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Bereitschaftspflicht für Ärzte gekippt

Von Jan Michael Marchart

Politik
© Simon Rosner

Seit dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht das Bereitschaftssystem bundesweit Kopf.


Wien. Im Oktober 2016 brachte ein niedergelassener Arzt aus der Steiermark eine richtungsweisende Klage bei der Schiedskommission des Landes ein. Er bestand darauf, zu keinem eingeteilten Wochenendbereitschaftsdienst verpflichtet zu sein, obwohl ihm dies sein Gesamtvertrag mit der örtlichen Krankenkasse und Ärztekammer grundsätzlich vorschreibt. Der Arzt bestritt, dass es dafür eine rechtliche Grundlage gebe, im Gegenteil, der Bereitschaftsdienst in der Steiermark sei lediglich "gelebte Praxis".

Die Kommission wies die Beschwerde des Arztes mit der Begründung ab, dass die rechtliche Grundlage laut Gesamtvertrag bestünde. Der Verwaltungsgerichtshof als oberste Instanz sieht das anders. Der Bereitschaftsdienst sei in der Steiermark nicht gesetzlich geregelt. "Die förmliche Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes (...) war im vorliegenden Fall bis zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht unstrittig nicht erfolgt", heißt es im Spruch des Gerichtshofs.

Seit dem Urteil, das vor drei Wochen ergangen ist, steht das Bereitschaftssystem bundesweit auf dem Kopf. Die Entscheidung zwingt laut Bundesärztekammer sechs von neun Bundesländern zum Handeln, weil es dort keine rechtliche Grundlage, demnach keine Verordnung durch die Landeskammern, für Bereitschaftsdienste gibt. In Niederösterreich ruft die Ärztevertretung ihren Kollegen schon flehend zu: "Bitte macht freiwillig weiter."

Ärztekammer ist am Zug

Der Bereitschaftsdienst an Feiertagen und Wochenenden ist in den jeweiligen Bundesländern nach Sprengeln eingeteilt. In diesen wechselten sich die bisher "verpflichteten" Ärzte nach Diensträdern untereinander ab - aber auch hier lasse der Gesamtvertrag "keine Rückschlüsse auf die Anzahl der Bereitschaftsdienste zu, die von den Ärzten im Dienstsprengel zu verrichten seien", urteilt der Verwaltungsgerichtshof. Wie oft also der einzelne Vertragsarzt dazu verpflichtet ist, einen Bereitschaftsdienst zu leisten, "sei nicht geregelt".

Organisiert wird die Bereitschaft durch die jeweilige Landesärztekammer. Diese ist in vielen Ländern nun gefordert, in der jeweiligen Ärztekurie eine Verordnung zu beschließen, um eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Die Einteilung der Dienste muss die Kammer mit der jeweiligen Landeskasse verhandeln.

In Abstimmung mit der Bundesärztekammer bestätigten Burgenland, Niederösterreich und Vorarlberg, eine solche Verordnung erst beschließen zu müssen. Wien und Oberösterreich seien juristisch abgesichert. Auch in Kärnten geht die Gebietskrankenkasse davon aus, dass sie keine Verordnung mehr brauche. Erst mit Februar trat in Kärnten eine Neuregelung zwischen Kasse und Kammer in Kraft, weil die Mediziner wegen schlechter Honorierung bereits damit drohten, ihre Bereitschaftsdienste niederzulegen. In Kärnten werde der Spruch des Gerichtshofs aber noch einmal überprüft. In Tirol schweigt man sich auf Nachfrage aus.

In der Steiermark sieht man den Trubel um den Bereitschaftsdienst gelassen. "Der Bereitschaftsdienst in der Steiermark wird ab 1. April komplett freiwillig sein, das Urteil ist die Bestätigung, das wir auf dem richtigen Weg sind", sagt Norbert Meindl, Vizepräsident der steirischen Ärztekammer und Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Als der steirische Arzt 2016 geklagt hatte, war das noch nicht absehbar.

In der grünen Mark wird ein Visitendienst wie in Niederösterreich mit neuer Sprengelstruktur eingerichtet. 240 Ärzte hätten sich dafür bereits angemeldet. Ob diese auch alle Dienste machen, sei noch nicht vorhersehbar.

In Niederösterreich ist man alarmiert. Auch dort fehlt die gesetzliche Grundlage für den Bereitschaftsdienst. Dutzende Ärzte hätten sich bei der Landesärztekammer bereits gemeldet, hieß es vergangene Woche auf "orf.at". Die Kammer appellierte an die Ärzte, die Dienste freiwillig weiterzumachen, um die gesundheitliche Versorgung sicherzustellen. Der stellvertretende Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in Niederösterreich meinte, dass es bereits Gespräche mit der Landeskrankenkasse gebe. Bis es jedoch zu einer Einigung hinsichtlich de Verordnung kommt, werde es einige Wochen dauern.

Überraschung in Salzburg

Nicht allen Bundesländern ist das Urteil des Gerichtshofs geläufig. In Salzburg war die Ärztekammer zunächst der Meinung, nicht juristisch nachbessern zu müssen, weil die Ärzte im Gesamtvertrag dazu verpflichtet seien. Im Zuge der Recherchen der "Wiener Zeitung" hat man sich dort noch einmal näher erkundigt und kam zum Schluss, doch eine "rechtliche Klarstellung" in Form einer Verordnung durch die Kammer zu brauchen, die man auch zeitnah erarbeiten will. Um die Versorgung müssten sich Patienten aber keine Sorgen machen.

Ein "Symptömchen"

Laut Patientenanwalt Gerald Bachinger droht nun bei aller Ungewissheit berufsrechtlich für Ärzte keine rechtliche Falltür. "Es heißt nicht, dass man Bereitschaftsdienste nicht machen darf, man muss sie nur nicht machen, wenn es keine rechtliche Grundlage dafür gibt", sagt Bachinger. Die Absicherung bei der Berufsausübung sei durch das Ärztegesetz gegeben. Ärzte arbeiten im Schadensfall auch bei einem freiwilligen Bereitschaftsdienst in keinem Graubereich: "Sie brauchen keine Konsequenzen fürchten."

Für Bachinger ist die rechtliche Causa um den Bereitschaftsdienst ein weiteres "Symptömchen" eines viel größeren Bildes, das mit Ärztemangel und der Unattraktivität des Arztberufs zusammenhängt. "Wir müssen raus aus dem Korsett der Vertragsfeindschaft", sagt der Patientenanwalt. Ärztekammer und Gebietskrankenkasse seien nicht mehr fähig, den Versorgungsauftrag, den sie haben, durchzuführen. Sie würden sich nur noch blockieren und in ihren starren Systemen verharren. "Darum boomt auch der Wahlarztbereich", sagt Bachinger. "Weil der sich außerhalb des Knebelgesamtvertrages bewegt." Obwohl die Patienten doppelt in die Gelbörse greifen müssen, seien Patienten, Ärzte und das System zufrieden, weil die Versorgung gewährleistet wird.