Zum Hauptinhalt springen

Krankenkassen rüsten gegen Chaos für Versicherte nach der Fusion

Von Karl Ettinger

Politik
Viel Sand im Getriebe bei der Reform der Sozialversicherung.
© Illustration: wz/Adobe/djvstock

Betroffenen und Landespolitikern stehen Überraschungen bevor. SPÖ-Verfassungsklage ist fix.


Wien/Linz. Seit Freitag ist klar, an welchen Stellen die SPÖ mit juristischen Hebeln die Reform der Sozialversicherung kippen möchte. Vorrangig geht es darum, dass nun die Dienstgeber mit der Parität zu den Arbeitnehmern das Sagen in der bisher SPÖ-dominierten Krankenversicherung haben. Damit ist die nach außen hin herrschende Ruhe um den Umbau des Sozialversicherungsimperiums, voran um die Fusion der neun Gebietskrankenkassen, mit einem Schlag durchbrochen.

Hinten den Kulissen sind speziell in den Gebietskrankenkassen (GKK) die Vorkehrungen für die Zusammenlegung auf eine österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) ab 1. Jänner 2020 jedoch schon seit Wochen im Laufen. Angesichts der knappen Zeit von nicht einmal einem Jahr auf die Mega-Fusion sind den noch amtierenden Kassenverantwortlichen die Schwierigkeiten richtig bewusst geworden. "In einigen Bereichen sind uns wirklich die Schweißperlen auf der Stirn gestanden", schildert ein Insider der "Wiener Zeitung". Eines steht trotz aller Bemühungen um einen reibungslosen Übergang für rund sieben Millionen Krankenversicherte und Vertragspartner wie die Ärztevertretungen fest: "Ohne Improvisieren ist es gar nicht möglich."

Was kommt auf die Kassen zu, sodass es für Beitragszahler und Patienten der Gebietskrankenkassen nach der Umstellung möglichst ohne Probleme im täglichen Betrieb weitergeht? Ab 2020 gibt es als Folge der Fusion der neun Länderkassen keine örtliche Zuständigkeit mehr für Niederösterreicher, Vorarlberger oder Steirer. Das bedeutet, wenn ein Mann aus Mödling, der in Wien arbeitet, am 2. Jänner kommenden Jahres, weil er gerade Urlaub hat, ins Kassen-Kundencenter Mödling geht und beklagt, ihm sei vor Weihnachten das Krankengeld nicht richtig berechnet worden, sollte dieser Auskunft erhalten. Das wäre aber allein technisch nicht möglich, weil bisher der Betroffene wegen seines Jobs in Wien bei der Wiener GKK versichert war und die Datensätze der Gebietskrankenkassen unterschiedlich und nicht kompatibel sind.

Geld der Beitragszahlerohne Länder-Mascherl

Ein anderes Beispiel, welche Probleme bei den Ärzten auftauchen: niedergelassene Ärzte rechnen derzeit mit der Wiener GKK ab, die NÖGKK ersetzt der Wiener Kasse hinter den Kulissen Kosten für "Fremdpatienten". Mit der Fusion 2020 werden solche Mehrkosten nicht mehr ersetzt. Das hat recht deutliche finanzielle Verwerfungen zur Folge. Insgesamt geht es dabei um einen dreistelligen Millionenbetrag in Euro.

Spätestens dann dürften Landespolitiker vor allem aus dem ÖVP-Lager blamiert dastehen, die ihr Ja zur Fusion der Gebietskrankenkassen mit dem Versprechen verknüpft haben, das Geld der Beitragszahler werde weiter im Bundesland bleiben. Dabei wird es nicht einmal möglich sein, festzustellen, wie viel Geld zum Beispiel von der niederösterreichischen Bevölkerung eingezahlt wird. Es wird keine Auswertungen der Beitragszahlungen zur Krankenversicherung nach dem Wohnsitz der Versicherten geben. Derzeit ist es so, dass ein Arbeitnehmer in jenem Bundesland versichert ist, in dem sein Unternehmen seinen Sitz hat und er beschäftigt ist.

Eine andere Konsequenz trifft Versicherte nach der Fusion nicht direkt, könnte aber in weiterer Folge zu Schwierigkeiten führen. Technische Weiterentwicklungen in der Sozialversicherung, auch im Zuge der Digitalisierung, sind aufgeschoben worden. Denn nach dem Beschluss der Kassenfusion im Nationalrat im Dezember des Vorjahres werden jetzt einmal alle Kräfte im IT-Bereich in die Umsetzung und Bewältigung der Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen gesteckt.

Erschwerend kommt hinzu, dass noch andere gesetzliche Vorgaben der türkis-blauen Koalition parallel dazu erfüllt werden müssen: Dazu zählt die ebenfalls 2020 anlaufende Umstellung auf E-Cards mit einem Foto sowie von der Regierung angekündigte Änderungen für Personen mit geringem Einkommen, die bei der Steuerreform durch eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge entlastet werden sollen. Das muss alles erledigt werden, während IT-Experten am Arbeitsmarkt dringend gesucht werden.

Für die Österreicher und die Versicherten sichtbar wird die Reform der Sozialversicherungen, bei der aus 21 nun fünf Sozialversicherungsträger werden, schon bald. Ab 1. April treten die Staatskommissäre ihr Amt an, die bis Ende Juni 2019 die Aufgabe haben werden, die Überleitung zur neuen Führung sicherzustellen. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (ÖVP) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger haben für die kommenden Wochen Neuerungen in den Überleitungsgremien der Träger in einer Aussendung angekündigt.

Wie Leser der "Wiener Zeitung" seit längerem wissen, steht das Duo, das den Übergang abwickeln soll, fest: Es sind dies die früheren Sektionschefs Walter Pöltner, der im Sozialministerium tätig war, und Ingrid Nemec, Ex-Pressesprecherin von Wirtschaftsminister Martin Bartenstein und zuletzt im Familienministerium. Mitte März ist die offizielle Bekanntgabe zu erwarten.

Während der Umbau ab April anläuft, ist jetzt die von der SPÖ angekündigte Klage beim Verfassungsgerichtshof gegen die Reform der Sozialversicherung fix. Sie wird laut SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kommende Woche beim Höchstgericht eingebracht.

SPÖ listet sechs Punkte als verfassungswidrig auf

Die SPÖ nützt dafür ihre Drittelmehrheit im Bundesrat. Rendi-Wagner warnte am Freitag, dass damit ein funktionierendes Gesundheitssystem zerschlagen und eine "Drei-Klassen-Medizin" für Bauern und Selbständige, Beamte sowie Arbeitnehmer geschaffen werde.

Die SPÖ hält - unterstützt vom früheren Verfassungsrichter Rudolf Müller - sechs Punkte für verfassungswidrig. Neben der Parität - und damit Aufwertung - der Dienstgeber in der neuen Gesundheitskasse geht es um Eingriffe in die Selbstverwaltung durch Personalbefugnisse für die Regierung sowie um die Beitragsprüfung durch die Finanz.

Weiters wird das Effizienzgebot durch die Kassenfusion angefochten. Die Klage betrifft außerdem die erhöhten Anforderungen an die neuen Versichertenvertreter, die Ausgestaltung des neuen Dachverbandes und den Zwangstransfer von Bediensteten (Prüfern) der Krankenkassen zum Prüfdienst der Finanz.