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16.000 Österreichern ohne Pflichtschule droht weniger Sozialhilfe

Von Karl Ettinger

Politik

Vor dem Beschluss der Reform der Mindestsicherung im Nationalrat verstärken die Kritiker ihren Protest nochmals.


Wien. Mit einer Demonstration auf dem Ballhausplatz am Dienstag bemühten sich die Gegner der Umwandlung der bisherigen Mindestsicherung in die künftige Sozialhilfe den Druck auf die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung zu erhöhen. Nach Appellen, dass die türkis-blauen Abgeordneten am Donnerstag im Nationalrat den Verschärfungen bei der Sozialhilfe für kinderreiche Familien und Asylberechtigte nicht zustimmen sollen, formierte sich der Widerstand vor dem Bundeskanzleramt.

Die Achse der Kritiker reicht von der SPÖ über die Volkshilfe bis hin zu einer Reihe von Soziallandesräten, die kürzlich bei einem Treffen mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) mit Änderungswünschen abgeblitzt sind. Inzwischen hat die türkis-blaue Koalition aber noch Klarstellungen versprochen: Spenden sowie Mietbeihilfen sollen die Sozialhilfe nicht schmälern.

Die Bundesregierung hat zwar Einschränkungen vor allem für Ausländer und Asylberechtigte als Ziel. Aber nicht nur die Verschärfungen für Familien mit Kindern treffen auch Österreicher. Das gilt auch für den Nachweis entsprechender Sprachfähigkeiten. Wer keinen entsprechenden Deutschnachweis vorlegen kann, bekommt als Alleinstehender statt maximal 885 Euro im Monat nur 575 Euro im Monat. Indirekt trifft die entsprechende Bestimmung jedoch ebenfalls Österreicher. Denn die um 300 Euro im Monat niedrigere künftige Sozialhilfe wird auch an jene ausbezahlt, die keinen Pflichtschulabschluss vorweisen können.

Nach Angaben der SPÖ auf Anfrage der "Wiener Zeitung" werden davon rund 16.000 Österreicher in Probleme kommen, weil sie keinen Pflichtschulabschluss vorweisen können, sondern die Schule vorzeitig verlassen haben. Die SPÖ hat diese Daten aus Statistiken errechnet, darunter "Bildung in Zahlen". Demnach haben rund 0,3 Prozent der Österreicher keinen Pflichtschulabschluss und müssen bisher von der Mindestsicherung leben.

Die SPÖ mit Parteichefin Pamela Rendi-Wagner stellt die provokante Frage, ob nun die betroffenen Österreicher ebenfalls einen Deutschtest absolvieren müssen, um statt 575 maximal 885 Euro Sozialhilfe mit Monat zu erhalten. Die Koalition hat versucht zu beruhigen, das liege beim Vollzug im Ermessen der Beamten.

Künstler als Unterstützerbei Kundgebung

Zur Einordnung des Betrags von 575 Euro weist die SPÖ auf folgende Daten hin: Ein alleinlebender Erwachsener im untersten Einkommenszehntel hat im Jahr 2014 in Österreich allein für Wohnen, Energie, Lebensmittel, Körperpflege und Kleidung 703,56 Euro im Monat ausgeben müssen. Das ging aus der Konsumerhebung 2014/15 hervor. Damit waren weder Handygebühren noch Aufwendungen für Computer, Internet, Zeitungen oder Fahrscheine inkludiert. Und schon gar keine Freizeitaktivitäten, wie im SPÖ-Parlamentsklub erläutert wird.

SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner war auch unter den Demonstranten am Dienstag ab 17 Uhr auf dem Ballhausplatz. Musikalische Unterstützung kam von Willi Resetarits und Ernst Molden. Volkshilfe-Chef Erich Fenniger war in den vergangenen Tagen bereits in den Österreichs Landeshauptstädten unterwegs, um in einem Zelt gegen die geplante Verschärfung der Sozialhilfe zu protestieren.

Die Neuregelung der bisherigen Mindestsicherung erfolgt, wie mehrfach berichtet, mit einem Grundsatzgesetz des Bundes. Dieses setzt die Vorgaben und die Obergrenzen für die Auszahlungen der Sozialhilfe fest. 885 Euro im Monat beträgt demnach die maximale Leistung. Schon bisher erhielten die meisten Bezieher der Mindestsicherung - im Jahr 2017 waren es 307.000, seither ist die Zahl vor allem wegen der guten Wirtschaftslage gesunken - allerdings nicht den Maximalbetrag, sondern nur eine Zuzahlung zu einer anderen Leistung wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe oder zu einem niedrigen Erwerbseinkommen.

Mindestsicherung kostete 2017 970 Millionen Euro

Diese Gruppe der bisherigen Mindestsicherung wird als "Aufstocker" bezeichnet. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert in Österreich die Ausgleichszulage. Zu einer niedrigen Eigenpension schießt der Staat aus dem Budget in Summe rund eine Milliarde Euro auf eine Mindestpension zu.

Rund 970 Millionen Euro betrugen im Jahr 2017 auch die Gesamtausgaben für die Mindestsicherung. Nach den Folgekostenabschätzungen der Bundesregierung wird das neue Modell trotz der Verschärfungen für Ausländer und Mehrkindfamilien sogar bis zu 14 Millionen Euro teurer. Laut Berechnungen des Wiener Sozialstadtrates Peter Hacker (SPÖ) wird die Einschränkung vor allem ab dem dritten Kind insgesamt rund 60.000 Kinder in Österreich bei der Sozialhilfe treffen.