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Mit Steuern steuern

Von Martina Madner

Politik
© unclepodger - stock.adobe.com/Pavel Lipskiy

Steuern bringen dem Staat nicht nur Einnahmen. Sie beeinflussen auch unser aller Verhalten - manche positiv, andere aber negativ.


Wien. Großbritannien führte 2018 im April eine neue Steuer ein: die sogenannte Soft Drinks Industry Levy, also eine Sonderabgabe für Getränkehersteller je nachdem, wie viel Zucker sie zusetzen. Ab fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter Cola sind seither zum Beispiel 20 Cent fällig.

Der nicht unerwünschte Soforteffekt dieser Steuer: Coca-Cola senkte den Zuckergehalt bei seinen Marken Fanta und Sprite für den britischen Markt unter den Fünf-Gramm-Grenzwert, auch der Branchenzweite im Land, Britvic, wurde aktiv. Als mittelfristigen Effekt konnte die britische Regierung trotzdem nach einem halben Jahr 150 Millionen Pfund, also rund 175 Millionen Euro, an Mehreinnahmen durch die Steuer vermelden.

Dieses Geld sorgte für einen zusätzlichen Finanzierungsschub der Regierungsinitiative gegen Fettleibigkeit von Kindern wie beispielsweise Sportunterricht an Grundschulen und Frühstücksklubs. Langfristiges Ziel sind nicht zusätzliche Einnahmen, sondern gesündere Kinder.

Ungewünschtes Verhalten mindern

Diese Art von Abgaben nennt Wifo-Steuerexpertin Margit Schratzenstaller "Steuern auf Public Bads". Sie haben Lenkungseffekte. In Österreich sind neben Umweltsteuern wie jene auf Mineralöl, auch Tabak- und Alkoholsteuern Beispiele dafür. Sie haben externe und interne Lenkungseffekte: "Sie vermindern zum Beispiel extern die Kosten für das Gesundheitssystem und sind intern positiv für die eigene Gesundheit." Sofern sie das Verhalten der Konsumenten verändern, die Raucherin deshalb weniger zur Zigarette greift.

Zucker-, Alkohol- oder Tabaksteuern sind ein wirksames Mittel, um chronischen Krankheiten vorzubeugen. Eine Auswertung mehrerer hundert internationaler Studien zeigt, dass höhere Preise die Nachfrage nach ungesunden Produkten vor allem bei einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen senkt.

Damit sprechen die Wissenschafter allerdings auch einen Pferdefuß solcher Steuern an: Ihre Höhe ist zwar zum Teil wie bei der Normverbrauchsabgabe beim Autokauf vom Kohlendioxidausstoß, also dem Schaden für die Umwelt, abhängig. Keine Rolle aber spielt, wer sie mit welchem Einkommen bezahlt. Menschen mit mehr Einkommen sind also prozentuell geringer belastet als Menschen mit wenig.

Grenzen der steuernden Wirkung

Margit Schratzenstaller betont deshalb, dass Steuern als politisches Gestaltungsmittel "bei weitem nicht das Einzige sind, sondern dass man sie mit anderen Maßnahmen wie Regulierungen, Ge- und Verboten, Förderungen und Infrastruktur gemeinsam denken muss".

Generell zeige sich die Wirkung von Steuern eher lang-, weniger kurzfristig. Die Mineralölsteuer verteure zum Beispiel Treibstoff. Der erwünschte Effekt von weniger Autofahrten und damit weniger Verbrauch fossiler Rohstoffe stelle sich aber nicht sofort ein: "Weil sich manche angewöhnt haben, mit dem Auto zu fahren, oder weil man keine Alternative hat", sagt Schratzenstaller.

Ökosteuern wirken deshalb effektiver, wenn sie in ein Maßnahmenbündel eingebunden sind: Der Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel lässt sich mit mehr und kostengünstigen Angebot beschleunigen, was negative Auswirkungen auf Menschen mit weniger Einkommen abmildert.

Für Benjamin Bittschi, Steuerexperte beim IHS, ist allerdings gerade die Mineralölsteuer ein Beispiel dafür, "wie der Finanzminister Einnahmen maximiert. Dass sie auch im Sinne einer Klimastrategie wirkt, ist fraglich." Der Grund sei die zu geringe Höhe des Steuersatzes, was "wenig Anreiz für Verhaltensänderungen, viel Anreiz aber für den Tanktourismus hat". Treibstoff ist im Vergleich zu Italien und Deutschland in Österreich erschwinglicher: "Das steigert zwar die Einnahmen, bremst aber das Autofahren nicht ein."

Nebenwirkungen von Begünstigungen

Aber nicht nur das. Steuern oder auch Begünstigungen können auch unerwünschtes Verhalten als Nebenprodukt fördern. Beispiel im Umweltbereich ist die Pendlerpauschale, womit Autofahrten zur Arbeit steuerlich begünstigt werden. Für Bittschi ist das eine "absurde Fehlsteuerung, wenn man klimapolitische Ziele bedenkt".

Stadt- und Landbevölkerung würden außerdem unterschiedlich davon profitieren: "Jene mit höheren Wohnraumkosten in Ballungsräumen haben nichts davon." Das Pendlerpauschale hat im Jahr 2016 zu Kosten in Höhe von 762,5 Millionen Euro geführt. Die Steuerbegünstigung ist also nicht nur teuer, sie "ist steuerpolitisch ein wenig überzeugendes Instrument und verursacht umweltökonomisch suboptimale Lenkungseffekte", heißt es in der IHS-Analyse des Steuersystems, die Bittschi gemeinsam mit Institutsleiter Martin Kocher veröffentlicht hat.

Die Unternehmensbesteuerung liegt nach dieser Analyse übrigens im europäischen Durchschnitt - also wenig steuernder Handlungsbedarf. Unternehmerische Entscheidungen sollten laut Kocher nach wirtschaftlichen Überlegungen und nicht wegen eines Steuervorteils getroffen werden: "Die perfekte Steuer verändert Entscheidungen überhaupt nicht - oder hat positive Effekte", sagt Kocher.

Der international vergleichsweise großzügig bemessene Steuervorteil der Forschungsprämie mache etwa Sinn, um Innovation in Unternehmen zu fördern. Solche Effekte könne man laut Sabine Kirchmayr-Schliesselberger, Vorständin des Instituts für Finanzrecht an der Uni Wien, noch steigern: "Wenn man zielgerichtete Steuerbegünstigungen zeitlich begrenzt, wirken sie am meisten. Dann werden zum Beispiel Investitionen vorgezogen." Da das Geld dann bereits ausgegeben, die Entscheidung also nicht mehr revidiert werden kann, sind so zusätzliche Investitionen zum Vorzieheffekt möglich.

Alexander Rust, Professor für österreichisches und internationales Steuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien, begrüßt mögliche Änderungen im Unternehmenssteuerrecht trotzdem. Einerseits würden Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften steuerlich gleichbehandelt. Aber auch eine Steuerbegünstigung auf nicht entnommene Gewinne mache Sinn: "Das Geld wird im Unternehmen gehalten. Diese Kapitalaufstockung hat den Vorteil, dass bei Krisen mit weniger Insolvenzen zu rechnen ist."

Verteilung von Arbeit und Arbeitszeit

Grundsätzlich sind sich alle Steuerexperten einig: Vom Faktor Arbeit holt sich der Staat zu viel Geld. Das führt gleich zu mehreren Problemen: Schwarzarbeit, sagt Friedrich Schneider, Ökonom und Experte für die Schattenwirtschaft - und zwar insbesondere von jenen, die selbständig oder unselbständig beschäftigt durchaus Steuern bezahlen, die Überstunden am Abend, im Urlaub oder am Wochenende aber schwarz am Finanzamt vorbei machen. Denn: "Ab circa 50 Prozent Steuern entsteht das Gefühl, dass man, wenn man arbeiten geht, unfair behandelt wird", sagt Schneider.

Weniger Steuern für Geringverdienende könnte ein Anreiz sein, einer Arbeit nachzugehen. Da es aber schon heute steuerfreie Bereiche gibt, hat diese Wirkung ihre Grenzen. Außerdem hat das laut Kocher "den unerwünschten Nebeneffekt, Teilzeitarbeit noch attraktiver zu machen". Weil Frauen das schon heute mehr tun, ist das "tatsächlich ein ungelöstes Problem". Auch Familien lassen sich nur bedingt mit Steuern unterstützen. Vom Familienbonus profitieren laut Budgetdienst des Parlaments jene mit mittleren Einkommen am meisten, Geringverdienende kaum.

Die FPÖ hatte im Wahlkampf darüber hinaus eine Art Familiensplitting angedacht. Da gibt es in Frankreich sowie in Deutschland mit dem Ehegattensplitting ein ähnliches, etwas weniger deutlich ausgeprägtes Modell, das sich an der Zusammensetzung der Familie orientiert und die individuelle Besteuerung ersetzt. Und zwar wird dabei, grob gesagt, das Einkommen eines Ehepaars zusammengezählt, wieder halbiert und dann erst jeweils besteuert. Damit rutschen jene mit sehr hohen Einkommen und Steuersätzen in deutlich niedrigere Progressionsstufen. Den größten Vorteil haben deshalb Eheleute mit einem sehr hohen und einem sehr niedrigen oder gar keinem Einkommen.

Der Nebeneffekt einer solchen Besteuerung ist laut Katharina Mader, Expertin für feministische Ökonomie an der WU, "dass sich das Angebot an Arbeitskräften und vor allem auch die Arbeitszeit des weniger verdienenden Elternteils verringert". Außerdem wirken sich mehr Kinderbetreuung, weniger Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen und die Antwort auf die Frage: "Was macht einen guten Elternteil aus?" laut Mader mehr darauf aus, ob Beruf und Familie besser oder schlechter vereinbar erscheinen.

Ein Vergleich von Frankreich mit Familiensplitting und Schweden ohne untermauert diese Sicht übrigens: Beide haben hohe Geburtenraten, beide aber auch ein gutes Kinderbetreuungsangebot. In Deutschland gibt es dagegen trotz Ehegattensplittings vergleichsweise wenig Nachwuchs.