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Am Klimaziel vorbei

Von Marina Delcheva

Politik

Studie: Die meisten EU-Staaten, auch Österreich, drohen die Klimaziele für 2030 zu verfehlen.


Wien. "Die Energiewende passiert so oder so", sagt Andreas Graf, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der deutschen Denkfabrik "Agora Energiewende". "Die Klimadebatte prägt das Energiesystem weltweit, ob nun die Politik mitspielt, oder nicht." Im Rahmen der Studie "The big Picture" hat Agora untersucht, inwieweit die EU-Staaten die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen können - auf Basis der gesetzten politischen Maßnahmen. Das Fazit der Studie: Die meisten werden die Ziele wohl verfehlen. Dazu zählt auch Österreich.

Zur Erinnerung: Im Dezember 2015 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Rahmen des Pariser Klimaabkommens darauf geeinigt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten zu drosseln. Für die EU-Staaten bedeutet das bis zum Jahr 2030 gut 40 Prozent weniger Treibhausgase gegenüber 1990, eine Steigerung der Energieeffizienz um ein Drittel und 32 Prozent Erneuerbarenanteil am Energie-Mix. Deshalb mussten die EU-Staaten eigene, nationale Klimastrategien vorlegen. Im Gegensatz zu früheren Klimaabkommen, werden Verfehlungen diesmal auch finanziell abgestraft. Experten rechnen mit Kosten in Milliardenhöhe.

Pläne oft unzureichend

Auf Basis der vorgelegten Pläne rechnen die Wissenschafter von Agora damit, dass lediglich sechs EU-Staaten die gesetzten Klimaziele bis 2030 erreichen werden. Die Langzeitstrategie der EU-Kommission sieht bis 2050 ein CO2-neutrales, europäisches Wirtschaftssystem vor.

"Wir sehen, dass mit den derzeit geplanten Maßnahmen auf EU-Ebene CO2-Einsparungen von 30 bis 32 Prozent (bis 2030, Anm.) möglich sind", erklärt Graf. Angesichts der zuletzt wieder gestiegenen Treibhausgasemissionen in Österreich, ist es nun fraglich, ob das Land die Emissionsziele bis 2030 erfüllen kann. Laut dem Umweltbundesamt sind die Emissionen 2017 um 3,3 Prozent gegenüber dem Jahr davor gestiegen. Hauptemissionstreiber sind dabei Verkehr und Industrie.

Um die Zielvorgaben im Energiesektor auf EU-Ebene zu erreichen, müssen die Staaten den Einsatz von Braunkohle um zwei Drittel reduzieren, jenen von Öl und Gas um ein Viertel und den Anteil erneuerbarer Energieträger auf 57 Prozent erhöhen. Deutschland zum Beispiel hat schon den Kohle-Ausstieg beschlossen, in den meisten osteuropäischen Mitgliedstaaten fehlen aber bislang entsprechende Maßnahmen. Die Studie zeigt, dass es für die Erfüllung der Zielvorgaben mehr als doppelt so hoher Investitionen bedarf, als bislang von den meisten EU-Staaten veranschlagt. Diese würden aber durch den Zuwachs an Jobs und Wertschöpfung aufgewogen, so die Autoren. Sie rechnen mit EU-weit 1,1 Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze im Zuge der Energiewende.

10-Punkte-Plan

Für eine EU-weite Zielerreichung schlagen die Autoren jedenfalls zehn Maßnahmen vor. Dazu zählen die Errichtung eines Energiewende-Ausschusses im EU-Parlament, die Überarbeitung der Beihilferegeln, um Investitionen im Erneuerbaren-Bereich zu erleichtern, eine Lkw-Maut und eine Quote für emissionsfreie Lkw ab 2022 sowie ein Dekarbonisierungspfad für den internationalen Flug- und Schiffsverkehr.

Der EU-weite Ausstieg aus Kohle und die Reduktion von Gas und Öl stellt jedenfalls die Netze und damit die Versorgungssicherheit vor große Herausforderungen. Auch wegen der Volatilität erneuerbarer Energien. Die in Salzburg geplante Hochstpannungsleitung soll das etwas abfedern.

Dazu empfehlen die Autoren eine stärkere EU-Integration der Netze und mehr Zusammenarbeit im Energiesektor. Unter den Mitgliedstaaten sind solche Vorschläge derzeit aber nicht populär.

Ein Bündnis von Wissenschaftern, NGOs und Klimaschutzreferenten der Bundesländer appellierte am Montag in Wien an die Bundesregierung, einen wirksamen Klima- und Energieschutzplan umzusetzen. Auch das Bündnis betonte, dass der bisherige Plan nicht reiche, um Österreichs Verpflichtungen gerecht zu werden. Der oberösterreichische Umwelt-Landesrat Rudi Anschober (Grüne) forderte Investitionen in den Klimaschutz statt Strafzahlungen in Milliardenhöhe.

Appell an Bundesregierung

Österreich verfehle die Ziele um Millionen Tonnen von CO2. In dem Fall müsste Österreich die fehlende Emissionsverringerung mit dem Zukauf von teuren Emissionszertifikaten wettmachen. Dazu kommen kostspielige Vertragsverletzungsverfahren. Experten rechnen mit Kosten von bis zu zehn Milliarden Euro von 2021 bis 2030, warnte Anschober. "Die Umsetzung der Energiewende braucht einen Turbo." Die Pariser Klimaziele müssten als vorrangiges Ziel in die Verfassung von Bund und Ländern.

Wissenschafter wollen nun mit Unterstützung von Klimareferenten und Vertretern von Umweltschutzorganisationen bis Juni einen Energie- und Klimaschutzplan vorlegen. Von Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) fordern die Landesklimareferenten sofortiges Reagieren. Vorangetrieben werden soll ein Maßnahmenpaket, das vorsieht, das Erreichen der Pariser Klimaziele in der Bundesverfassung zu verankern und die Energiewende sowie die Mobilitätswende zu beschleunigen. Dazu gehöre etwa die Investition von einer Milliarde Euro pro Jahr in den öffentlichen Verkehr. Klimaschädigende Subventionen des Bundes sollen außerdem gestrichen und eine Steuerreform umgesetzt werden, die klimaschädliches Verhalten belastet, klimafreundliches belohnt.