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Othmar Karas: "Akzeptiere keine Kapitulation vor den Ängsten"

Von Walter Hämmerle

Politik
© Tatjana Sternisa/Wiener Zeitung

ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas lobt sein Verhältnis zum Kanzler und will das EU-Parlament stärken.


Wien/Brüssel. Othmar Karas hat es in diesem Wahlkampf nicht leicht. Nicht nur, dass die FPÖ den 61-jährigen Niederösterreicher zum Lieblingsgegner erkoren hat, stürzen sich auch SPÖ, Neos und Grüne mit Vorliebe auf dessen prekäres Verhältnis zur türkis-blauen Regierungspolitik. Verkompliziert wird die innerparteiliche Lage noch durch die Kandidatur von Staatssekretärin Karoline Edtstadler, die blau-affine Wähler ködern soll. Karas stärkste Waffe ist seine Erfahrung: Seit 1999 kämpft er in Brüssel und Straßburg für Europa und hat sich dabei parteiübergreifende Meriten erworben.

"Wiener Zeitung": Taxifahrer gelten als gute Seismografen. Als ich kürzlich zwei Fahrer nach den Namen der heimischen EU-Spitzenkandidaten fragte, konnte keiner Namen und Partei richtig zuordnen. Ist diese Wahl womöglich doch nicht so wichtig, wie im Wahlkampf ständig getrommelt wird?

Othmar Karas: Wir haben tatsächlich ein Problem. Das kommt aber nicht von ungefähr: Wir sind zwar seit 1995 EU-Mitglied, trotzdem sind die europäischen Institutionen, ihre Rollen und Aufgaben noch immer nicht wirklich zuhause angekommen. Das spürt man in den Medien, wo Europas Themen noch immer nicht gleichwertig mit der Innenpolitik behandelt werden, weil viele nach wie vor so tun, als ob "die in Brüssel" nicht "wir" wären. Das ist schade, weil die Zukunft Österreichs mit der Zukunft Europas unauflöslich zusammenhängt.

Wer trägt dafür die Verantwortung: Sind es die EU-Politiker, die ihre Themen nicht richtig aufbereiten und kommunizieren? Die Medien, weil sie Brüssel unterschätzen?

Ich sehe zwei Hauptursachen: Zum einen stehen die nationalen Politiker noch immer zu wenig zu ihrer Mitverantwortung in Europa. Es gibt keine Entscheidung der EU, bei der Österreich nicht dabei ist, keine Zuständigkeit Brüssels, der wir nicht zugestimmt haben. Zum anderen sind die Entscheidungsmechanismen anders: Es ist immer ein Kompromiss, für den es stets lange Verhandlungen braucht. Das EU-Parlament ist ein richtiges Arbeitsparlament, in dem sich jeder, der etwas bewegen will, eine Mehrheit erst suchen muss. Das alles passt nicht in unsere Zeit der Polarisation, der Zuspitzung und schnellen Schlagzeilen. Europa heißt immer Kompromiss.

Die nationalen Akteure, Medien wie Politiker, scheitern also an der Komplexität der EU?

Ich kenne beide Ebenen aus eigener Erfahrung, die nationale wie die europäische. Manches hängt schon auch von Bequemlichkeiten ab . . .

Wer ist zu bequem?

Alle. Die einen reden lieber von "denen in Brüssel", als dass sie erklären, was tatsächlich geschieht. Viele verwechseln Europa-Politik noch immer mit Außenpolitik, dabei ist es längst Innenpolitik. Vor allem wird der Zusammenhang zwischen der großen Welt, Europa und den Angelegenheiten des eigenen Landes nicht richtig dargestellt. Hier fehlt es schlicht am politischen Willen und an der Bereitschaft, nicht immer den einfachsten Weg zu gehen. Wir müssen den Bürgern deutlich machen, dass die europäische Demokratie aus vier Ebenen besteht - Gemeinden, Länder, Bund und EU - und sie auf allen vier Ebenen ihre Vertreter wählen können.

Immer im Wahlkampf kommen die großen Reformvorhaben. Bundeskanzler Kurz fordert einen neuen EU-Vertrag. Dazu braucht es die Einigung aller Mitglieder, was doch angesichts der Differenzen in der EU illusorisch ist.

Das sehe ich nicht so. Wir müssen die Dinge, die wir für richtig und notwendig erachten, auch tun. Politik muss sich wieder etwas zutrauen, ansonsten werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht. Kapitulation vor den Ängsten kann und will ich nicht akzeptieren.

Na gut, dann werden wir konkret: Welche Reformen müssen in einem neuen EU-Vertrag drinnen stehen?

Effizientere Entscheidungsmechanismen, Sanktionen für die, die sich nicht an die Budgetregeln halten, und einen neuen Mechanismus zur Durchsetzung der rechtsstaatlichen Prinzipien. Dazu will ich, dass wir zunächst einmal den bestehenden Vertrag zu hundert Prozent einhalten, durchsetzen und alle seine Möglichkeiten ausnutzen. Trotzdem reicht das nicht. Deshalb bin ich für den Vorstoß des Bundeskanzlers dankbar, weil er die Tür für eine Zukunftsdebatte öffnet. Um die Bürger in diesen Prozess einzubinden, schlage ich Bürgerforen in allen Gemeinden vor. Wir brauchen eine breite Debatte über die Zukunft der EU auf allen Ebenen. Bis 2024 soll dann ein neuer Vertragsentwurf auf dem Tisch liegen, über den gleichzeitig mit der EU-Wahl 2024 abgestimmt wird. Inhaltlich muss es dabei, erstens um Sicherheit und Verteidigung gehen; zweitens um den Kampf gegen Steueroasen; drittens um Außengrenzschutz sowie den Kampf gegen die Ursachen von Flucht und Migration; viertens um die Beseitigung der Blockaden im Binnenmarkt bei Forschung, Energie, Klimaschutz und der Digitalunion.

In diesen Bereichen soll das Einstimmigkeitsprinzip fallen und Mehrheitsentscheidungen greifen?

Derzeit bestimmen die Zögerer, Zauderer und Nationalisten das Tempo. Ja, und wir müssen mehr Dinge gemeinsam entscheiden, unter Mitwirkung des EU-Parlaments. Dazu benötigen wir eine große Debatte. Ob das gelingt, hängt vom Ergebnis der EU-Wahl und der Zusammensetzung der nächsten EU-Kommission ab.

Frankreichs Präsident Macron und etliche Verbündete wollen verhindern, dass der stimmenstärkste Spitzenkandidat der nächste Präsident der EU-Kommission wird.

Macron und die Liberalen, zu denen auch die Neos gehören, wollen dieses System nicht. Deren Vision ist, die Kommission in eine Art Sekretariat der Regierungschefs zu verwandeln, statt an einem Europa der Bürger mitzuarbeiten. Wer Bürgerbeteiligung will, muss das EU-Parlament stärken und einen der Spitzenkandidaten zum nächsten Kommissionspräsidenten machen.

Die Regierungschefs treffen sich bereits am 28. Mai, also nur zwei Tage nach der EU-Wahl, um über die wichtigen Personalentscheidungen zu beraten. Wenn sich hier Mehrheiten abzeichnen, hat das neugewählte EU-Parlament praktisch keine Möglichkeit mehr, seine Forderungen durchzusetzen.

Bei der EU-Wahl 2014 hat das Parlament bereits am Montag nach der Wahl einen Vorschlag an die Regierungschefs der Mitgliedstaaten übermittelt. Alle Delegationen und Fraktionen werden noch vor den Regierungschefs tagen und sich absprechen. Das neue Parlament ist ab dem Tag nach der Wahl politisch handlungsfähig. Und Sie dürfen eines nicht vergessen: Egal, wie der Personalvorschlag des Rats ausfällt, die letzte Entscheidung über die Zusammensetzung der Kommission und den neuen Präsidenten, liegt beim Parlament. Ich glaube aber nicht, dass der Rat schon am 28. Mai konkrete Personalvorschläge machen wird.

EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber hat erklärt, dass er sich nicht mit den Stimmen der Rechtsaußen und Nationalisten zum Kommissionschef wählen lassen will. Soll es einen allgemeinen "Cordon Sanitaire" um diese Gruppe geben?

Wenn wir die EU effizienter, demokratischer und handlungsfähiger machen wollen, dann müssen wir auf eine Koalition der Mitte bauen. Es darf keine Koalition mit den Extremisten von rechts und links geben, deren Ziel es ist, die Union zu zerstören.

Die Medien sind voll von Geschichten über Ihr gespanntes Verhältnis zu Kanzler Kurz. Wie würden Sie selbst dieses beschreiben?

Unser Verhältnis ist einwandfrei und gut. Sebastian Kurz und ich kommen aus dem selben Stall, wir waren beide Obmänner der Jungen Volkspartei. Im Übrigen bin ich sehr dagegen, die Beurteilung von menschlichen Beziehungen allein davon abhängig zu machen, ob man in einzelnen Fragen immer einer Meinung ist. Mir sind starke Persönlichkeiten lieber, die miteinander fair, offen und ohne Verletzungen diskutieren können.

Und zwischen Ihnen beiden gibt es keine Verletzungen?

Nein, die gibt es nicht. Ohne Sebastian Kurz wäre ich jetzt nicht Spitzenkandidat der ÖVP.