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Kann man die EU verändern?

Von Cathren Landsgesell

Politik

Jörg Rohwedder, Kampagnenleiter der Plattform "WeMove.EU", erklärt im Interview, wie man sich als Bürger abgesehen von Wahlen bei der EU Gehör verschafft. Teil VII der Serie zum Videowettbewerb Future Challenge #europa4me.


Wien/Berlin. "WeMove.EU" ist eine Kampagnen-Plattform, die aus der ersten EU-weiten Online-Kampagnen-Organisation "Avanti Europe!" entstand und trägt verschiedene Bürgeranliegen in die Politikprozesse der EU.

"Wiener Zeitung": Bei "Fridays for Future" erleben wir, dass tausende Menschen europaweit auf die Straße gehen, um gegen die Klimapolitik der EU zu demonstrieren. Sind Sie als Kampagnenexperte überrascht von dieser spontanen neuen Bewegung?

Jörg Rohwedder: Ja, auch mich überrascht diese Bewegung. Ich merke, dass sich die politische Debatte durch diese Proteste verändert. Wir haben die Erfahrung bisher gemacht, dass das Problem Klimawandel so groß ist, dass die Leute sagen: "So ein Riesenproblem, egal, was ich mache, ich kann eigentlich das Problem nicht wirklich beeinflussen". Und das hat sich auch durch Fridays for Future geändert. Jetzt spüren alle die Dringlichkeit, und die These ist eher: "Egal, wie groß das Problem ist, wir müssen jetzt einfach irgendwas tun."

"WeMove.EU" adressiert die ganz großen Themen der EU wie eben Klima-, Agrar- und Wirtschaftspolitik. Bei diesen Themen hat man als EU-Bürger oft das Gefühl, eigentlich keinerlei Einfluss nehmen zu können. Hat die EU ein Demokratiedefizit aus Ihrer Sicht?

Auf europäischer Ebene haben wir tatsächlich wenig Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, direkt Einfluss zu nehmen. Das ist in verschiedener Hinsicht bereits in dieser Dreiteilung - Parlament, Kommission und Europäischer Rat - angelegt. Anders als nationale Parlamente kann das EU-Parlament keine Gesetzesinitiativen einbringen; Kommission und Europäischer Rat, in dem die nationalen Regierungen sich zusammenfinden, haben beide weitgehende richtungsweisende Befugnisse. Das einzige Instrument, um ein Thema auf die Tagesordnung zu bringen, ist die "Europäische Bürgerinitiative", die es seit 2012 gibt. Um eine solche Bürgerinitiative einzubringen, muss man eine Million Unterschriften sammeln und in mindestens sieben Ländern der EU eine Mindestanzahl Menschen, erreicht haben. Das ist bisher erst vier Bürgerinitiativen gelungen. Die größte Schwäche der Europäischen Bürgerinitiative ist allerdings, dass man letztendlich nicht erreicht, dass Parlament, Kommission und Europäischer Rat über einen Gesetzesantrag abstimmen müssen. Die EU ist aber zugleich sehr transparent. Wer auf die Webseiten geht, findet unendlich viel Information, die auch immer relativ zeitnah veröffentlicht wird. Die Frage ist dort eher, wer filtert, was wichtig und was unwichtig ist? Wenn man sich als Bürger oder Bürgerin informieren will, muss man sehr viel Zeit investieren.

War diese Notwendigkeit der Übersetzung ein Beweggrund für die Gründung von WeMove.EU?

Ja. Auf EU-Ebene werden viele Themen entschieden, die für alle Bürger und Bürgerinnen relevant sind. Es gibt aber keine im engeren Sinne europäische Öffentlichkeit, keine europäische Debatte. Das liegt allein schon daran, dass wir 24 Amtssprachen haben, aber kein Medium, das zeitgleich in allen Sprachen die gleichen Informationen vermittelt. Wir wollen in möglichst vielen Sprachen gleichzeitig den gleichen Inhalt und die gleiche Handlungsaufforderung kommunizieren. Wir hoffen, dass wir auf diese Weise einen immer größeren Anteil der europäischen Bevölkerung in eine gemeinsame gleichzeitige Debatte hineinbringen. Wenn etwa das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat eine neue Zulassung für den europäischen Markt bekommen soll, bekommen alle Bürgerinnen und Bürger in vielen Sprachen Informationen dazu und haben die Möglichkeit, sich an einem Protest zu beteiligen, die eigene Stimme zu erheben.

Wer engagiert und beteiligt sich bei WeMove.EU?

Wir erreichen Menschen ab 30 aufwärts. Das liegt auch daran, dass wir viel über E-Mail und Facebook kommunizieren. Diese Medien werden von jüngeren weniger genutzt. Ansonsten haben wir einen breiten Mix, unterschiedliche Herkünfte aller Art. Die politische Orientierung der Mehrheit bei WeMove.EU ist eher fortschrittlich, wobei wir auch sehr europakritische Leute im Verteiler haben, die dem konservativen bis rechten Spektrum zuzuordnen sind. Auch da ist die Bandbreite eigentlich ein Querschnitt der Bevölkerung.

WeMove.EU ist doch eigentlich ein starkes Plädoyer für Europa?

Ja, unbedingt. Die EU halten wir für einen Glücksfall der Geschichte. Auch so, wie sie jetzt ist. Wir haben anlässlich des Brexits in unserem britischen Verteiler erhoben, wer für den Brexit ist. Es sind nur einige wenige Prozent. Unsere Haltung zur EU ist eher kritisch-solidarisch.

Wie kommen die Themen zustande? Ergeben sie sich aus der Agenda der EU?

Wir machen fast alle unsere Kampagnen gemeinsam mit Partnerorganisationen, die schon sehr lang in einem Themenfeld aktiv sind. Im Fall von Glyphosat war das zum Beispiel das "Pestizid-Aktions-Netzwerk". Die Partnerorganisationen treten mit Kampagnenideen an uns heran. Wir befragen dann unsere Mitglieder, ob wir das Thema bearbeiten sollen. So erreichen wir, dass unsere Kampagnen fachlich begründet sind, aber auch widerspiegeln, was die Leute denken. Wenn wir das Thema haben, versuchen wir, die Geschichte in einer Art und Weise zu erzählen, dass sie für die Menschen relevant und schnell begreifbar ist. Wir versuchen daher immer zu extrahieren, was ein Thema, das auf europäischer Ebene verhandelt wird, mit dem eigenen Leben zu tun hat. Bei Braunkohlekraftwerken kann man etwa die CO2-Emissionen hervorheben oder ihre Wirkung auf die Gesundheit. Oder man weist darauf hin, dass Konzerne Unsummen damit verdienen und dabei unser Klima und unsere Gesundheit kaputtmachen. Es gibt viele verschiedene Wege, eine Geschichte zu erzählen. Es ist aber immer schwierig im Vorhinein zu sagen, was "zieht". Worauf man sich jedenfalls nicht verlassen kann, ist das eigene Bauchgefühl.

Wie gelangen die Kampagnenergebnisse zu den entsprechenden Stellen der EU?

Das ist die zentrale Frage: Wie kriege ich meine Botschaft, für die ich eine große Unterstützung habe, zu denen, die dann die Entscheidung treffen? Wir gehen meistens digitale Wege und den des klassischen Protests mit Demonstrationen vor Ort. Aktuell haben wir eine Kampagne, wo wir Video-Beweise gesammelt haben, die Verletzungen des Europäischen Naturschutzrechtes bei einem Autobahnbau in Bulgarien zeigen. Wir schicken dieses Video massenhaft an den Twitteraccount des Entscheidungsträgers, der das in der aktuellen Situation noch ändern kann. Außerdem konnte unsere Geschäftsführerin zufällig mit Frans Timmermans, dem Vize-Präsidenten der Kommission, persönlich darüber sprechen.

Wie müsste sich die EU ändern, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger besser zu vertreten?

Das EU-Parlament müsste das Initiativrecht und mehr Kontrollrechte bekommen. Man müsste auch darüber diskutieren, ob man ein Zwei-Kammern-System schafft, vergleichbar mit dem bundesdeutschen System mit Bundestag und Bundesrat, in dem die Bundesländer vertreten sind. Eine andere Reform wäre, die Sitzverteilung im EU-Parlament entsprechend der Bevölkerungsgröße zu gestalten, sodass jede Stimme gleich viel Gewicht hat. Auch die Europäische Bürgerinitiative sollte gestärkt werden. Für mich sind die wichtigen Reformvorhaben mehr direkte Demokratie für Bürgerinnen und Bürger und ein stärkeres Parlament.