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Harald Vilimsky: "Alle versuchen, Dinge zu beeinflussen"

Von Walter Hämmerle

Politik
Harald Vilimsky im Interview mit der "Wiener Zeitung".
© Tatjana Sternisa

Der FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Harald Vilimsky, über den ORF, die Zukunft der EU und Moskaus Interessen.


"Wiener Zeitung": Eignen Sie sich eigentlich gut als Opfer?

Harald Vilimsky: Ich eigne mich weder als Opfer noch als Täter. Aber es muss mir zugestanden werden, wenn ich in einer ungeheuerlichen Weise mit einem Vorwurf konfrontiert werde, dass ich meine Empörung äußere.

Sie sprechen das Interview von Armin Wolf an, bei dem ein Plakat der steirischen FPÖ-Jugend mit einem Trachtenpaar und verzerrten Figuren von Migranten im Comicstil der Titelseite des NS-Propagandamagazins "Stürmer" mit der antisemitischen Karikatur eines Juden gegenübergestellt wurde. In der Folge haben Sie Wolf mit beruflichen Konsequenzen gedroht, was zu heftigen Protesten geführt hat. Beobachtern drängt sich der Eindruck auf, dass hinter dem Konflikt mit dem ORF Kalkül steckt, um sich als Opfer positionieren zu können.

Diese Beobachter interpretieren hier mehr strategische Überlegungen hinein als tatsächlich bestehen. Ich wurde zu diesem Interview eingeladen, um über unsere EU-Themen zu sprechen . . .

Ich rede vom Gesamteindruck. Die Wahlergebnisse der FPÖ haben sich längst von der Berichterstattung im ORF entkoppelt.

Wir mahnen zwei Dinge ein: Erstens, dass ein gebührenfinanzierter ORF im 21. Jahrhundert ein Anachronismus ist; zweitens, ja, wir fühlen uns vom ORF massiv unfair behandelt. Angesichts des Umstands, dass bei Betriebsratswahlen 80 Prozent für rot-grüne Listen stimmen, drängt sich der Verdacht eines parteipolitischen Vorgehens auf. Das kann auch sehen, wer mein ultra-brutales Duell mit Armin Wolf mit den darauffolgenden Interviews mit Andreas Schieder und Othmar Karas vergleicht, da wurde nicht einmal mit Wattebäuschen geworfen.

Schließen Sie aus, dass Ihnen diese Konfrontation mit dem ORF bei den Wählern eventuell nutzt?

Es wird Wähler geben, die sagen, ‚das ist mir zu viel‘, andere werden es gut finden. Wie es unter dem Strich aussieht, wage ich nicht zu beurteilen.

Bundespräsident Van der Bellen hat vor einer Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas gewarnt. Fühlen Sie sich angesprochen?

Ich glaube, es sollten sich alle Parteien angesprochen fühlen. Das Klima zwischen den Parteien nimmt keine gute Entwicklung. Als FPÖ kann ich mich entschuldigen für Fehler, die bei uns geschehen, obwohl sie nicht geschehen sollten. Wo wir handeln müssen, tun wir es. Es gibt auch bei SPÖ und Grünen Entgleisungen, nur werden die selten bis nie geahndet. Es sollten sich also alle von der Kritik des Bundespräsidenten angesprochen fühlen.

Die FPÖ plädiert, wenn es um die Zukunft der EU geht, für das sogenannte Szenario 4, wonach die EU für "weniger, dies aber effizienter" verantwortlich sein soll. Wo fordern Sie "mehr Europa"?

Der EU-Außengrenzschutz ist die größte Herausforderung. Es heißt, die Zahlen der Asylsuchenden und Glücksritter auf dem Weg in die EU gingen zurück. Das stimmt nur in Bezug auf die Migrationskrise, im Vergleich zu den Jahren davor liegen die Zahlen um mehr als das Doppelte höher. Und der Druck bleibt hoch. Deshalb müssen wir Ordnung in das Chaos bringen. Unser Konzept sieht eine gemeinsame Kraftanstrengung von Polizei und Landesverteidigung nach dem Modell von UNO-Einsätzen vor, um unsere Grenzen zu schützen. Dabei muss sichergestellt sein, dass alle, die Anrecht auf Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, diesen auch bekommen.

Halten Sie besseren Grenzschutz für eine hinreichende Antwort auf den Migrationsdruck angesichts von Prognosen, die von einer Verdoppelung der Bevölkerung Afrikas bis 2050 ausgehen? Sind nicht auch Investitionen und Handelsabkommen unerlässlich?

Da haben Sie recht, vergessen Sie hier aber nicht den ungeheuren Braindrain aus Afrika: Der Kontinent verliert durch Migration seine besten Köpfe, die am Bau besserer Lebensbedingungen in ihrer Heimat mithelfen sollten. Das betrifft vor allem die zahlreichen jungen Männer, die nach Europa kommen.

Beim Wahlhelfer der "Wiener Zeitung" ist die FPÖ gegen die Teilnahme Österreichs an einer künftigen EU-Armee, befürwortet aber, dass sich die EU von der militärischen Abhängigkeit der USA emanzipiert und militärische Kapazitäten aufbaut. Das ist doch schizophren.

Überhaupt nicht. Grundsätzlich bin ich ein Freund der USA und bin selbst oft bei hochrangigen Gesprächen in Washington. Aber die USA haben, so wie China und Russland, eigene Interessen, die mitunter im Gegensatz zu unseren stehen. Das werfe ich niemandem vor, es ist nun einmal so. Österreich ist seit 1955 neutral, und die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt dies. Dass die übrigen EU-Staaten sich militärisch enger zusammenschließen, ist gut und richtig, und das Bundesheer soll auch kooperieren, aber eben nur so weit, dass die Neutralität erhalten bleibt.

Auch bei der Frage, ob die EU gegenüber China, Russland und den USA mit einer Stimme sprechen soll, winkt die FPÖ ab.

Ja, weil es angesichts der historisch gewachsenen Mitgliedstaaten unüberbrückbare Unterschiede in den Interessen gibt: Die baltischen Staaten werden immer einen anderen Blick auf Russland haben als Deutschland oder Frankreich. Aber grundsätzlich befürworte ich das Ziel einer einheitlichen EU-Position, ich halte es nur nicht für realistisch.

Was ist die größte Leistung der EU?

Ich bin versucht zu sagen: Frieden und Zusammenarbeit. Aber wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahre ansehe, nehmen die Spaltungen wieder zu: Großbritannien will austreten, gegen Ungarn und Polen laufen Artikel-7-Verfahren, demnächst vielleicht auch gegen Rumänien.

Wer trägt dafür die Verantwortung?

Ungarn und Polen sind von Anfang in allen migrationspolitischen Fragen, welche die EU-Nomenklatura vorantreiben will, ausgeschert.

Damit haben die formellen Verfahren aber nichts zu tun, hier geht es um das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, um eine unabhängige Justiz.

Ich weiß, man könnte aber auch zum Schluss kommen, dass die Vorwürfe nur vorgeschoben sind, um eine Strafe zu erwirken.

Glauben Sie das wirklich?

Nein, aber ich sehe es schon als Mitgrund, sonst müsste man anders miteinander umgehen. Ob die ungarische Regierung sich gut oder schlecht gegenüber ihren Bürgern verhält, sollte eine Sache der Ungarn sein, nicht der EU-Kommission.

Es ist für Sie kein Fortschritt, wenn eine übergeordnete Behörde ein Auge auf die Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Regeln hat?

Grundsätzlich schon, aber warum wurde dann bei der Abstimmung über das Artikel-7-Verfahren das Prozedere so abgeändert, dass Enthaltungen nicht als abgegebene Stimmen mitgezählt wurden? Das ist rechtlich in Ordnung, aber ich halte es für unsauber.

Dass die EU-Kommission nun mit Rumänien gegen eine sozialistische Regierung wegen des gleichen Vorwurfs vorgeht, beruhigt Sie nicht?

Mein Eindruck ist, dass die Vorgänge in Rumänien erst langsam zum Thema werden. Lange haben alle weggeschaut. Aber was kommt als Nächstes? Italien, weil Brüssel die dortige Entwicklung nicht passt? Ich frage mich: Wie wollen wir diese EU als Freundschaftsprojekt voranbringen, wenn wir einen Staat nach dem anderen vorführen?

Halten Sie die Vorwürfe für valide, dass Russland bei den EU-Wahlen versucht, Einfluss zu nehmen?

Das ist lächerlich. Dass ausländische Akteure Interessen haben, ist klar, aber das heißt nicht, dass es einen organisierten Prozess gibt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das funktionieren soll, mit ein paar digitalen Bots Millionen europäischer Wähler zu manipulieren.

Wie das in den USA geschehen ist, zeichnen Berichte detailliert nach, auch wenn der Erfolg offen ist.

Wähler lassen sich nicht so leicht beeinflussen, da geht es um Themen, Kandidaten und das Abschneiden bei Konfrontationen. Aber ich bin nicht blauäugig, Russland hat Interessen, wenn es um Europa geht, wie die USA und China. Alle versuchen, die Dinge zu beeinflussen. Das muss man nüchtern sehen. Ich will trotzdem zu allen ein gutes Verhältnis.