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Bund zwingt Ländern neue Sozialhilfe auf

Von Karl Ettinger

Politik

Die Regierung warnt nach Beschluss Wien vor Verstoß gegen die Verfassung. Übergangsfrist läuft nun bis 1. Juni 2021.


Wien/Salzburg. "Ich gehe nicht davon aus, dass ein Bundesland vorhat, gegen die Verfassung zu verstoßen." Bundeskanzler ÖVP-Obmann Sebastian Kurz verknüpfte am Mittwoch den Beschluss der neuen Sozialhilfe (bisher Mindestsicherung) im Ministerrat mit einer ausdrücklichen Warnung an die Bundesländer, allein voran Wien. Mit der Reform nimmt die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung nicht nur Verschärfungen beim Bezug der Sozialhilfe speziell für Zuwanderer aus dem Ausland und Familien mit mehreren Kindern vor. Türkis-Blau und der Bund boxen damit trotz heftiger Kritik die Reform der Mindestsicherung als verpflichtende Vorgabe für alle neun Länder durch.

Das einzige größere Zugeständnis an die Bundesländer wurde erst nach dem Ministerrat bekannt. Die neue Sozialhilfe soll als Grundsatzgesetz mit 1. Juni dieses Jahres in Kraft treten. Die Länder haben dann sechs Monate Zeit, neun eigene Gesetze für die Umsetzung zu beschließen. Fix ist jetzt aber, dass die türkis-blaue Koalition für Übergangslösungen einen Zeitraum bis zum 1. Juni 2021 lässt. Damit wird auf Kritik von Länderseite reagiert, dass eine längere Übergangsphase beim Vollzug notwendig sei.

Inhaltlich gibt es in der Regierungsvorlage gegenüber dem Gesetzesentwurf von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) trotz 150 großteils kritischen Stellungnahmen auf gut 1000 Seiten nur in wenigen Punkten Änderungen. Das gilt speziell für einen Punkt: Für Behinderte muss es verpflichtend einen Zuschlag von 30 Prozent geben, bisher war eine Kann-Bestimmung für die Regelung in den Ländern vorgesehen.

Maximal 885 Euro netto je Monat für Alleinstehende

Die Bundesregierung lässt bei den Kernpunkten der Umwandlung der Mindestsicherung in die neue Sozialhilfe nicht locker. Das bedeutet: Ein Alleinstehender erhält heuer maximal 885 Euro netto im Monat als Sozialhilfe. Das entspricht der Ausgleichszulage für Mindestpensionisten. Die Regierung verteidigte ihr Vorhaben mit dem Argument, damit werde der Zuzug in das österreichische Sozialsystem gebremst und die Neuregelung sei "gerechter".

Wie hoch die Einsparungen sein werden, ließ die Sozialministerin offen, weil dies, so ihre Argumentation, von der Umsetzung in den Ländern abhänge. Insgesamt wurden 2017 in Summe 977 Millionen Euro für die Mindestsicherung ausgegeben.

Am Mittwoch drehte sich die Diskussion vor allem um etwaige Widerstände von Länderseite, wie das Wien bereits angedroht hat. Kurz, Hartinger-Klein sowie Vizekanzler Heinz-Christian Strache und ÖVP-Klubobmann August Wöginger machten nach dem Ministerrat deutlich, dass die Koalition ein Ausscheren einzelner Länder nicht hinnehmen wird. Wie Kurz betonte Sozialministerin Hartinger-Klein, sie habe viele Gespräche mit den Ländern zur Neuregelung der Mindestsicherung geführt, was von Länderseite allerdings heftig bestritten wird. "Man soll Themen nicht zerreden und zerdiskutieren", sagte die FPÖ-Politikerin.

Damit findet der Schlagabtausch um Verschärfungen bei der neuen Sozialhilfe mit der rot-grünen regierten Bundeshauptstadt Wien eine Fortsetzung. Hintergrund dafür ist, dass im Jahr 2017 mehr als die Hälfte der österreichweit rund 307.000 Bezieher einer Mindestsicherung in Wien gelebt haben. ÖVP-Klubchef Wöginger heizte diese Auseinandersetzung mit einem Seitenhieb auf Wien zusätzlich an: "Die Bundeshauptstadt Wien müsste dieser Bundesregierung eigentlich dankbar sein für dieses Grundsatzgesetz."

Davon kann bei den Wiener Stadtpolitikern allerdings keine Rede sein. Im Gegenteil: Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) feuerte scharf zurück und warnte vor einer "Destruktion des Sozialsystems". Seine Koalitionskollegin, die Sozialsprecherin der Wiener Grünen, Birgit Hebein, sprach von einem "Armutsförderungsgesetz".

Treffen der Ministerin mit Soziallandesräten am 8. April

Aber nicht nur mit den Kürzungen etwa für Familien mit mehreren Kindern sind vor allem rote und grüne Soziallandesräte nicht einverstanden. Den Landespolitikern stößt besonders sauer auf, dass sie erst für den 8. April von der Sozialministerin zu einem weiteren Treffen eingeladen werden.

Salzburgs Soziallandesrat Heinrich Schellhorn (Grüne) war ebenfalls verärgert, weil man die Länder jetzt vier Wochen vor dem Termin vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Inhaltlich äußerte Schellhorn, der derzeit turnusmäßig Vorsitzender der Konferenz der Soziallandesräte ist, nochmals scharfe Kritik. "Die Bundesregierung nennt es zwar Sozialhilfe, von Hilfe ist jedoch weit und breit keine Spur zu erkennen. Stattdessen wird der Rotstift genau bei denen angesetzt, die eh schon weniger zum Leben haben", meinte Schellhorn.

Im Rahmen eines gemeinsamen Pressegesprächs von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, dem Chef der Landeshauptleutekonferenz, Kärntens Peter Kaiser (beide SPÖ), und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) im Wiener Rathaus zu den Brexit-Folgen wurden hingegen Journalistenfragen zur Sozialhilfe vehement abgeblockt. Damit wurden offene ausgetragene Differenzen zwischen roten und schwarzen Landeschefs zur Reform der Mindestsicherung vermieden.

An dieser scheiden sich aber die Geister. Ludwig und Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) zeigten sich am Rande der Sitzung der Landeshauptleute verärgert über die Vorgangsweise der Bundesregierung. Ob man die Vorgaben des Bundes umsetzen oder diese mit rechtlichen Mitteln bekämpfen wird, blieb vorerst allerdings offen. ÖVP-Landeshauptleute wie Mikl-Leitner, der Steirer Hermann Schützenhöfer, der Oberösterreicher Thomas Stelzer und Tirols Günther Platter stehen hinter der Reform und haben keine Freude mit der Haltung der SPÖ-Landespolitiker.

Was sind die wichtigsten Neuerungen, an denen die Bundesregierung festhält?

Bürger der EU und aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) haben erst nach fünfjährigem rechtmäßigem Aufenthalt in Österreich einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe. Gleiches gilt für Ausländer, die aus einem Staat außerhalb der EU kommen. Ausnahme: Anerkannte Flüchtlinge (Asylberechtigte) haben die gleichen Rechte wie Österreicher. Allerdings erhalten Ausländer und Asylberechtigte statt 885 Euro netto im Monat nur 585 Euro Sozialhilfe als Geldleistung. 300 Euro werden abgezogen und gelten als Sachleistung für Deutschkurse. Die Länder müssen diese Vorgabe vollziehen.

Voraussetzung für den Bezug der Sozialhilfe ist grundsätzlich Arbeitsbereitschaft. Vor dem Erhalt der Sozialhilfe muss zuerst Vermögen bis zur Untergrenze von 5200 Euro aufgebraucht werden. Neu ist, dass bei einem Bezieher mit einer Wohnung oder einem Haus künftig erst nach drei Jahren mittels Sicherstellung im Grundbuch von der Gemeinde auf Vermögen zugegriffen werden darf.

In Regionen mit höheren Wohnungskosten - etwa in der Stadt Salzburg - darf künftig als Härtefall die Sozialhilfe bis zu 30 Prozent auf maximal 1122 Euro pro Monat erhöht werden. Dies muss aber jeweils im Einzelfall geprüft und gewährt werden.