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Scharfe Kritik an Strafrechtsreform

Von Werner Reisinger

Politik
© adobe stock/BortN66

Durch höhere Mindeststrafen und das Aus für teilbedingte Haft verlieren Richter wichtigen Spielraum, sagen Experten.


Wien. Die Begeisterung unter Strafrechtsexperten und NGOs hält sich in Grenzen. Die Auswirkungen der letzten Strafrechtsreform seien noch nicht einmal evaluiert, schon verschärft die Regierung erneut das Strafrecht. An die 50 Maßnahmen hat die von der ÖVP-Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler, geleitete Taskforce ausgearbeitet. Am Mittwoch soll die Reform den Ministerrat passieren.

Die Reform trifft auf eine gesellschaftspolitische Debatte, die aufgrund gehäufter Fälle von Gewalt gegen Frauen in den vergangenen Wochen und Monaten stark emotionalisiert. Härtere und höhere Strafen besonders für Sexualstraftäter sollen her, das hatten Vertreter von ÖVP und FPÖ schon während der Koalitionsverhandlungen durchklingen lassen.

"Eher populistisch" und "mehr ein Zeichen hin zum Wähler als ein positiver Beitrag" nannte Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags, die geplanten Maßnahmen. "Immer dann, wenn medienträchtige oder besonders grausame Straftaten passieren, erschallt der Ruf nach höheren Strafen", so Wolff. Es gebe "keine wissenschaftlich fundierten Belege", die die Wirksamkeit höherer Strafen belegen würden, sagt Richterpräsidentin Sabine Matejka. Viel wichtiger seien Opferschutz und Täterarbeit. Es gehe keineswegs nur um die Strafverschärfungen, es sei ein ganzes Paket geplant, kontert man im Büro von Edtstadler. Genau hier erwarten sich Bewährungshelfer und Experten aus der Männer- und Anti-Aggressionsarbeit mehr von der Regierung. Wie sind die - bisher bekannten - Strafrechtsänderungen aus juristischer und aus Expertensicht zu bewerten?

Höhere Mindeststrafen bei Vergewaltigung

Mindestens ein Jahr bis maximal zehn Jahre Haft, das ist der aktuell gültige Strafrahmen bei Vergewaltigung. Der Regierungsvorschlag sieht nun eine Verdoppelung der Mindeststrafe auf zwei Jahre vor.

"Das ist, gemessen an den Strafrahmenskategorien ein sehr untypischer Rahmen", sagt der Linzer Strafrechtsexperte Alois Birklbauer. Außerdem sehe die Gesetzeslage schon jetzt ein deutlich erhöhtes Strafmaß vor: "Sobald mit der Tat eine schwere Körperverletzung im Spiel ist - zum Beispiel, wenn die durch die Tat erlittene Gesundheitsbeeinträchtigung, auch im psychischen Sinn, über den Zeitraum von 24 Tagen hinausgeht -, gilt automatisch eine Mindeststrafe von fünf Jahren", erklärt der Strafrechtsexperte der Universität Linz. Auch der Rahmen sei dann auf 15 Jahre Haft erweitert. Die Regierung lege strafrechtspolitisch den "Rückwärtsgang" ein: "Beim schweren Raub hat man 2015 das Mindeststrafmaß von fünf Jahre auf ein Jahr gesenkt, da es zahlreiche Fälle gab, wo eine fünfjährige Haftstrafe als zu hoch angesehen wurde." Nun aber gehe man den gegenteiligen Weg.

"Der Strafrahmen ist ja dazu da, eine für den Einzelfall passende Strafe zu verhängen", sagt Birklbauer. So aber werde den Richtern der Spielraum genommen. Im Gegenteil: Die Verschärfung könnte sogar nach hinten losgehen. Beispiel Verbotsgesetz: Weil es dort bis in die 90er Jahre sehr hohe Mindeststrafen gab, habe man vor Gericht häufig ‚Kunstgriffe‘ angewandt, um eben nicht das hohe Strafmaß verhängen zu müssen - oder eben die Angeklagten häufig freigesprochen. Als das Mindeststrafmaß schließlich gesenkt wurde, stiegen die Verurteilungen plötzlich signifikant. "Diese Dynamiken sind uns bekannt", warnt der Strafrechtler.

Keine gänzlich bedingte Strafnachsicht mehr

Im aktuell geltenden Strafrecht kann lediglich eine Haftstrafe von maximal zwei Jahren gänzlich bedingt nachgesehen werden. Auch das will die Regierung nun ändern - wie genau, das war am Montag vom Büro Edtstadler nicht in Erfahrung zu bringen. Wird die Mindeststrafdrohung, um beim Beispiel Vergewaltigung zu bleiben, gleichzeitig auf zwei Jahre erhöht, so könnte nur in diesem Fall die Strafe gänzlich bedingt nachgesehen werden.

Birklbauer befürchtet jedoch, dass die Regierung den Entfall einer gänzlich bedingten Nachsicht der Haftstrafe für den gesamten Bereich Sexualstrafrecht festschreiben will. Auch hier werde den Richtern wichtiger Handlungsspielraum genommen. "Bei der bedingten Strafnachsicht geht es ausschließlich um die präventive Prognose - braucht der Täter die volle, einen Teil oder keine Strafe?" Zudem sei die Zahl der verhängten gänzlich bedingten Haftstrafen bei Vergewaltigung verschwindend gering. "Hier will man offenbar ein bewusstes politisches Signal setzen: Auch dieser kleine Prozentsatz soll nun in jedem Falle ins Gefängnis", sagt Birklbauer.

Die Möglichkeit eines bedingten Strafnachlasses gänzlich auszuschließen habe man in den späten 80er Jahren abgeschafft. "Retro-Politik", fasst Birklbauer zusammen. Man wolle offenbar liberale Regelungen im Strafrecht zurückdrehen.

Eine Erhöhung des Strafrahmens sei seitens der NGOs in Edtstadlers Task Force nie gefordert worden, sagt Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser. Ihr geht es vor allem um eine höhere Verurteilungsquote. Diese liegt aktuell nur bei etwa 13 Prozent. Weil der absolute Großteil der Vergewaltigungen oder anderer Verstöße gegen die körperliche Integrität im direkten Umfeld der Opfer - also durch Verwandte, Nachbarn, Bekannte - geschehe, kämen zahlreiche Fälle erst gar nicht zur Anzeige, so die Kritik vieler Experten. Höhere Strafen, das befürchtet auch Rösslhumer, könnten die Bereitschaft der betroffenen Frauen, sich juristisch zu wehren, sogar noch herabsetzen.

Höhere Höchststrafen für Wiederholungstäter

Eine Anhebung der Höchststrafe für Wiederholungstäter ist auch schon jetzt möglich. Wer bereits zweimal wegen eines ähnlichen Delikts zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, dem droht beim dritten Mal ein um die Hälfte höheres Höchststrafmaß. "Das wird nun von einer Soll- zu einer Muss-Bestimmung", heißt es aus dem Büro der Staatssekretärin. Diesem Zugang kann auch Strafrechtler Birklbauer etwas abgewinnen - "wenn der Sicherungsaspekt im Vordergrund steht." Wirklich neu sei der Zugang nicht.

Unverständnis für die Einwände und die Kritik der Experten zeigte am Montag FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Es könne nicht sein, dass man sagt, Straftaten finden immer statt und da gibt es keine abschreckende Wirkung, so der Vizekanzler.