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"Fordern und Sanktionieren" statt "Fördern und Fordern"

Von Werner Reisinger

Politik

SOS Mitmensch und Experten kritisieren mit "Desintegrationsbericht" die Regierungsarbeit.


Wien. Von Integrationsbemühungen will man bei SOS Mitmensch nicht reden. Nach über einem Jahr ÖVP-FPÖ-Regierung zieht die NGO, zusammen mit Politikwissenschaftern, Integrationsexperten und Sprachwissenschaftern, Bilanz über die Politik der Regierung, was Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern angeht. Und der am Montag vorgelegte Bericht lässt kaum ein gutes Haar an der Entwicklung.

Das von Sebastian Kurz in seiner Amtszeit als Integrationsstaatssekretär ausgegebene Losung vom "Fördern und Fordern" sei durch "Fordern und Sanktionieren" ersetzt worden, kritisiert SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak. Integrationsfördernde Projekte seien gekürzt oder eingestellt und stattdessen neue Hürden beim Zugang zu Ausbildung und Arbeit eingeführt worden. Auf fast 40 Seiten behandelt der Bericht sieben Handlungsfelder, von Arbeit, Bildung, Asyl und Bleiberecht über Wohnen, Rechtsstaat bis zu Soziales und Werte.

Drei Viertel der Maßnahmen, schreiben die Autoren des Berichts, seien desintegrativ: Dazu zählen etwa das Verbot der Lehre für Asylsuchende, die Kürzungen und Ausschlüsse bei der Sozialhilfe und die Ablehnung integrativer Maßnahmen für Flüchtlinge.

Erschwerter Spracherwerb

Andrea Eraslan-Weninger, Geschäftsführerin des Wiener Integrationshauses, kritisiert an der geplanten Bundesasylagentur vor allem die Verstaatlichung der Rechtsberatung für Asylwerber. Sie sieht die Unabhängigkeit der Beratung für Geflüchtete in Frage gestellt. Besonders aber den Ausschluss von subsidiär Schutzberechtigten jungen Menschen kritisiert sie als "verheerend" für deren Chancen, in Österreich beruflich und sozial Fuß zu fassen.

Der Sprachwissenschafter Hans-Jürgen Krumm sieht vor allem die Kürzungen der Budgetmittel für Integration kritisch. Zudem sei die Trennung von schlechter Deutsch sprechenden Kindern in der Schule kontraproduktiv. Das Stigma der Trennung würde fortgesetzt, zudem würden Kinder voneinander und im Sozialisationsprozess Deutsch lernen. Auch die Streichung der Sprachkurse des AMS für Asylwerber bzw. die Umwälzung auf den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) (die in ihrer Ausgestaltung nach wie vor unklar ist) kritisiert Krumm: "Ein Kurs zum Erreichen des A2-Niveaus kostet rund 1000 Euro, jeder Prüfungsantritt zwischen 130 und 150 Euro", spielt der Sprachwissenschafter auf die für viele Flüchtlinge unleistbaren und von Regierungskritikern als zynisch empfundenen Kosten zum Spracherwerb an. Unterstützungsleistungen gibt es diesbezüglich zwar, "diese aber nur rückwirkend", so Krumm, der von einer "politischen Motivation" dieser desintegrativ wirkenden Maßnahmen spricht. Die Politikwissenschafter Gerd Valchars und Oliver Gruber kritisieren ihrerseits die Pläne und Maßnahmen der Regierung im Bereich Staatsbürgerschaft.

Einerseits werde die Wartefrist auf die Staatsbürgerschaft für bereits im Land befindliche Migranten und Flüchtlinge verlängert, andererseits sei geplant, einer Gruppe, "die kleiner ist als die Bevölkerung des Burgenlands" - den deutschsprachigen Südtirolern nämlich -, die Staatsbürgerschaft anzutragen. Als "geschichtsrevisionistisch" bezeichnete Valchars diesen Zugang. So werde ein demokratiepolitisches Problem erzeugt: "Eine Million Nicht-Staatsbürger in Österreich dürfen sich nach wie vor nicht am demokratischen Prozess beteiligen", so die Kritik. Valchars Kollege Oliver Gruber kritisiert ebenfalls eine "völkisch-identitäre Ausrichtung" der staatspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung.

Eingriff in die Grundrechte

So wolle man die Doppelstaatsbürgerschaft "neu denken", bei türkischstämmigen Personen aber sei man mit dem Versuch einer Aberkennung schließlich am Verfassungsgerichtshof gescheitert.

Sanktionierende Maßnahmen wie das Kopftuchverbot an Schulen würden "stark in die Richtung einer einzelnen Religionsgemeinschaft" zielen und einen Eingriff in die Grundrechte darstellen, ebenso das Verbot für Schüler mit Migrationshintergrund, sich in der Pause in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Höchstgerichtliche Entscheidungen diesbezüglich müsse man "genau beobachten", empfiehlt Gruber.

Insgesamt würden Sanktionsinstrumente ausgebaut, während Förderungen rückgebaut würden, sagen die Experten. Verstärkt zu bemerken seien "Konditionierungen sprachlicher oder arbeitsrechtlicher Natur".

Den "Desintegrationsbericht" werde man in Kürze der Regierungsspitze übermitteln, kündigt SOS Mitmensch Sprecher Pollak an. Insgesamt arbeiteten 21 Expertinnen und Experten der verschiedenen Fachrichtungen am Bericht mit.

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