Adamovich: Befangenheitsregeln greifen
Der frühere Verfassungsgerichtshofpräsident Ludwig Adamovich sieht den Umgang mit der Befangenheit im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ähnlich wie die nunmehrige Präsidentin. Es gebe Befangenheitsregeln, die ausschließen würden, dass dort, wo ein Grund zur Annahme vorliege, dass jemand nicht unbefangen sein könnte, jemand mit dieser bestimmten Sache befasst würde. "Dass Verfassungsrichter ihrem angestammten Beruf nachgehen können, ist eine Frage, die politisch entschieden werden muss", sagte Adamovich. Der allerdings gleichzeitig betonte, dass dies natürlich eine Verfassungsänderung notwendig machen würde. Denn Artikel 147 Bundesverfassungsgesetz besage, dass eine Nebentätigkeit zulässig sei. Das habe seinen Grund darin, dass eben nicht nur Berufsrichter über gesellschaftspolitische Fragen entscheiden, sondern auch Menschen aus anderen Rechtsberufen, weil sie einen anderen Zugang hätten, erklärte Adamovich.
ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl ist ebenfalls der Meinung, dass Nebentätigkeiten für Verfassungsrichter sinnvoll sind. "Ich bin grundsätzlich für Nebentätigkeiten, das hat sich bewährt. Man hat einen anderen Blick auf die Gesellschaft, wenn man nicht nur Berufsrichter ist." Gerstl sieht keine Veranlassung, darüber jetzt eine Debatte im Nationalrat zu führen. "Das steht jetzt nicht im Vordergrund", sagte der ÖVP-Abgeordnete in Richtung der Neos, die einen diesbezüglichen Antrag im Nationalrat einbringen wollen.
Öhlinger: Nähe von Richtern zu Politik bedenklich
Demnach müssten Verfassungsrichter diese Aufgabe künftig hauptberuflich ausüben, und sie würden daneben einem weitgehenden Berufsverbot unterliegen. So solle bereits der Anschein der Befangenheit vermieden werden, argumentiert Neos-Abgeordneter Nikolaus Scherak.
Verfassungsjurist Theo Öhlinger sieht das ähnlich. Rechtlich gesehen sei der Auftritt von Rami für die beiden FPÖ-Regierungsmitglieder vor Gericht in Ordnung. Aber er halte eine Nebentätigkeit von Verfassungsrichtern grundsätzlich für problematisch, noch viel mehr dann, wenn eine solche Nähe eines Richters zur Politik bestehe, wie in diesem Fall.
Grundsätzlich sind Ausschließungsgründe im Verfassungsgerichtshofgesetz festgehalten (etwa Mitwirkung an einem Gerichtsverfahren zu der zu verhandelnden Causa oder Mitglied einer Bundes- oder Landesregierung, die das zu verhandelnde Gesetz beschlossen hat). Ob ein Ausschließungsgrund vorliegt, entscheidet der Verfassungsgerichtshof selbst, und zwar in nichtöffentlicher Sitzung.
Österreich sei das einzige Land mit Rechtskultur, in dem Verfassungsrichter einer Nebentätigkeit nachgehen dürften, kritisiert Öhlinger. Das sei dem Umstand geschuldet, dass das österreichische Verfassungsgericht das älteste der Welt ist. 1920 wäre man mit der Tätigkeit als VfGH-Richter nicht ausgelastet gewesen. Aber heute sei der Arbeitsumfang ein anderer, weshalb Nebentätigkeiten der Verfassungsrichter auch der Qualität der Entscheidungen schaden würden. Von dem Argument, dass VfGH-Richter mit einer anderen rechtlichen Praxis andere Erfahrungen einbringen könnten, hält Öhlinger wenig: Das würde ja für jeden anderen Richter auch gelten.