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"Das Grundvertrauen ist angegriffen"

Von Petra Tempfer

Politik

Das Ibiza-Video hat die Vorurteile gegenüber der Politik wiederbelebt.


Wien. Im Vorjahr, rund ein Jahr, nachdem sich die neue türkis-blaue Regierung gebildet hatte, hatten Politiker noch einen ungewohnten Höhenflug durchlebt: Einer Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts OGM im Auftrag der "Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform" zufolge war die Zahl all jener, die Politikern vertrauen, erstmals wieder signifikant gestiegen. Unter den 800 repräsentativ ausgewählten, online befragten Bürgern war der Anteil jener Personen, die der Politik sehr oder eher vertrauen, gegenüber dem Vorjahr von zwölf auf 45 Prozent gewachsen. OGM-Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer führte diese Trendwende im Oktober des Vorjahres auf den Kommunikationsstil der türkis-blauen Regierung zurück - ohne Streit und Stillstand, wie er damals sagte.

Heute, rund ein halbes Jahr danach, hat sich die Situation innerhalb weniger Tage ins Gegenteil gekehrt. Am Freitag der Vorwoche wurde das Ibiza-Video publik. Heinz-Christian Strache trat als Vizekanzler und FPÖ-Parteichef und der ehemalige geschäftsführende FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus von all seinen politischen Ämtern zurück: Strache verspricht in dem Video der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen Regierungsaufträge für mediale Schützenhilfe und erklärt, wie man Parteispenden am Rechnungshof vorbeischleusen könnte. Das Vertrauen in die Politik sank erneut. Und zwar schlagartig.

"Die sind eh alle gleich"

"Die Freiheitlichen, die skeptisch und ablehnend beziehungsweise misstrauisch gegenüber dem System sind und waren, waren plötzlich wieder in der Regierung und erbrachten damit den Beweis, dass sie doch mitregieren können. Das hat die Vertrauenswerte steigen lassen - es ist zu erwarten, dass diese jetzt wieder sinken", sagt dazu Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Die einen, die Kernwähler der FPÖ, würden die Schuld in den anderen politischen Parteien sehen, indem sie sagten, die FPÖ sei hinausgemobbt worden. Und die anderen gäben der gesamten Politik die Schuld. "Sie sagen: ,Die sind eh alle gleich‘", sagt Hofer. Das Vertrauen sei in jedem Fall gebrochen. Und zwar nicht nur gegenüber der FPÖ. "Das Video hat vorhandene Vorurteile gegenüber der Politik deutlich wiederbelebt."

Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle sieht es ähnlich. "Es ist nicht nur eine Regierungskrise oder eine Staatskrise. Es ist auch eine Demokratiekrise", sagt sie. Vertrauen wird als eine der zentralen Voraussetzungen von Demokratie angesehen.

Jede Krise biete aber auch die Chance der Erneuerung, so Stainer-Hämmerle weiter. Sie müsse also nicht per se nur negativ gesehen werden. "Noch nie waren zum Beispiel die Bürger so intensiv dabei, über Politik zu diskutieren", so Stainer-Hämmerle. Die zentrale Frage sei jedoch, welche Angebote die Parteien stellen werden, um dieses Bild zurechtzurücken - um damit dem Satz von Bundespräsident Alexander Van der Bellen gerecht zu werden, der sagte: "So sind wir nicht."

Man müsse das Vertrauen wieder herstellen, sagte auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag zur Situation. Aber wie? In erster Linie gehe es dabei um Transparenz, meinen sowohl Hofer als auch Stainer-Hämmerle. "Um das Vertrauen wieder herzustellen, braucht es Transparenz in der Parteien- und Wahlkampffinanzierung, Spendenlisten müssen offengelegt werden - und zwar in der gesamten Politik", sagt Hofer.

Stainer-Hämmerle sieht zudem den Ton, mit dem Politiker die Bevölkerung nun ansprechen, als wichtigen Faktor. Es gehe um Authentizität und Glaubwürdigkeit. Man müsse den Wählern vermitteln, dass man bemüht sei, eine Lösung zu finden. Und nicht, dass es darum geht, jetzt schon Wahlkampfreden für die für September ausgerufenen Neuwahlen zu schwingen, sagt die Expertin.

Zeitpunkt vor EU-Wahl zufällig?

Inwieweit die EU-Wahl am kommenden Sonntag, dem 26. Mai, vom Ibiza-Video" beeinflusst sein wird, lasse sich schwer abschätzen. Es sei auch unwahrscheinlich, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos bewusst unmittelbar vor der EU-Wahl gewählt war, sagt Stainer-Hämmerle. "Man muss ja auch bedenken, dass zwischen dem Zeitpunkt der Übergabe und der Veröffentlichung einige Zeit vergangen ist, die nicht abschätzbar war. Das Video musste zum Beispiel geprüft werden." Der Zeitpunkt wirke eher paradox. Wenn jemand der EU schaden wollte, hätte er die FPÖ stützen müssen - wollte er die EU stärken, "hätte er das anders gemacht".

Nicht einmal, ob die Wahlbeteiligung davon beeinflusst sein wird, lasse sich abschätzen. "Vor dem Skandal hätte ich gesagt, es wird eine Steigerung in Richtung 50 Prozent geben (2014 lag sie bei 42,61 Prozent, Anm.)", sagt Hofer, "das ist jetzt in Frage gestellt. Im FPÖ-Lager gibt es eine gewisse Gefahr, diese Wähler sind für so eine Wahl ohnehin schon schwer zu mobilisieren. Aber es ist schwierig, irgendetwas zu prognostizieren, denn die Oppositionsparteien könnten einen Mobilisierungsfaktor daraus schlagen. Nicht, was das Systemzutrauen angeht, sondern was die Ablehnung gegenüber der FPÖ betrifft. Darum kann man im Moment schlichtweg nichts Konkretes sagen." Dass die FPÖ gegenüber 2014 dramatisch verlieren wird, glaubt Hofer nicht. Gegenüber den Prognosen, die bereits bei bis zu 24 Prozent lagen, werde sie aber vermutlich schon verlieren, so Hofer. Bei der EU-Wahl 2014 hatte die FPÖ 19,72 Prozent erreicht.

Wähler bei Politik vorgewarnt

Gerade, was Politik betrifft, seien Wähler grundsätzlich vorgewarnt. "Sie sind nicht so naiv, alle Wahlversprechen zu glauben", sagt Sozialpsychologe Marc-André Reinhard. Anders als bei anderen Institutionen, die für Wahrheit und Menschlichkeit stehen - wie zum Beispiel die Kirche - wüssten sie, dass Politiker auch viele leere Versprechungen gäben.

Ereignisse wie das "Ibiza-Video" oder auch eine Bankenkrise machten Menschen jedoch skeptisch. "Das Grundvertrauen ist angegriffen", sagt Reinhard.

Um dieses wieder herzustellen, spricht sich Reinhard ebenfalls für Transparenz aus - mindestens genauso wichtig sei jedoch das Wechselspiel der Anreize und der Aufdeckungswahrscheinlichkeit. "Die Forschung zeigt: Je höher der Anreiz, desto eher agieren wir unmoralisch", sagt er. Ist dann noch dazu die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung gering, etwa durch geringe Transparenz, seien Geld und Macht umso verführerischer. Das gelte allerdings nicht nur für Politiker. Ganz im Gegenteil. "Das kann auf jede Gruppe zutreffen, angefangen vom Wissenschafter bis hin zum Unternehmer", so Reinhard. "Das gehört zum Menschsein dazu, dass wir nicht grundsätzlich ehrlich sind."