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Auflösungsversuch mit Hindernissen

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik

Dass die rechtsextremen Identitären aufgelöst werden, ist eher unwahrscheinlich, sagen Juristen und Experten.


Wien. Es ist ein extrem wackeliger Ermittlungstatbestand, den Kanzler Sebastian Kurz und dessen Vize Heinz-Christian Strache Anfang dieser Woche gegen die rechtsextremen Identitären anstrengten. Für eine Vereinsauflösung liegt bisher "nur" eine externe Spende des rechtsextremen Christchurch-Attentäters Breton Tarrant an den führenden Kopf der österreichischen Identitären, Martin Sellner, vor. Tarrant hatte vor zwei Wochen in der neuseeländischen Stadt 50 Muslime ermordet. Die Spende erfolgte über ein Jahr vor dem Attentat, Anfang Jänner 2018.

Bemerkenswert: Einige Monate nach der Spende an Sellner, im Herbst 2018, reiste der Attentäter nach Österreich, besuchte unter anderem Wien, Steyr und Klagenfurt. Wo er genau war und auch, ob er auf der Reise jemanden getroffen hat, ob es weitere Bezüge zu den Identitären oder anderen rechtsextremen Kreisen und Gruppierungen gibt, prüft derzeit der Verfassungsschutz. Noch unbekannt sind auch jene drei Österreicher, die den späteren Attentäter auf einer Nordkorea-Reise begleitet haben, wie FPÖ-Innenminister Herbert Kickl am Donnerstag im Parlament erklärte.

Es existieren also mehrere handfeste Bezüge nicht nur zu Österreich, sondern auch ein Konnex zu den Identitären, laut Verfassungsschutz die "wesentlichen Trägerinnen des modernisierten Rechtsextremismus" in Österreich - mit erheblichem internationalen Vernetzungsgrad, wohlgemerkt. Und: Die FPÖ, besonders seit sie Regierungspartei ist, tut sich gelinde gesagt schwer mit einer Abgrenzung zu den Identitären, deren Slogan vom "großen Austausch" als Titel auf dem "Manifest" des Attentäters prangt.

Raus aus den Schlagzeilen

Für eine Auflösung der rechtlich gesehen in Vereinen organisierten, rechtsextremen Identitären wird all das aber nicht reichen, sind sich Experten und auch Juristen einig. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen äußerte sich hierzu skeptisch. Er ruft auf, "Distanz" zu den Rechtsextremen zu halten, diese seien "ein politisches Problem". Und genau dieses versucht die FPÖ nun loszuwerden. Kann ihr das gelingen?

ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und sein FPÖ-Vize Heinz-Christian sicherten umgehend volle Aufklärung zu. Der FPÖ-Chef ließ offenbar ältere Facebook-Postings, die sich wohlwollend auf die Identitären bezogen, löschen, heute spricht er vom "Wissensstand von 2016", in dem er die Postings damals geschrieben habe. Das prompte Reagieren der Regierungsspitze nach dem Auftauchen des Christchurch-Konnexes zu Martin Sellner - die Ankündigung, die Auflösung einer in den Fokus der Kritik geratene Organisation aus dem extrem rechten Spektrum prüfen lassen zu wollen - erinnert an die sogenannte Liederbuch-Causa. Die Justiz werde prüfen, hieß es auch damals von der türkis-blauen Regierungsspitze, die eine Auflösung der schlagenden, deutsch-völkischen Burschenschaft Germania in den Raum stellte. Doch die Sache versandete. Die Ermittlungen gegen den niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer und weitere Burschenschafter wurden mangels Beweisen eingestellt, Landbauer wurde voll rehabilitiert - und die Causa verschwand sukzessive aus den Schlagzeilen. Die Regierung konnte aber für sich mitteilen: Wir haben alles versucht, aber der Rechtsstaat hat gesprochen. Eine analoge Vorgehensweise wäre aber bei den Identitären um einiges pikanter - allein schon, weil die rechtsextreme Kaderorganisation europaweit operiert und nach überstandenem Prozess in Graz im April 2018 wegen Verdachts der Verhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung gerade dabei ist, ihren bisher größten politischen Erfolg in Österreich zu feiern: gegen die hiesige Regierungsspitze. Der Freispruch wurde von den Rechtsextremen auch größtmöglich medial ausgekostet. Das verschafft gesellschaftliche Legitimation und nährt den Opfermythos, mit dem die Identitären nicht erst seit der Causa Christchurch arbeiten.

Nun bleibt offen, welche Konsequenzen die handelnden Akteure aus einem möglichen Scheitern des Verfahrens gegen Sellner einerseits und die Vereine der identitären Vereine andererseits ziehen. Die Tatsache, dass nicht nur Politikwischafter, Extremismusforscher und europäische Verfassungsschutzbehörden die Gruppe als zentral für den modernisierten Rechtsextremismus einschätzen und vor dem Radikalisierungspotenzial der sogenannten "neuen Rechten" warnen, dürfte auch bei einer Einstellung der Ermittlungen gegen Sellner und seine Kaderorganisation nichts ändern.

Bandbreite an Berührungspunkten

Wer bei den Identitären aktiv ist, könne keine Funktion in der FPÖ ausüben, betont Strache. Seit Anfang 2018 - kurz nach Eintritt der FPÖ in die Regierung - gebe es einen "aktiven Beschluss", der dies festhalte, betont auch FPÖ-Sprecher Martin Glier. Wo aber wird die Grenze genau gezogen? "Keine Funktion in der FPÖ" - was bedeutet das konkret?

Die Berührungspunkte zwischen FPÖ-Personal und den Identitären sind vielfältig - vom Grazer Gemeinderat Heinrich Sickl, der nicht nur bei Demos der Identitären mitmarschiert war, sondern in Graz den Rechtsextremen Räumlichkeiten überlässt, bis hin zu Personen aus dem rechtsextremen Umfeld, die FPÖ-Politiker als Mitarbeiter dienen. Wie zum Beispiel Ulrich Püschl. Der Büroleiter des Linzer FPÖ-Vizebürgermeisters Markus Hein sitzt heute zudem auf einem FPÖ-Ticket im Aufsichtsrat der Linz AG. So wie Hein ist auch Püschel Burschenschafter der völkisch-deutschnationalen Verbindung Arminia Czernowitz (die "Wiener Zeitung" berichtete), die offenbar als eine Art Brücke zwischen der FPÖ, den Identitären und anderen Kreisen der sogenannten neuen Rechten fungiert. 

Nebenbei marschierte Püschl auf Demos der Identitären in Spielfeld mit, was er auch gar nicht in Abrede stellt. Weniger bekannt ist Püschls Tätigkeit beim extrem rechten Magazin "Info Direkt", dessen Ausgaben eindeutig eine Nähe zu den Identitären aufweisen. Püschl schreibt nicht nur regelmäßig für das Magazin, er hält daran auch 30 Prozent. Im Oktober 2016 war "Info Direkt" zusammen mit dem FPÖ-nahen Magazin unzensuriert.at und die Burschenschaft Arminia Czernowitz Mitveranstalter des rechtsextremen Kongresses "Verteidiger Europas" in den Linzer Redoutensälen.

Nähe zu den Identitären und bis vor kurzem Büroleiter eines FPÖ-Stadtrats - was genau wird als "Funktion in der FPÖ", wie es Strache ausdrückt, gewertet? Wie wird die FPÖ mit ihrem direkten Umfeld, wie mit möglichen Überschneidungen ihrer Jugendorganisationen mit den Identitären künftig umgehen?