich entdeckt. Im Akademietheater wurde Simon Verhoevens Filmhit "Willkommen bei den Hartmanns" für die Großbühne adaptiert. Das Volkstheater punktete mit einer Aufführungsserie von Yael Ronen, beruhend auf realen Begebenheiten: In "Lost and Found" (2015) stand etwa eine Wiener Familie im Zentrum, die einen geflüchteten Verwandten aus dem Irak aufnimmt; die Folgeproduktion "Gutmenschen" (2017) setzte sich mit drohender Abschiebung auseinander. Gleich zwei Uraufführungen hielt das Theater in der Josefstadt bereit. Daniel Kehlmann entwarf in "Die Reise der Verlorenen" (2018) ein schlüssiges NS-Migrations-Dokutheater, während Peter Turrini in "Fremdenzimmer" (2016) verhandelte, wie ein junger syrischer Flüchtling von einem Ehepaar aufgenommen wird. Diffuse Ängste vor allem Fremden bis hin zu unverhohlener Ausländerfeindlichkeit brechen sich dabei auf der Bühne Bahn. In "Fremdenzimmer" verkörperte die Rolle des Flüchtlings der Syrer Tamim Fattal, der seine Heimat verlassen hatte, um dem Kriegsdienst zu entkommen. Seit Dezember 2015 lebt und arbeitet er in Österreich. "Ich habe das Gefühl, eine zweite Chance bekommen zu haben", gab er kürzlich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zu Protokoll.

Noch immer wird sie viel zu wenigen gewährt.