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"Wir hoffen, die EU arbeitet nachhaltig"

Von Cathren Landsgesell

Politik

Vinzenz Stürkgh (16) und Moritz Weese (17) wählen im Mai das erste Mal das Europaparlament mit. Der Brexit ist nicht das dringlichste Problem der EU, meinen sie. Teil IV der Serie zum Videowettbewerb Future Challenge #europa4me.


Wien. Vinzenz Stürgkh und Moritz Weese sind Schüler am Gymnasium Maria Regina in Wien. Sie besuchen dort das Wahlpflichtfach "European Relationships" und "International Cooperations". Zurzeit dreht sich in ihrem Unterricht viel um das Thema Europa. Ende Jänner waren sie mit ihrer Klasse bei einer Podiumsdiskussion der Plattform "Europa: Dialog" mit dem Politikwissenschafter Anton Pelinka im Haus der Europäischen Union in Wien zu Gast. Wir haben sie nach der Diskussion interviewt.

"Wiener Zeitung": Während der Diskussion fiel häufiger die Formulierung "in 50 Jahren" mit dem Zusatz: "Aber das werden wir nicht mehr erleben." Wie geht es Ihnen, wenn man auf diese Weise über Ihre Zukunft spricht?

Vinzenz Stürgkh: Ich hoffe, dass dies nicht bedeutet, dass erwachsene Politiker und die EU im Sinne von "die Auswirkungen erleben wir nicht" denken und handeln, sondern dass sie nachhaltig arbeiten. Damit wir eine positive Zukunft haben.

Moritz Weese: Dass so geredet wird, hat allerdings auch mit dem Faktum zu tun, dass sich nur wenige Jugendliche für Politik interessieren. Nur wenige engagieren sich oder versuchen, sich politisch weiterzubilden. Auch bei dieser Diskussion waren ja nur wenige unter 20-Jährige da.

Vinzenz Stürgkh: Es gibt aber auch zu wenig Politische Bildung an der Schule. Ein Problem ist, dass wir nicht wirklich mit den Lehrern diskutieren können, weil sie ihre persönliche politische Meinung aus dem Unterricht heraushalten müssen. Der Effekt ist, dass das Thema Politik in keinem Fach wirklich angesprochen wird. Ich finde, Lehrer sollten ihre Meinung preisgeben dürfen. Auch wenn es uns vielleicht in gewisser Weise beeinflusst, so regt es uns doch zum Denken an. Es wären einfach zusätzliche Eindrücke, denn die meisten gehen nach dem, was ihre Eltern sagen. Wenn jetzt noch weitere Personen dazu kommen, die uns sagen, was sie wählen und warum, dann ist das eigentlich eher positiv.

Moritz Weese:Es wird immer gefordert, dass alle Menschen politisch gebildet und ambitioniert sein sollen. Diese politischen Menschen können aber nur dann entstehen, wenn wir Schüler wirklich anfangen, politisch zu diskutieren und zu argumentieren.

In dem Gespräch mit Anton Pelinka wurden viele verschiedene Themen angesprochen, unter anderem auch Religionsfreiheit, die Mindestsicherung und die Möglichkeit einer europäischen Verteidigungspolitik. Beschäftigen Sie denn diese Fragen eigentlich?

Vinzenz Stürgkh: Ja, zum Beispiel die Frage der Religionsfreiheit und die "Kopftuchdebatte" ist sehr interessant. Für mich ist es kein Problem, wenn jemand ein Kopftuch trägt oder andere religiöse Zeichen in der Öffentlichkeit zeigt. Das Problem ist aber, wenn man ein Kopftuchverbot hat, sollte man auch das Kreuz verbieten, das bei uns an der Schule in jedem Klassenraum hängt. Warum sollte man einer Religion ihre religiösen Symbole verbieten und sie einer anderen erlauben?

Moritz Weese: Wir hatten im letzten Schülerparlament eine Debatte über das Kopftuchverbot. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass es wichtig wäre, alle religiösen Zeichen zumindest bis zum 14. Lebensjahr zu verbieten, damit man dann eine fundierte Entscheidung treffen kann, ob man sich zu einer Religion bekennen will und wie man das tun will.

Anton Pelinka hat unter anderem eine demokratische Krise in Europa beschrieben. Besteht aus Ihrer Sicht in der EU ein Demokratiedefizit?

Moritz Weese: Es besteht auf jeden Fall eine Krise, aber wir brauchen zuerst diese Zerreißprobe, bevor wir wirklich zeigen können, was wir als geschlossenes Europa leisten können. Die großen Entwicklungen kamen ja immer erst nach Krisen. Zum Beispiel hat sich seit 2008 nach der Finanzkrise im Hinblick auf die Budgetpolitik extrem viel entwickelt. Durch die Flüchtlingskrise hat sich der Diskurs in Richtung geschlossene, gesicherte Außengrenzen bewegt. Ich denke, wir werden eine weitere Krise brauchen, um uns demokratisch zu erneuern.

Vinzenz Stürgkh: Es ist verständlich, dass sich erst durch Krisen etwas verändert. Solange etwas gut oder zumindest einigermaßen gut läuft, verändert man nichts.

Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung für die EU?

Vinzenz Stürgkh: Der Brexit ist sicher eine Herausforderung, aber es gibt mehr. Die Flüchtlingskrise ist immer noch ein Thema. Die Wellen sind zwar abgeschwächt, man sollte aber Vorkehrungen treffen, dass das alles geschmeidiger abläuft. Bislang wurde eigentlich nie ein Konsens oder Kompromiss gefunden.

Moritz Weese: Ein Problem ist aus meiner Sicht das Einstimmigkeitsprinzip bei einigen Entscheidungen im Europäischen Rat. Solange wir dieses Prinzip haben, können Entscheidungen nicht schnell getroffen werden, weil immer ein Land aus Prinzip dagegen sein wird. Entscheidungen in einer so großen Gemeinschaft können nicht immer für alle nur Vorteile bringen. Alle müssen lernen, auch einmal Nachteile zu akzeptieren.

Wäre weniger Nationalstaatlichkeit eine Lösung für die Uneinigkeit in der Europäischen Union?

Moritz Weese: Das ist denkbar. Man muss dann aber klar die Zuständigkeiten definieren und EU-Kompetenzen von nationalen Kompetenzen abgrenzen. Dann kann das funktionieren.

Die Future Challenge der "Wiener Zeitung" ist ein Videowettbewerb
für Lehrlinge und Schüler. Er steht heuer unter dem Motto #europa4me.
Im Zentrum stehen die Europawahlen.

Wer als Lehrkraft eine Projektgruppe registrieren möchte, bitte unter
futurechallenge@wienerzeitung.at.
Die Gesprächsreihe der Plattform Europa:Dialog gibt es auch als Podcast: www.EuropaDIALOG.eu/audiopodcast.