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Bierlein: "Österreich ist eine gefestigte Demokratie"

Von Walter Hämmerle

Politik
© Wiener Zeitung

VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein sieht Österreichs Demokratie auf festen Füßen, Grund für Kritik sieht sie trotzdem.


Wien. Auch fast 18 Monate nach ihrem Amtsantritt emotionalisiert die türkis-blaue Koalition. Für nationale wie internationale Schlagzeilen sorgt vor allem die FPÖ, die im EU-Wahlkampf den Schulterschluss mit teils extremen Rechtsaußenparteien sucht und Probleme mit der Abgrenzung zum rechtsextremen Rand in Österreich aufweist. Die Folge sind wiederholte Mahnungen und Warnungen, die Österreichs Demokratie gefährdet sehen. Die "Wiener Zeitung" sprach darüber mit Brigitte Bierlein (69), der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs.

"Wiener Zeitung": Frau Präsidentin, es tobt eine heftige Debatte über die Verfassung unserer Demokratie. Wortführer sind Intellektuelle wie der Autor Daniel Kehlmann, der die Demokratie im Westen allgemein und in Österreich besonders in Gefahr wähnt. Was erwidern Sie als oberste Hüterin von Recht und Verfassung?

Brigitte Bierlein: Ich bedauere es außerordentlich, wenn bei manchen ein solches Bild entstanden ist. Österreich ist, davon bin ich überzeugt, eine gefestigte Demokratie mit einem funktionierenden Rechtsstaat. Unsere bald 100-jährige Verfassung ist im Wesentlichen unverändert Grundlage allen Handelns dieses Staates. Was richtig ist, ist, dass der Gesetzgeber mitunter versucht, seinen Gestaltungsspielraum durchaus weit auszulegen. Das ist nicht neu und auch derzeit der Fall, auch weil die Regierungsparteien im Parlament über keine Zweidrittel-Mehrheit verfügen.

Geht der Gesetzgeber manchmal auch zu weit?

Wenn er die Grenzen überschreitet, dann kommt der Verfassungsgerichtshof ins Spiel, jedenfalls dann, wenn es eine Anfechtung der umstrittenen Gesetzesmaterie gibt, und wir sind es dann, die verbindlich die Grenzen des politisch Möglichen festlegen.

Vor Kehlmann stimmte mit Reinhold Mitterlehner ein ehemaliger Vizekanzler in den Chor der Kritiker ein, indem er Österreich auf dem Weg zu einer "autoritären Demokratie" sieht. Sehen Sie Anzeichen für eine solche Sicht der Dinge?

Nein, die kann ich nicht erkennen. Ich halte es nicht für zulässig, Österreich mit Staaten wie Ungarn, Polen oder Rumänien zu vergleichen, wo es tatsächlich Anlass zur Sorge gibt, wenn die Unabhängigkeit der Justiz durch Handlungen der jeweiligen Regierung offen in Frage gestellt wird und wo Handlungsbedarf seitens der EU besteht.

Haben Künstler wie Kehlmann oder Elfriede Jelinek und Michael Köhlmeier, die wiederholt diese Regierung scharf kritisieren, ein schärferes Sensorium für Fehlentwicklungen?

Das hoffe ich nicht, sicher aber ist, dass Künstler ein anderes Sensorium haben. Vor allem müssen sie sich nicht, oder jedenfalls nicht vordringlich, um rechtliche Kategorien kümmern.

Aber welches Bild entsteht, wenn Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshof, wonach Flüchtlingen auch nach schweren Straftaten der Asylstatus nicht aberkannt werden darf, wenn eine Abschiebung in ein unsicheres Land droht, mit dem Hinweis antwortet, dass dies nicht dem entspreche, "was sich die Bevölkerung erwartet". Was antworten Sie, wenn der Innenminister der Republik dem EuGH attestiert, "auf dem falschen Pfad" zu sein?

Der Respekt vor den Menschenrechten ist Kernbestand jeder rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung - und diesen Respekt erwarte ich mir auch von einem Mitglied der Bundesregierung dieser Republik. Hinzu kommt, dass der von Ihnen angesprochene Spruch des EuGH in Übereinstimmung mit unserer eigenen Judikatur steht und gelebte Praxis ist. Das müsste eigentlich auch der Innenminister wissen. Aber wir befinden uns im Wahlkampf für das EU-Parlament, von daher rechne ich diese Aussagen dem Parteipolitiker im Innenminister zu. Und im Wahlkampf soll man bekanntlich nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Allerdings entfachen solche Worte auch ein Echo in gewichtigen internationalen Medien und prägen die Berichterstattung über das Land.

Umso wichtiger ist es festzustellen, dass jedes rechtskräftige Urteil, egal, ob auf nationaler oder auf europäischer Ebene, von der Politik zu akzeptieren ist. Ob das mit Freude oder Widerwillen geschieht, ist dabei in der Sache selbst unwichtig. Für die Judikative macht das keinen Unterschied, wichtig ist allein Akzeptanz und Beachtung der Urteile.

Der Bundespräsident hat Wert darauf gelegt, dass Justiz und Inneres nicht beide in FPÖ-Hand sind. War es ein Fehler, dieses Prinzip nicht auch auf die Sicherheitsministerien Inneres und Verteidigung anzuwenden, da hier sensible Informationen zusammenlaufen?

Die Trennung von Justiz und Inneres ist grundsätzlich kein Gebot der Gewaltenteilung, auch in Österreich waren diese beiden Ressorts schon in den Händen einer Partei. Aber der Herr Bundespräsident hatte sicher seine Gründe, es ist nun einmal so, dass die Regierungsbeteiligung einer Partei besonders stark polarisiert.

Kritiker warnen vor einer Unterwanderung staatlicher Institutionen, insbesondere der Geheimdienste, durch die FPÖ. Sehen Sie Anhaltspunkte für diese Sorge?

Zu dieser Frage läuft gerade im Parlament ein Untersuchungsausschuss, wobei hier auch die Amtszeit von ÖVP-Ministern unter die Lupe genommen wird. Allerdings ist das Phänomen, dass Parteien ihre Vertrauensleute bei staatlichen Stellen in Position bringen, keine Erfindung dieser Regierung, sondern war schon immer so. Und trotzdem habe ich keine Zweifel am Funktionieren des österreichischen Rechtsstaats.

Im Fokus steht auch das Verhältnis der Regierung, insbesondere der FPÖ, zu den Medien. Die Warnungen vor einer Einschränkung des Grundrechts auf Pressefreiheit sind nicht zu überhören.

Ich habe das Abrutschen Österreichs im Pressefreiheitsranking von "Reporter ohne Grenzen" vom 11. auf den 16. Platz mit Bedauern zur Kenntnis genommen.

Stimmt das mit Ihrer persönlichen Wahrnehmung überein?

Eigentlich nicht. Aus meiner Sicht ist die Pressefreiheit in Österreich intakt. Dass die Politik mit der Arbeit der Medien mitunter nicht glücklich ist, sei ihr unbenommen. Sehr wohl wahrgenommen habe ich, dass ersichtlich Druck auf einzelne Journalisten auszuüben versucht wurde. Negative Folgen für die Berichterstattung hatte das nach meiner Wahrnehmung aber nicht; im Gegenteil: Es hat vielmehr eine Solidarisierungswelle stattgefunden.

Nun ist offener Druck nicht das größte Problem für die Unabhängigkeit von Medien, sondern die ökonomischen Rahmenbedingungen. Die öffentliche Hand verfügt über einen beachtlichen Finanztopf für Inserate. Auf diese Weise lässt sich subtil Einfluss auf die Berichterstattung nehmen. Sollte das nicht völlig neu geregelt werden?

Die Medien stehen tatsächlich von vielen Seiten unter Druck, wobei sicher die Folgen der Digitalisierung eine große Rolle spielen. Hinzu kommt die Konkurrenz der Gratis-Medien, die zu einem wesentlichen Teil von Inseraten leben. Von daher sollte die Politik auf allen Ebenen zu einer neuen, transparenten Form der Mittelvergabe finden.

Wie beurteilen Sie die Rolle der EU bei der Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit?

Wir sollten eine grundlegende Debatte über die Weiterentwicklung der Union und die Befugnisse ihrer Organe führen. Vor zehn Jahren gingen wir noch davon aus, dass das jetzige Regelwerk funktioniert, wir sehen aber heute an Ländern wie Polen, Ungarn und Rumänien, dass dieses Regelwerk den Gegebenheiten offensichtlich nicht mehr entspricht. Eine mögliche Antwort könnten weiterführende Regeln und deutlichere Sanktionen sein.