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Identitäre Verstrickungen

Von Werner Reisinger und Jan Michael Marchart

Politik

Die Regierung will volle Aufklärung in der Causa um die Identitäre Bewegung und den Christchurch-Attentäter. Rechtsextremismus-Experten und Juristen halten eine Auflösung der Identitären aber für sehr unwahrscheinlich.


Wien. Volle Aufklärung, "keine Toleranz für gefährliche Ideologien, ganz gleich, aus welcher Ecke sie kommen" - die Regierungsspitze kündigt Härte an. Dieses Mal sind es aber nicht Islamisten oder der politische Islam, die ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und seinen FPÖ-Vize Heinz-Christian Strache auf den Plan rufen, sondern eine seit Jahren in Österreich aktive, rechtsextreme Kaderorganisation, die Identitäre Bewegung. Deren Führungskader sind zumeist akademisch gebildete junge Männer, häufig aus dem völkisch-deutschnationalen Milieu bis hin zu ehemaligen Neonazis.

Nachdem am Dienstag bekannt geworden war, dass jener Rechtsextreme, der vor knapp zwei Wochen im neuseeländischen Christchurch 50 Muslime ermordet hat, dem führenden Kopf der Identitären, Martin Sellner, vor seiner Tat eine Spende von 1500 Euro überwiesen hatte, wird es nun eng für die der sogenannten "neuen Rechten" zugerechnete Organisation: Die Regierungsspitze will die Auflösung der Identitären prüfen, es sei zu untersuchen, ob es weitere Kontakte des Christchurch-Attentäters mit Österreichern gegeben habe. Dieser war wie berichtet noch im Herbst 2018 in Österreich, besuchte unter anderem Steyr, Wien und Klagenfurt. In seinem "Manifest" finden sich zahlreiche ideologische Überschneidungen mit der Propaganda der Identitären. Schon alleine der Titel "der große Austausch" - eine alte Verschwörungsideologie der "Überfremdung" in neuem Gewand - ist ein zentraler Propaganda-Begriff der europaweit agierenden Identitären.

Ob es zu einer Auflösung der rechtlich in Vereinen organisierten Identitären kommt, hätten freilich "die Behörden", konkret das Innenministerium, zu entscheiden, sagte Kurz am Mittwoch nach dem Ministerrat - und zwar "im Rahmen des Rechtsstaates". Im Innenministerium sieht man das offenbar ganz anders. Zuständig für eine etwaige Auflösung sei die Vereinsbehörde, in diesem Fall die Landespolizei Steiermark, schreibt ein Ministeriumssprecher auf eine entsprechende Anfrage.

Der Weg führt nach Graz

Dass der Bundeskanzler das Innenministerium in der Pflicht sieht, hält man dort für ein "politisches Statement", das man "nicht interpretieren" wolle - mit der Bitte, die "rechtlichen Fakten zur Kenntnis" zu nehmen. Von der steirischen Polizei war bis Redaktionsschluss nichts zu erfahren.

Man wolle jedenfalls die Ermittlungen der Grazer Staatsanwaltschaft abwarten, betonen Kurz und Strache: Dort läuft seit April 2018 ein Finanzstrafverfahren rund um die Vereine der Identitären und deren Online-Shop. Aufgrund der Spende lautet der Anfangsverdacht gegen Martin Sellner nun auf Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung.

Der Vorstoß der Regierung erinnert an die Liederbuch-Affäre in der schlagenden, völkischen Burschenschaft Germania. Auch hier kündigte die Regierung medienwirksam ein mögliches Auflösungsverfahren an, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aber wurden eingestellt. Der FPÖ-Spitzenkandidat in Niederösterreich, Udo Landbauer, im Zentrum der Affäre, wurde von seiner Partei inzwischen voll rehabilitiert.

Auch die Entwicklungen rund um die rechtsextremen Identitären sind für die FPÖ alles andere als angenehm. Auf Facebook hatte sich Strache höchstselbst mehrmals eher wohlwollend über die Rechtsextremen geäußert. "Meinungsfreiheit und Aktionsfreiheit innerhalb des gesetzlichen Rahmens! Auch für politisch unabhängige Bürgerrechtsbewegungen!", postete der FPÖ-Chef im April 2016. Das sei die "Bewertungsgrundlage aus dem Jahr 2016" gewesen, rechtfertigte sich Strache auf Journalistenfragen am Mittwoch. In der FPÖ gebe es die Leitlinie, dass, wer bei den Identitären aktiv sei, keinerlei Funktion in der Partei innehaben dürfe. "Die FPÖ hat mit den Identitären nichts zu tun", ließ Strache wissen. Ist dem so?

Die Liste der Verbindung zwischen der FPÖ und den Vertretern einer "nicht-linken Zivilgesellschaft", wie Strache die Identitären auch genannt hatte, ist lang. Da wäre beispielsweise Heinrich Sickl, FPÖ-Gemeinderat in Graz. Seit Jahren entfaltet der Freiheitliche eine beachtliche Aktivität in rechtsextremen Kontexten. Sickl besitzt eine Wohnung in der Schönaugasse in Graz, ebenfalls dort gemeldet ist das "Hacker Zentrum", das nach eigenen Angaben "jungen Patrioten Freiraum" gibt, "in dem sie ihre kulturellen, sozialen und politischen Projekte unterstützt verwirklichen können". An der selben Adresse gemeldet - der Hauptverein der Identitären ("Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität"). "Am Weg #defendeurope", twitterte Sickl am 11. Juni 2016 ein Foto an Identitären-Chef Martin Sellner, zu sehen ein Reisebus und eine Gruppe, die die gelb-schwarze Flagge der Identitären hochhält.

Sickl ist auch Obmann des FPÖ-nahen Freiheitlichen Akademikerverbands Steiermark (FAV), der Mitte November 2015 eine Diskussionsreihe unter dem Titel "Sturm auf Europa" organisierte. Dort referierten laut Ankündigung unter anderem Felix Menzel, Kopf der rechtsextremen Jugend-Postille "blaue Narzisse", Erik Lehnert von Götz Kubitscheks' "Institut für Staatspolitik" (IfS) - und auch Martin Sellner selbst. Ein Foto, das die FPÖ-nahe "Aula" - nach der Veranstaltung, im Dezember - abgedruckt hatte, zeigt Sellner mit den anderen Diskutanten. Menzel stellt seine Teilnahme gegenüber der "Wiener Zeitung" in Abrede. Bei einer Folgeveranstaltung im Juni 2016 referierte laut Einladung des FAV Steiermark neben der langjährigen FPÖ-Abgeordneten Barbara Rosenkranz auch der deutsche Burschenschafter Philipp Stein, Organisator der rechtsextremen Spenden-Kampagne "Ein Prozent", eng verbunden mit den Identitären und dem IfS.

Gegenüber der "Wiener Zeitung" wollte Heinrich Sickl am Mittwoch telefonisch keine Stellungnahme abgeben. Er verwies auf ein nicht näher definiertes "Statement" der FPÖ.

Kongress "Verteidiger Europas"

Sickls neuestes Projekt ist die Neuerscheinung der eingestellten "Aula", die KZ-Überlebende als "Landplage" zu diffamieren suchte: "Freilich Magazin" heißt das Aula-Nachfolgeprojekt, die aktuelle Ausgabe widmet sich ausführlich einer "jungen und modernen Rechten" - vor allem der Identitären. Wenig Berührungsängste mit den rechtsextremen Identitären hat auch Michael Schnedlitz, FPÖ-Stadtrat in Wiener Neustadt. Im Februar 2016 begrüßte er die Identitären bei einer Demonstration: "Ihr seid hier herzlich willkommen." Und schließlich war es Herbert Kickl selbst, der im Oktober 2016 (die "Wiener Zeitung" berichtete ausführlich) beim rechtsextremen Kongress "Verteidiger Europas" in den Linzer Redoutensälen die Eröffnungsrede hielt. Das Zusammentreffen des Who-is-who der rechtsextremen und völkischen Publizistik aus Deutschland und Österreich war von rechtsextremen Medien wie "Info-Direkt" veranstaltet worden, die Identitären waren sowohl in Linz als auch bei der zweiten Auflage des "Kongresses" 2018 im Schloss Aistersheim - Gastredner dort übrigens der Grazer FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio - vertreten.

Angemeldet wurden beide Veranstaltungen von der Linzer Burschenschaft Arminia Czernowitz ("Ehre, Freiheit, Vaterland!"). Sie ist das, was man ein Bindeglied zwischen der oberösterreichischen FPÖ und dem Milieu rund um die Identitären bezeichnen könnte: In der "Villa Hagen" der schlagenden, deutschnationalen Verbindung befindet sich auch eine der Vereinslokalitäten der österreichischen Identitären. Gleichzeitig sind zahlreiche Politiker der Linzer FPÖ in der Verbindung aktiv: Vizebürgermeister Detlef Wimmer beispielsweise, oder der FPÖ-Stadtrat Markus Hein, dessen Mitarbeiter wiederum Bezüge zu "Info-Direkt" aufweisen.

Nun also soll die Auflösung der Identitären geprüft werden. Doch dass diese durchgeht, daran glauben weder Vereinsrechtsexperten wie Maximilian Kralik noch Extremismus-Forscher wie Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands. "Im konkreten Fall habe ich große Zweifel, weil ich nicht sehe, auf welcher rechtlichen Grundlage das erfolgen soll, sofern nicht neue Erkenntnisse zutage kommen", sagt er. Die Spende des Christchurch-Attentäters allein wäre nicht ausreichend. Die Freiheitlichen sieht Weidinger an einem Punkt, an dem man jede Assoziierung mit den Identitären vermeiden möchte. "Wenn man in Terrornähe gerückt wird, ist man gut beraten, die Reißleine zu ziehen."

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Update: In einer früheren Version des obigen Artikels war fälschlicherweise von einer FAV-Diskussionsveranstaltung 2016, an der u.a. Martin Sellner und Felix Menzel teilgenommen hatten, zu lesen. Besagte Veranstaltung fand im November 2015, der zweite Teil im Juni 2016 statt. Wir bedauern den Fehler.