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Being the Bundespräsident

Von Walter Hämmerle

Politik

Alexander Van der Bellen feiert diesen Freitag seinen 75. Geburtstag.


Wien. Diese Republik hat sich zwei Ämter auf den Leib geschneidert - und die entsprechenden Politiker-Phänotypen gleich mitgeschliffen: Bundespräsident und Landeshauptmann. Beide Rollen bieten ihren Trägern Raum für individuelle Interpretationen, im Kern jedoch prägt das Amt den Politiker und nicht umgekehrt. Für die Betroffenen mag das oft eine Last sein, für die Republik ist es ein Glücksfall.

Alexander Van der Bellen ist nicht das schlechteste Beispiel für die politische Urkraft, die dabei zu Werke geht. Immerhin verkörpert das Amt des Staatsoberhaupts - oder richtiger: die allgemein akzeptierte Interpretation dieser Rolle nach 1945 - die verbindende Kraft des Gemeinwesens auf Bundesebene; weshalb es auch kein Zufall ist, dass die ersten acht Amtsträger allesamt ausschließlich von ÖVP oder SPÖ nominiert worden waren.

Im Wahljahr 2016 dann der radikale Bruch mit dieser Tradition: Mit Van der Bellen und Norbert Hofer standen sich ein ehemaliger Bundessprecher der Grünen sowie ein erklärter Freiheitlicher gegenüber. Seinen Sieg mit 54 zu 46 Prozent verdankte der Ex-Grüne einer bunten Wählerkoalition aus Linken, Liberalen und Konservativen, die sich allein zum Zweck zusammenfand, einen FPÖ-Kandidaten für das höchste Amt im Staat zu verhindern. Also wurde am 26. Jänner 2017 Van der Bellen zum neunten Bundespräsidenten der Zweiten Republik angelobt.

Ein gemächlicher Einstieg ins Amt war dem ehemaligen Wirtschaftsprofessor nicht vergönnt. SPÖ und ÖVP lieferten sich in Person von Christian Kern und Sebastian Kurz über das gesamte Jahr 2017 einen zermürbenden Kleinkrieg, der schließlich zu Neuwahlen führte, aus dem die nun türkis gewandete Volkspartei als stärkste Kraft hervorging. In dieser immer hitzigen, teils aggressiven, teils chaotischen Zeit behielt der Bundespräsident, klug beraten von einem erfahrenen Stab an Profis und langjährigen Vertrauten, ruhig Blut und kühlen Kopf. Wobei: Als Hektiker war der meist ruhige und bedächtige leidenschaftliche Raucher auch zuvor schon nicht bekannt, allenfalls als liebenswürdig verwirrt.

Dass er die tiefere Logik seines Amtes angenommen hatte, zeigte  sodann die Regierungsbildung im Spätherbst 2017, wo traditionell die Stunde des Bundespräsidenten als Herr des Verfahrens schlägt. Die sich schnell abzeichnende türkis-blaue Koalition war für Van der Bellen besonders heikel, weil seine eigene Mehrheit gerade auf der Gegnerschaft zur FPÖ fußt. Entsprechend irritiert reagierten etliche seiner Wähler auf die betont lockere und entspannte Atmosphäre bei der Angelobung von Türkis-Blau. Zuvor hatte er allerdings in zahlreichen vertraulichen Hintergrundgesprächen ein belastbares Vertrauensverhältnis zu Kanzler Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache aufgebaut und dabei der künftigen Koalition einen politischen Rahmen vor- und mitgegeben, der bis heute Bestand hat.

Van der Bellen hat sich seitdem das Gespür dafür bewahrt, dass im Österreich der Gegenwart zwei einander widersprechende, aber nebeneinander existierende politische Mehrheiten bestehen: Die eine ist FPÖ-kritisch und hat ihn selbst ins höchste Amt des Staats befördert, die zweite ist Türkis-Blau. Erstere legt Wert auf das harmonische Miteinander im Rahmen eines staatlichen Gemeinwesens in einem zusammenwachsenden Europa, Zweitere verfügt ein Mandat zum Kurswechsel in ausgewählten Bereichen, darunter vor allem der Zuwanderungs- und Integrationspolitik.

Diese beiden so widersprüchlichen wie sich gegenseitig ergänzenden Mehrheiten gilt es ständig auszubalancieren. Neben vertraulichen Gesprächen greift Van der Bellen zu diesem Zweck auch zu öffentlichen Interventionen zurück, etwa wenn er gegen die Enthaltung Österreichs beim UNO-Migrationspakt oder die Angriffe der FPÖ gegen die Caritas die Stimme erhebt.

Solche gegenüber der Koalition gegenüber kritischen Wortmeldungen sind für jeden Bundespräsidenten eine heikle Gratwanderung. Regierung und Staatsoberhaupt sind nicht nur in den großen, sondern auch in den kleinen Fragen des Alltags aufeinander angewiesen, jede Ernennung, jedes Gesetz benötigt die Unterschrift des Präsidenten. Je lauter und häufiger die Kritik, desto größer das Risiko, dass der Bundespräsident selbst zum Spielball der Parteipolitik wird.

Bisher hat Van der Bellen der Versuchung widerstanden, die politischen Möglichkeiten seines Amtes zu überschätzen. Gleichzeitig macht er dort weiter, wo Vorgänger Heinz Fischer angefangen hat, das Amt zu entstauben und zeitgemäß zu repräsentieren. Für sich selbst hat er vor allem mit Europa, aber auch mit Klimaschutz und humanitäres Engagement ein politisches Profil entwickelt, das durchaus auch Überraschungen bereithält. Wer hätte etwa gedacht, dass ausgerechnet ein ehemaliger Grüner so deutlich wie kein Bundespräsident zuvor die desolate Ausstattung des Bundesheers anprangert?

Am Freitag, den 18. Jänner, feiert der Bundespräsident seinen 75. Geburtstag. An das Amt hat er sich mittlerweile gewöhnt, und das Amt an ihn. Nicht ausgeschlossen, dass er sich 2022 noch einmal einer Wiederwahl stellt. Der Sohn einer estnischen Mutter und eines russischen Vaters, der im Tiroler Kaunertal aufwuchs und in zweiter Ehe mit "First Lady" Doris Schmidauer verheiratet ist, wäre dann 78. Als Gegner könnte ihm im Fall des Falles erneut Norbert Hofer gegenüberstehen. Und obwohl der freiheitliche Infrastrukturminister seit seinem Amtsantritt peinlich darauf achtet, sich aus allen Schlammschlachten herauszuhalten, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Sieger erneut Van der Bellen heißen könnte. Weil dieses Amt auf ganz eigene Weise dazu neigt, sich allen Revolutionen zu entziehen.