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Die Kritik am Sozialhilfegesetz

Von Martina Madner

Politik

Die Begutachtenden zeigen zahlreiche Mängel und wenige Verbesserung für jene, die Sozialhilfe brauchen, auf.


Wien. Die Begutachtung des Entwurfs über das künftige Grundsatzgesetz zur Sozialhilfe ist beendet. Als Ziele des Gesetzes formulierte die Bundesregierung eine "bundesweite Harmonisierung", die stärkere Integration am Arbeitsmarkt und die "Dämpfung der Zuwanderung" ins Sozialsystem.

Als "Skandal" und "Teil eines explosiven Gesamtpaktes" bezeichneten dagegen Vertreter der Armutskonferenz, einem Netzwerk von rund 40 Sozialorganisationen, den Entwurf. Sie zeigen wie andere Begutachtende wenige Verbesserungen, dafür zahlreiche Mängel auf.

Rechtssicherheit und Mindestsätze fehlen

Vera Hinterdorfer von der Plattform "Sichtbar werden", wo sich von Armut Betroffene selbst organisieren, ist überzeugt, dass sich "der österreichische Fleckerlteppich bei der Sozialhilfe noch verstärken wird". Grund seien viele Kann-Bestimmungen, die den Bundesländern Spielraum eröffnen, die Sozialhilfe noch unterschiedlicher als bisher zu gestalten. Das Geplante sei zudem "unsozial und nicht hilfreich".

Martin Schenk, Sprecher der Armutskonferenz, kritisiert, dass Fristen und die Pflicht, Bescheide auszustellen, fehlen. Er fordert gesetzliche Mindestsätze statt der Obergrenzen. Das sehen auch andere, wie etwa Klagsverband und UNHCR so. Sie kritisieren auch Widersprüche zum EU-Recht und den Menschenrechten, auch weil man zwischen verschiedenen Ausländergruppen unterscheide.

Ab dem dritten Kind sind 1,50 Euro pro Tag geplant

Unter den insgesamt 307.853 durch die Mindestsicherung Unterstützten von 2017 sind laut Statistik Austria 81.334 Kinder. Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe, sagt, dass "diese schon jetzt im Mangel leben", 53 Prozent etwa in überbelegten Wohnungen.

Laut Gesetzesentwurf sind für das erste Kind 25 Prozent, das zweite 15 und ab dem dritten fünf Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes von aktuell 863 Euro pro Monat vorgesehen. Das sind 215,75 Euro, 129,45 und 43,15 Euro, also knapp 1,50 Euro pro Tag ab dem dritten Kind. "Das geben manche mehrmals täglich als Trinkgeld aus", sagt Fenninger: "Der Regierung sind Kinder nicht mal das Mindeste wert", die Kürzungen unverhältnismäßig und "ein Skandal".

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften sieht eine "Missachtung des Prinzips der Kindeswohlvorrangigkeit", das in der Verfassung verankert ist. Das Netzwerk Kinderrechte, darunter die SOS Kinderdörfer, befürchtet das ebenfalls, zudem mehr armutsgefährdete Kinder.

Ungleichbehandlung von Alleinerziehenden

Für Kinder von Alleinerziehenden sind Zuschläge vorgesehen: für das erste zwölf, das zweite neun, das dritte sechs, jedes weitere drei Prozent. Wegen der Kürzungen bei den Kinderrichtsätzen aber greife der Bonus bei 30 Prozent, also rund 10.000 Kindern nicht, sagt Doris Pettighofer von der Plattform für Alleinerziehende. "Das sorgt für große Ungleichheit. Es treibt einige Familien, die es eh schon schwer haben, noch weiter in die Armut." Der Bonus sei außerdem eine der Kannbestimmungen: "Es steht den Bundesländern also frei, ihn zu gewähren oder auch nicht."

Arbeitsanreize werden in Zweifel gezogen

Leistungen der Sozialhilfe aus öffentlichen Mitteln sollen "insbesondere die (Wieder-)Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben" fördern, heißt es gleich zu Beginn des Entwurfs. 35 Prozent der Leistung, also 302 Euro pro Monat sind etwa als "Arbeitsqualifizierungsbonus" nur an jene zu vergeben, die zumindest das Sprachniveau B1 in Deutsch oder C1 in Englisch haben. Judith Pühringer, Geschäftsführerin von "Arbeit Plus - Soziale Unternehmen Österreich", sagt dazu: "Solche Niveaus erreichen zu müssen und gleichzeitig Mittel Kurse zu kürzen, ist zynisch", sagt sie. Die Arbeiterkammer hält das auch für "verfassungsrechtlich höchst bedenklich".

Die Sozialhilfe wirke laut Pühringer auch sonst nicht losgelöst von anderen Budgetkürzungen bei Arbeitsmarktintegrationsangeboten und Gesetzesänderungen. Weil sich der Kreis der Beziehenden mit der für Herbst angekündigten Integration der heutigen Notstandshilfe in die Sozialhilfe erweitern würde, sei das geplante "Teil eines explosiven Gesamtpakets". Auch der Ausschluss mancher Gruppen sei kein geeignetes Mittel, um diese in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Ausschluss der Sozialhilfe als "Nebenstrafe"

Neben subsidiär Schutzberechtigten sind laut Gesetzesentwurf "Personen, die wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener gerichtlich strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von zumindest sechs Monaten verurteilt wurden" von der Sozialhilfe "auszuschließen". Zahlreiche Juristen von der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck über das Oberlandesgericht Wien bis hin zur Richtervereinigung sehen das kritisch. Sie sollen die Grundversorgung der Bundesländer erhalten. "Das ist ein Taschengeld von 360 Euro, mit dem auch Miete bezahlt werden muss", sagt Andreas Zembaty, Sprecher von Neustart, einem Verein, der sich der Resozialisierungshilfe Straffälliger und der Opferhilfe widmet.

Es handle sich um 14.000 Personen, "die nicht nur von einem Richter ihrer Schuld gemäß eine Strafe erhalten, sondern über die das Sozialministerium quasi eine Nebenstrafe verhängt". Das sei eine Gefährdung der Angehörigen und der öffentlichen Sicherheit. "Ohne Hoffnung hat man nichts zu verlieren." Man prüfe rechtliche Schritte.

Rückschritte bei Behinderten

Für Behinderte ist ein Zuschlag von 18 Prozent, aktuell also 155 Euro, vorgesehen. Weil dauerhaft arbeitsunfähige über 25-Jährige nicht mehr wie bisher als eigene Bedarfsgemeinschaft gesehen werden, geht allerdings auch Lebenshilfe Österreich-Geschäftsführer Albert Brandstätter von weniger Sozialhilfe als bisher von Behinderten, die in Wohngemeinschaften leben aus. "Außerdem fällt der zusätzliche Betrag für Kinder mit Behinderung weg, sobald eine zweite minderjährige Person im Haushalt wohnt." Wie andere Organisationen, die mit Behinderten arbeiten, kritisiert er zudem Widersprüche zur UN-Behindertenrechtskonvention.