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Zum Hausarzt in die Privatklinik

Von Jan Michael Marchart

Politik

Der Versicherungsanbieter Uniqa steigt in das Hausarztgeschäft ein. Was heißt das für das öffentliche Gesundheitssystem?


Graz. Dass es in Österreich am Abend, in der Nacht und an Wochenenden sowie Feiertagen hausärztliche Versorgungslücken gibt, ist hinlänglich bekannt. Dass diese am Land besonders virulent sind, ist ebenso kein Geheimnis. Mit Fieber, einer Schnittwunde oder einer Lebensmittelvergiftung bleibt oft nur der Weg ins teure Spital. Der in Relation günstigere Hausarzt hat zu später Stunde vielleicht schon zu oder ist gerade nicht erreichbar.

Diese Versorgungslücken werden offensichtlich immer seltener von der öffentlichen Hand geschlossen, weshalb sie von privaten Anbietern besetzt werden. Für sich erkannt hat das beispielsweise der Versicherungsdienstleister Uniqa. Im Februar 2017 startete dieser das Projekt "Akut-Versorgt", um mit Allgemeinmedizinern in den eigenen Privatspitälern das ausgedünnte Bereitschaftsdienstmodell der Kassen-Hausärzte zu servicieren.

Der Arztbesuch wird telefonisch über den Kundendienst vereinbart. Verfügbar ist die Behandlung nur für Uniqa-Sonderklasse-Kunden und kostet zusätzlich 5,86 Euro pro Monat. Die ersten 14 Monate sind gratis. Das hat einen niederschwelligen Netflix-Abo-Charakter. Doch was bedeutet der Vorstoß der Privaten für das Gesundheitssystem? Wird hier schleichend die Privatisierung des Systems vorangetrieben?

Ein Zeichen des Marktes

Das Uniqa-Projekt will jedenfalls wachsen. Nach ersten Standorten in Wien und Salzburg hat die Uniqa kürzlich die nächste eigene Privatklinik in Graz-Ragnitz für ihr Projekt mit neun Millionen Euro aufgerüstet. Standorte in Vorarlberg und Kärnten sollen noch heuer folgen. Dann will sich die Uniqa in den Ballungszentren noch weiter ausbreiten und auch das ein oder andere Ärzte-Netzwerk für das Projekt gewinnen.

Die Uniqa schließt Verträge mit dem jeweiligen Spital oder der Praxisgemeinschaft ab. Diesen zahlt sie ein Entgelt dafür, dass sie die Leistungen zur Verfügung stellen. Mit dem Honorar für Ärzte, die diese Leistung erbringen, habe der Versicherungsanbieter aber nichts zu tun, weshalb die Uniqa auf Nachfrage nicht erklären kann, ob die Ärzte dadurch in Relation bessergestellt sind als ihr Pendant mit Kassenvertrag.

In der Klinik in Graz sind jedenfalls von Montag bis Donnerstag Allgemeinmediziner von 18 bis 8 Uhr für die hausärztliche Versorgung im Dienst, an Wochenenden durchgehend von Freitag, 18 Uhr, bis Montag, 8 Uhr. Feiertage werden ganztägig besetzt. Behandelt werden akute Erkrankungen und kleine Verletzungen. Notfälle wie Herzinfarkte oder offene Brüche bleiben weiterhin Spitalsangelegenheit.

Die Uniqa sieht sich mit ihrem Angebot nicht als Konkurrent zum niedergelassenen Arzt. Dieser hätte zu den angebotenen Öffnungszeiten so und so zugesperrt. Der behandelte Patient werde außerdem zum Hausarzt weitergeschickt, damit er dort fertigbehandelt wird. "Akut-Versorgt" sei nur eine Zwischenschiene in den hausärztlich unterversorgten Nächten, Wochenenden und Feiertagen. 2500 Behandlungen seien im Zuge des Uniqa-Projekts durchgeführt worden, das meiste seien kleinere Unfälle, Entzündungen oder Kreislaufbeschwerden gewesen. Bei 11,6 Millionen E-Card-Verwendungen pro Monat ist das Uniqa-Angebot noch eine Kleinigkeit.

Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer sieht den Vorstoß der Uniqa nicht so locker. "Es ist ein Zeichen, dass die Nachfragelücken im Gesundheitssystem immer stärker durch die Marktwirtschaft übernommen werden", sagt Pichlbauer. Seit Jahrzehnten werde vor den negativen Folgen für das System gewarnt, wenn sich Wahlärzte und Sonderklasseversicherungen immer stärker gegen das öffentliche System durchsetzen. Ohne eine nachhaltige Verbesserung der Gesundheit werde es für den Einzelnen obendrein teurer. "Die Leute sind aber bereit, das zu zahlen." Vor allem wenn sie sich daran gewöhnen würden, bei der Uniqa schneller einen Termin zu bekommen.

Jetzt koste der Uniqa-Service sechs Euro, um die Leute anzulocken, konstatiert Ökonom Pichlbauer. Abzuwarten sei, was es kostet, wenn sich der Service durchgesetzt habe und sich die Uniqa zudem dazu entschließe, ihr Service auch wochentags anzubieten. Ob dann ein 75-jähriger Diabetiker noch immer sechs Euro zahlt? Pichlbauer ist skeptisch. Eine private Versicherung müsse schließlich ihre Prämien nach dem Risiko festlegen. "Sonst bricht sie das Gesetz."

Der Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger und Finanzier der Kassenstellen, Alexander Biach, will das Uniqa-Angebot nicht verteufeln. Der Gesundheitsmarkt wachse in der Summe. Die Leute seien schon seit längerer Zeit bereit, mehr Geld für Gesundheit auszugeben. Um diesen Markt würden sich daher auch immer mehr private Anbieter streiten. "Das ist prinzipiell nichts Schlimmes", sagt Biach. "Schlimm wird es nur dann für uns, wenn durch die Privaten der Kostendruck auf das öffentliche System steigt und dieses Einschränkungen erfährt."

Deshalb seien die Systeme in Österreich mit Ärzte- und Pharmaverträgen abgesichert, um eine "Rundumversorgung" garantieren zu können und keine gröberen Abstriche machen zu müssen. Eine Antwort auf den privaten Vorstoß seien laut Biach die Primärversorgungseinheiten, in denen mehrere Gesundheitsberufe unter einem Dach bei längeren Öffnungszeiten arbeiten sollen. In der Nacht haben diese aber auch geschlossen. Es bleibt laut Biach der Unterschied, dass das öffentliche System "für alle da sein muss, und nicht nur für die, die es sich leisten können".