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Ethikunterricht für (fast) alle

Von Werner Reisinger

Politik

Der Bildungsminister setzt um, was seit über 20 Jahren diskutiert wird. Experten fordern das Fach Ethik für alle Schüler.


Wien. Seit nunmehr 22 Jahren schwelt die gesellschaftliche und politische Debatte, jetzt aber ist es so weit: Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) implementiert den Ethikunterricht in den Schulen. Ab dem Schuljahr 2020/21 werden zunächst Oberstufenschüler, die sich vom konfessionellen Religionsunterricht abgemeldet haben, zweimal pro Woche den Ethikunterricht besuchen - und zwar verpflichtend. Laut Faßmann soll dies nur der erste Schritt sein, schon ab 2021 könnte ein Pilotversuch auch an den Unterstufen stattfinden. Auch in den Volksschulen soll es künftig Ethikunterricht geben, so der Minister.

Die mittlerweile zahlreichen Schulversuche - gestartet wurde 1997 an damals acht Schulen - dienen dem nun geplanten Pflichtunterricht als Vorbild. Mehr als 16 Prozent der Oberstufen-Standorte beteiligen sich schon jetzt an dem Schulversuch. Inhaltlich nennt Faßmann drei Säulen: erstens einen respektvollen Umgang untereinander, das Lernen universeller Werte wie Toleranz und Pluralismus, Fragen von Gewalt und Interessengegensätzen; zweitens die Frage des Umgangs mit der Umwelt und unseren Lebensgrundlagen, Nachhaltigkeit und Fairness in Handel und Ökologie; sowie drittens einen Überblick über das religiöse Leben und die philosophischen und weltanschaulichen Grundlagen und Strömungen der verschiedenen Glaubensgemeinschaften und Religionen. Das Bildungsziel: die Schaffung eines gemeinsamen Fundaments des gesellschaftlichen Miteinanders.

Zwar seien durch die Schulversuche bereits hunderte Lehrkräfte für den Ethikunterricht ausgebildet. Diese reichen jedoch für die flächendeckende Einführung ab 2020 nicht aus und so drängt die Zeit, bis dahin genügend Lehrer weiterzubilden.

Weiterbildungs-Interesse "quer durch alle Fächer"

Das sei kein Problem, heißt es aus dem Bildungsministerium. Die Schulversuche hätten gezeigt, dass in der Lehrerschaft ein großes Interesse an der Weiterbildung zum Ethik-Lehrer bestehe. Ein Grund dafür sei sicher die inhaltliche Breite des Fachs, so eine Sprecherin des Ministeriums.

Konkret will Faßmann in den kommenden eineinhalb Jahren ein Ausbildungsmodell anbieten, in dem vor Beginn der Lehrtätigkeit, also noch im Studium, 30 ECTS-Punkte an Unis und Pädagogischen Hochschulen vorschreiben, weitere 30 ECTS-Punkte müssen dann berufsbegleitend absolviert werden. Heißt konkret: Lehrer beginnen ab 2020 nur mit einer zur Hälfte abgeschlossenen Ausbildung, das Fach Ethik zu unterrichten. Das Geld dafür stehe grundsätzlich bereit, sagt Faßmann, Gespräche mit dem Finanzminister werde er aber dennoch führen müssen.

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Wieso es aber keinen Ethikunterricht für alle geben wird, wie dies die SPÖ, die Neos, aber auch zahlreiche Bildungsexperten fordern, argumentiert Faßmann damit, dass im konfessionellen Religionsunterricht Ethik ohnehin bereits implementiert sei: "Religionsunterricht ohne Ethik ist nicht vorstellbar."

Auch die These, dass es vor allem Religionslehrer sein werden, die sich zum Ethik-Professor weiterbilden könnten, stellt man im Bildungsministerium in Abrede. Auch in den Schulversuchen habe sich gezeigt, dass das Interesse an der Weiterbildung "quer durch die Fächer" geht.

Der Wiener Soziologe Kenan Güngör begrüßt vor allem, dass geplant sei, den Ethikunterricht verpflichtend auch auf andere Schulformen auszuweiten. In AHS und BHS würden sich häufig Schüler mit einer höheren Bildungsperformance finden. Auch in Schulen wie dem Polytechnikum oder den Handelsschulen Ethik zu unterrichten, käme also einer notwendigen Ausweitung auf Schüler mit geringerer Bildungsleistung gleich, sagt Güngör. Auch dass vom Religionsunterricht abgemeldete Schüler statt dem "Kaffeehaus", wie es Faßmann ausdrückt, nun verpflichtenden Ethikunterricht besuchen müssten, sei zu begrüßen.

Dass Ethikunterricht vor allem auch muslimischen Schülern zugutekommt, da sich diese häufig schon in der Unterstufe mit Zustimmung ihrer Eltern vom Religionsunterricht abmelden würden, um am Nachmittag in der Moschee Religionsunterricht zu besuchen, wie dies das Bildungsministerium gegenüber der "Wiener Zeitung" argumentiert, sieht der Soziologe aber differenzierter.

Religionsunterricht ist intransparent

Tendenziell, sagt Güngör, würden die "Abmelder" unter den Muslimen eher aus bildungsaffinen Familien kommen, also Familien, in denen ohnehin ein erweiterter Wertekontext gepflegt werde. Auch Güngör plädiert für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler. "Wenn nur 17 Prozent in den Ethikunterricht gehen und 83 Prozent weiter den konfessionellen Unterricht besuchen, wird das Bildungsziel eines gemeinsamen Fundaments für das gesellschaftliche Miteinander nicht zu erreichen sein."

Auch dass im konfessionellen Unterricht Ethik abgedeckt werde, wie man im Bildungsministerium argumentiert, stellt der Soziologe in Frage - und zwar bezüglich aller Religionsgemeinschaften. Vor allem der muslimische Religionsunterricht sei nach wie vor eine "Baustelle". Nicht nur hier mangle es aber an Transparenz: "Wir haben keine belastbaren Daten, wie viel Ethik im konfessionellen Unterricht tatsächlich unterricht wird." Was die Mehrheit, also die katholischen Schüler, betrifft, vermutet Güngör erhebliche Unterschiede zwischen Schulen in urbanen und solchen in ländlichen Gebieten. "Welche Bilder werden vermittelt, welches Ethik-Verständnis? Das muss man sich einmal genau ansehen." Man müsse in Frage stellen, ob man Ethik-Unterricht den Religionsgemeinschaften überlassen wolle. Schlussendlich müsse das Ziel eine demokratiekulturelle Schulentwicklung sein, die bei Jugendlichen die Basis für demokratische Grundwerte und ein entsprechendes Bewusstsein schaffen müsse, sagt Güngör.

In der Tat geht der internationale Trend weg von konfessionellen Religionsstunden, hin zu einer umfassenderen Ethikbildung an Schulen. Luxemburg ersetzte 2017 den konfessionellen Religionsunterricht gänzlich durch Ethikunterricht, selbst im katholisch geprägten Irland findet seit einem Jahr nur noch multireligiöser Unterricht statt. Experten sehen darin eine Reaktion auf die demografische Veränderung der Gesellschaften, der zunehmende gesellschaftliche Pluralismus werde so auf Bildungsebene abgedeckt.