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Der Kanzler muss zittern

Von Werner Reisinger und Karl Ettinger

Politik

Der Misstrauensantrag in der Nationalratsondersitzung bringt SPÖ und auch FPÖ in eine Zwickmühle.


Wien. Welche Regierung wird die Republik in den kommenden Monaten bis zur Neuwahl und zur Bildung einer neuen Bundesregierung leiten? Nach dem Aus für die türkis-blaue Koalition als Folge der Veröffentlichung des Ibiza-Videos könnte Österreich auf eine seit 1945 noch nie dagewesene Situation zusteuern.

Bundeskanzler Sebastian Kurz kann nicht sicher sein, dass er nach der Sondersitzung des Nationalrats am Montag noch im Amt ist. Möglicherweise findet erstmals ein Misstrauensantrag gegen ihn oder die Regierung eine Mehrheit im Parlament. Alles hängt dabei an der SPÖ und auch an der FPÖ, die zusammen über die notwendige Mehrheit im Nationalrat verfügen.

Neos machen nicht mit

Nach der Entlassung der FPÖ-Minister kündigt sich in Nervenschlacht wegen des Misstrauensantrags an. Das zeichnete sich am Dienstag innerhalb der SPÖ ab. Aber auch in der FPÖ ließ man das Abstimmungsverhalten offen. Diese Parteien verfügen über 103 der 183 Mandate im Hohen Haus. Mindestens ein Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz wird aller Voraussicht nach am Montag, nur einen Tag nach der EU-Wahl, im Nationalrat eingebracht werden. Angekündigt hat das die Oppositionspartei Liste Jetzt. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger von der zweiten Oppositionspartei hat sich gegen einen Misstrauensantrag gegen Kurz oder die gesamte Bundesregierung ausgesprochen. Es gehe darum, den Menschen ein Signal der Stabilität zu geben. Es solle für die Übergangszeit eine "Verwaltungsregierung" geben.

Die stärkste Oppositionspartei, die SPÖ, ist unter Zugzwang. Ihr Verhalten war vorerst offen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner reicht es nicht, dass die FPÖ-Minister gehen, sie will eine komplette Expertenregierung. Sonst, hieß es aus dem SPÖ-Umfeld, werde die SPÖ einem Misstrauensantrag gegen Kurz zustimmen. Das ließ die SPÖ-Chefin am Abend ausdrücklich offen: Nur die Unabhängigkeit einer Expertenregierung schaffe "echtes Vertrauen", "eine ÖVP-Alleinregierung, wie sie angedacht ist, schafft dieses Vertrauen nicht."

Allerdings kommt Rendi-Wagner damit in einen gewissen Gegensatz zu ihrer bisherigen Linie nach dem Platzen des Skandals um die Video-Aufnahmen von Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache in Ibiza. Bisher hat sie zwar Kurz für das Chaos verantwortlich gemacht, aber zugleich betont, dass es ihrer Partei um Stabilität gehe.

In der SPÖ läuft die Debatte auf Hochtouren. Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil hat einen möglichen eigenen Misstrauensantrag in den Raum gestellt. Kommen Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen dem Wunsch der SPÖ-Chefin nach einem Austausch aller Minister nicht nach, würde das bedeuten, dass die SPÖ die Ankündigung wahr machen und einem Misstrauensantrag zustimmen müsste.

Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) hat hörbar gemahnt. Man müsse "solche Dinge wirklich sehr, sehr vorsichtig zu prüfen". Es solle "auf Ebene der Klubs und zwischen den Klubs mitentschieden werden. Es geht das Leben auch nach einem Misstrauensantrag weiter", warnte er: "Jedenfalls ist es wichtig, dass die Organe dieser Republik funktionieren. Das ist oberste Priorität."

Der Druck auf Rendi-Wagner wird nicht nur in der SPÖ stärker. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen strich ausdrücklich hervor, dass es sich lediglich um ein Übergangskabinett handle. Dem Vernehmen nach versuchte der Bundespräsident, hinter den Kulissen, eine Absetzung des Bundeskanzlers durch einen Misstrauensantrag zu vermeiden.

Keine Mehrheit ohne FPÖ

Für einen erfolgreichen Misstrauensantrag sind auch Stimmen der FPÖ-Abgeordneten nötig. Auch in der FPÖ gibt es offenbar Differenzen in der Frage. Misstrauen signalisierte zuerst Ex-Innenminister Herbert Kickl. Die FPÖ mit dem designierten Obmann Norbert Hofer bezeichnete das als Missinterpretation und betonte, die Entscheidung sei offen.

Der FPÖ-Klub werde sich nach dem Einbringen des Misstrauensantrags durch die Opposition in enger Abstimmung mit der Parteiführung entscheiden. Hofer hat ähnlich wie Rendi-Wagner zuvor erklärt, es gehe auch ihm nach dem Ende der türkis-blauen Koalition um Stabilität. Aus der Tiroler FPÖ gab es aber Unterstützung für einen Misstrauensantrag. Daher wurde auch ein unterschiedliches Stimmverhalten der Freiheitlichen als möglich angesehen.

Kommt es zur Absetzung von Kanzler Kurz, ist alles offen. Der Bundespräsident müsste einen neuen Kanzler ernennen, dieser müsste sich im Parlament neue Mehrheiten suchen.

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