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"Krone" diskriminiert "Musterlehrling"

Von Jan Michael Marchart

Politik

Der Presserat wirft der Boulevardpresse in der Causa "Pauschalverunglimpfung und Diskriminierung" vor.


Anfang September 2018 beschuldigte die FPÖ einen afghanischen und von Abschiebung bedrohten Supermarktlehrling, ein Terrorsympathisant zu sein. Dieser soll auf Facebook bei einer Terrororganisation auf "Gefällt mir" geklickt haben. Die "Krone" berichtete groß darüber, überprüfte den Vorwurf aber nicht. Die FPÖ zeigte den Lehrling an, die "Krone" stellte ihn mit ihrem nächsten Beitrag "Musterlehrling jetzt Fall für den Verfassungsschutz", den online hunderttausende Leser anklickten, praktisch schon mit einem Bein ins Kriminal. Die Behörden befragten den Jugendlichen folglich auch.

Die Freiheitlichen hatten allerdings den falschen Lehrling angezeigt. Das berichte die "Wiener Zeitung" Tage vor dem Urteil der Staatsanwaltschaft. Nun hat auch der Presserat in der Causa "Musterlehrling" entschieden.

Laut Senat verstoßen die "krone.at"-Artikel "Musterlehrling jetzt Fall für Verfassungsschutz" vom 3. September und "Weiter großer Wirbel in der Causa Musterlehrling" vom 4. September gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Mehrere Leser hätten laut einer Stellungnahme des Presserats kritisiert, dass beide Artikel keine Fakten, sondern nur Vermutungen beinhalten würden. Auch der Presserat kommt zu dem Schluss, dass die Beiträge nicht ausreichend recherchiert wurden. "Gegen den Flüchtling werden schwere Beschuldigungen erhoben, ohne dass ihm die Möglichkeit eingeräumt wurde, dazu Stellung zu nehmen", heißt es in der Entscheidung.

Hauptsächlich FPÖ-Infos

Der Senat befand zudem, dass der Artikel offenbar "ausschließlich auf Informationen der FPÖ über die Anzeige beruhe." Damit verstoße die "Krone" auch gegen die Verpflichtung von Journalisten, korrekt und gewissenhaft zu recherchieren.

"Darüber hinaus erkennt der Senat in den Artikeln eine Pauschalverunglimpfung und Diskriminierung", so der Presserat weiter. Die Freiheitlichen kriminalisierten den von Abschiebung bedrohten Jugendlichen deswegen, weil die Regierung gerade forderte, dass ein Lehrplatz kein Grund dafür sei, länger in Österreich zu bleiben. Im ersten Artikel werde "ausdrücklich auf die Diskussion um Lehrplätze für junge Asylweber Bezug genommen und festgehalten, dass diese Diskussion nun um eine brisante Facette reicher sei". Im Folgeartikel sei davon die Rede, dass "die Wogen nach den FPÖ-Vorwürfen gegen jenen Lehrling (. . .) hoch gingen."

Zuvor wurde der Supermarktlehrling von Bundespräsiden Alexander Van der Bellen und dem oberösterreichischen Integrationslandesrat Rudi Anschober (Grüne) öffentlichkeitswirksam an seiner Lehrstelle besucht. Damit setzten sie sich für den Verbleib von Flüchtlingen, die in Lehre sind, ein. Die Artikel der "Krone" hätten eine "kritische Haltung" dazu eingenommen, so der Presserat. Untermauert werde das durch die Causa "Musterlehrling". Daher seien die Artikel Bestandteil der öffentlichen Debatte über Flüchtlinge und Migranten. Die Bedeutung der Berichterstattung gehe aber über die Einzelperson weit hinaus und habe Auswirkungen darauf, wie andere junge Flüchtlinge in Lehre wahrgenommen würden.

Korrektur "missverständlich"

Ein weiteres Problem sieht der Presserat in der Bebilderung der "Krone"-Artikel. Obwohl das Gesicht des Lehrlings verpixelt wurde, geht der Senat von einer Persönlichkeitsverletzung aus. Durch den Besuch Van der Bellens und Anschobers sei der Jugendliche für einen gewissen Personenkreis identifizierbar. Er lebt in einer Gemeinde mit 1500 Einwohnern und wird bis heute auf die Causa angesprochen.

Als grundsätzlich positiv wertete der Presserat, dass die "Krone" versuchte, den Irrtum richtigzustellen. "Die Richtigstellung fiel allerdings recht kurz und missverständlich aus."

Die "Krone" gab zum Verfahren weder eine Stellungnahme ab, noch nahm sie an der Verhandlung des Presserats teil. Die Zeitung hat dessen Schiedsgerichtbarkeit nicht anerkannt. Die "Krone" kann die Entscheidung freiwillig bekanntgeben.

Landesrat Anschober hat sich am Montag in der Causa gegen die Freiheitlichen auf juristischem Weg durchgesetzt. Die FPÖ ist wegen übler Nachrede gegen Anschober zu einer Zahlung von 12.000 Euro verurteilt worden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die FPÖ geht in Berufung. Diese, allen voran deren geschäftsführender Klubobmann Johann Gudenus, hatte in der Causa nicht nur den falschen Lehrling angezeigt, sondern auch behauptet, dass sich Anschober für einen Terrorsympathisanten einsetze.

Es stimmte letztlich nichts

Ausgangspunkt der Causa "Musterlehrling" war der Besuch des Jugendlichen in seiner Lehrstelle durch Bundespräsident Van der Bellen und den grünen Landesrat Anschober Mitte August 2018. Der Besuch wurde auf der Facebook-Seite Anschobers mit mehreren Fotos festgehalten. Im Bildtext wurde der Vorname des Lehrlings genannt. Auf einem Foto allerdings, auf dem der Jugendliche zu sehen ist, war dieser mit einem anderen Facebook-Profil verlinkt. Diese Funktion ist auf Anschobers Facebook-Seite für alle Nutzer freigeschaltet. Auf dem verlinkten Profil war schnell erkennbar, dass es sich um eine andere Person handelt, die außerdem angibt, in Wien zu leben. Die FPÖ hielt die Person für den "Musterlehrling" und zeigte sie fälschlicherweise an.

Mitte Oktober wurden auch gegen das eigentliche Profil, das sich als "Musterlehrling" ausgegeben hat, die Ermittlungen eingestellt. Jene Person hat die Grundlage des Vorwurfs, eine Facebook-Seite der afghanischen Kampfmiliz "Liwa Fatemiyoun", zwar geliked, die Miliz sei aber keine Terrororganisation, befand die Staatsanwaltschaft. Auch die Syrien-Expertin und Journalistin Petra Ramsauer sagte, dass von dieser Miliz keine internationalen Terrorhandlungen ausgehen würden und sie nur in der syrischen Innenpolitik eine Rolle spiele. Eine "Gefällt mir"-Angabe reiche zudem nicht aus, um Mitglied einer Terrororganisation zu sein, sagte Rechtsanwalt Wolfgang Blaschitz, der sich im Bereich des "Austrodschihadismus" einen Namen gemacht hat.