Dornbirn/Wien. (ett/apa) Für Ermittler Norbert Schwendinger war es ein "kaltblütiger Mord". Der tödliche Messerangriff eines 34-jährigen Tatverdächtigen auf den 49-jährigen Leiter der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft (BH) Dornbirn sorgte am Donnerstag weit über Vorarlberg hinaus für Schock und Trauer. Über den 34-jährigen Türken war ein Aufenthaltsverbot verhängt worden. Nach einer neuerlichen Einreise nach Österreich hat er im Jänner Asyl beantragt.

Die rechtlichen Begleitumstände der Tat heizten die Debatte um raschere Abschiebungen von straffällig gewordenen Asylwerbern aus Österreich kräftig an. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) sprach dazu beim EU-Innenministertreffen in Bukarest mit Amtskollegen.

"Ziemlich aggressiv" um Mindestsicherung gebeten

In Vorarlberg wurden Hintergründe der Tat bekannt. Es ging offenbar um Rache für nicht erfolgte Mindestsicherungszahlungen und ein Aufenthaltsverbot. "Der Mann wollte Mindestsicherung", erklärte Bezirkshauptmann Helgar Wurzer bei der Pressekonferenz. Daher sei der Türke, der nach eigenen Angaben Kurdenkämpfer war, am 23. Jänner sowie am Freitag der Vorwoche und diesen Mittwoch laut Wurzer "ziemlich aggressiv" und mit der Frage "Wo ist das Geld?" vorstellig geworden.

Am Mittwoch marschierte der Mann ins Büro des Sozialamtsleiters. Weil Unterlagen fehlten, verließ er das Gebäude, kam aber nur eine halbe Stunde später mit einem Küchenmesser zurück und stach den Amtsleiter nieder. Mitarbeiter erlebten die Bluttat in unmittelbarer Nähe mit.

Das Mordopfer hatte 2009 gegen den mehrfach straffällig gewordenen Türken, der 1985 in Lustenau geboren wurde, ein Aufenthaltsverbot für den gesamten Schengenraum erwirkt. 2010 verließ der Mann Österreich, kehrte aber Anfang 2019 offenbar mit Schlepperhilfe zurück. Am 18. Jänner 2019 stellte er als angeblicher Kurdenkämpfer im Erstaufnahmezentrum Thalham in Oberösterreich einen Asylantrag und reiste privat nach Vorarlberg weiter, wo sein Bruder lebt.

"Unverständnis und Ärger"
bei Landeshauptmann Wallner

Damit rückt die rechtlich-politische Situation in den Mittelpunkt. Beim Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) sorgt der Fall für "Unverständnis und Ärger". Am 18. Jänner wurde der Asylwerber vom Bund dem Land Vorarlberg zur Grundversorgung zugewiesen. Wie der "Wiener Zeitung" im Vorarlberger Landhaus erklärt wurde, habe die zuständige Mitarbeiterin des Landes das abgelehnt: "Das kommt für uns nicht in Frage." Mehr noch: Sie wies in der zuständigen Fremdenrechtsabteilung im Innenministerium in Wien ausdrücklich auf die kriminelle Vergangenheit des Türken hin. Die Antwort in Wien habe gelautet, das geltende Asylrecht stehe über dem Aufenthaltsverbot.

Das Innenministerium verwies auf Anfrage der "Wiener Zeitung" auf wenig später folgende "Klarstellungen" zum Fall in Dornbirn. Trotz des Aufenthaltsverbots sei demnach aufgrund europarechtlicher Vorgaben ein Asylantrag zu prüfen und ein Asylverfahren einzuleiten, teilte das Innenressort mit. Nach genauerer Prüfung dürfte das Aufenthaltsverbot demnach auch nicht mehr aufrecht gewesen sein.

Eine darauf beruhende Schubhaft "wäre aufgrund der Judikatur daher rechtswidrig gewesen", stellte das Ressort fest. Schubhaft wäre "nicht argumentierbar" gewesen. Selbst ein negativer Bescheid im Asylverfahren wäre laut Ministerium wegen sensibler Angaben, wonach der Mann Angehöriger der kurdischen Volksgruppe sei, nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar gewesen.

Die Rechtslage müsse genau angeschaut werden, sagte Wallner: "Niemand versteht diesen Zustand, ich auch nicht." Er fragte, warum der Mann nicht in Schubhaft genommen wurde.

Kickl traf mit Amtskollegen bei einem EU-Treffen in Bukarest zusammen. Dort brachte er seine Pläne zur rascheren Abschiebung straffällig gewordener Asylwerber vor. Von den Niederlanden gab es Unterstützung vor Beginn des Innenministertreffens. Anders sieht das EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Er teilte Kickl in einem Brief mit, solchen Plänen stehe die Menschenrechtskonvention entgegen.