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Werner Kogler: "Kanzler Kurz hat das Vertrauen verspielt"

Von Walter Hämmerle

Politik
© Moritz Ziegler

Werner Kogler, EU-Spitzenkandidat der Grünen, will den Abgang des Kanzlers und eine radikale Reform der EU.


Wien/Brüssel. Es blieb an Werner Kogler hängen, die Aufräumarbeiten bei den Grünen nach dem Desaster der Nationalratswahl 2017 anzupacken. Und der 57-jährige Steirer hat geliefert. Die Rolle als Spitzenkandidat für die EU-Wahl gibt dem Parteiobmann die Möglichkeit einer Rückkehr in die mediale Arena. Zudem deuten die Prognosen auf einen gesicherten Einzug ins EU-Parlament hin, auch wenn die Latte von 14,5 Prozent und drei Mandaten wohl nicht zu erreichen sein wird. Die vorgezogenen Nationalratswahlen im September bedeuten nun die Chance, die Zeit als außerparlamentarische Opposition drastisch zu verkürzen.

"Wiener Zeitung": Sie kandidieren als Parteichef am Sonntag für die EU-Wahl, wen werden die Grünen als Spitzenkandidat für die Nationalratswahl nominieren?

Werner Kogler: Die aktuellen Entwicklungen sind haarsträubend und es ist staatspolitisch wichtig, dass die blaue Bande nicht länger den Ruf Österreichs schädigt. Kanzler Kurz hat dies zu verantworten, hat er doch die Freiheitlichen und diese wiederum die Kellernazis in die Beletage der Republik geholt. Insofern sind rasche Neuwahlen im Sinne Österreichs. Wir Grüne werden uns ab Montag mit allen relevanten Fragen für die Nationalratswahl beschäftigen.

Wie wird die Affäre um das Ibiza-Video die Republik verändern?

Die Affäre ist Anlass für mich, ein Paket für saubere Politik vorzuschlagen: Mit strafrechtlichen Reformen sollen versteckte Spenden und Umgehungen künftig verhindert werden. Es soll Strafen für Parteimanager geben, die für die Finanzen zuständig sind; der Rechnungshof braucht echte Kontrollrechte und volle Einsicht in die Parteifinanzen. Außerdem bin ich für Sanktionen, wenn die Wahlkampfkosten-Grenze überschritten wird: Wenn man das Doppelte des Überschreitungsbetrags zurückzahlen muss, schmerzt das erheblich, bei Wiederholung kann ich mir auch das Dreifache vorstellen. Das wirkt abschreckend. In Österreich ist überdies die Parteienfinanzierung sehr großzügig. Da stellt sich die Frage, ob Spenden von Einzelpersonen nicht mit 50.000 Euro jährlich gedeckelt werden, für Unternehmen sollte die Grenze noch niedriger sein, in anderen Ländern sind Industriespenden ganz verboten.

Sollte der Bundespräsident die gesamte Regierung entlassen?

Kanzler Kurz hat das Vertrauen verspielt, er sollte von sich aus den Weg freigeben und einen untadeligen, integren und kompetenten Übergangskanzler zulassen. Da schlage ich den früheren EU-Kommissar Franz Fischler vor. Er hat die Erfahrung, die Österreichs Regierungsspitze jetzt braucht - für die Abwicklung des Brexit, bei der Bildung einer neuen EU-Kommission und nicht zuletzt, um Österreich innenpolitisch zu stabilisieren.

Geht es am Sonntag überhaupt noch um Europa?

Ich hoffe. Diese Wahl ist zu wichtig, als dass sie von den peinlichen und korruptionsbehafteten Ereignissen überlagert werden soll. Wir alle brauchen ein starkes Europa, das sich den Herausforderungen in Sachen Klimaschutz, sozialer Zusammenhalt und einer Weiterentwicklung der Gemeinschaft zu einer ökologischen und sozialen Friedensunion stellen kann. Und wir sollten auf europäischer Ebene die wirtschaftlichen Vorteile aus vernünftigen Klimaschutzmaßnahmen herausholen. Das geht nur, wenn ökologische und soziale Pro-Europäer ins EU-Parlament kommen. Und wir sollten Europa vor den alten Nationalisten und neuen Rechtsextremen schützen.

Die Grünen wollten immer eine Programmpartei sein, Köpfe in der Politik waren ihnen immer wesensfremd. Jetzt stellt sich heraus, dass die Grünen fast noch abhängiger sind von den Personen an der Spitze als andere Parteien.

Auch die Grünen können sich dem Trend in der Politik zur Personalisierung nicht entziehen. Das ist aber auch nicht wirklich ein neues Phänomen.

Die Grünen haben allerdings immer dagegen angekämpft.

Naja, angekämpft, das ist übertrieben. Wir sind halt der Überzeugung, dass Themen und Programme wichtiger sein sollten als Köpfe. Und wenn ich mir das jetzige Comeback der Grünen anschaue, dann stimmt das schon auch: Das Wiederaufkommen der Grünen im vergangenen Jahr war das Ergebnis einer Rückbesinnung auf unsere grundlegenden Themen und Werte. Dabei kamen wir in unzähligen Diskussionen zum Ergebnis, dass wir Grüne eine Partei der Ökologie und der Gerechtigkeit sein müssen. Und diese beiden Themen, die miteinander in vielfacher Beziehung stehen, ziehen wir jetzt auch durch.

Warum investieren Sie nicht alle Energie auf die Ökologiefrage, schließlich ist der Klimawandel in aller Munde, und überlassen das Thema Gerechtigkeit klassischen linken Parteien wie der Sozialdemokratie?

Ökologie ist auch jetzt unser Schwerpunkt, wir wollen die EU-Wahl zu einer Klima-Wahl, eine Abstimmung über Maßnahmen gegen die Klimakrise machen. Und das Thema Ökologie ist es auch, das uns von allen anderen Parteien unterscheidet. Es ist völlig hirnverbrannt, noch immer viele Milliarden in den Ausbau von Autobahnen zu investieren, anstatt diese Mittel in den öffentlichen Verkehr, vor allem den Schienenverkehr zu investieren. Auch Neos und SPÖ, von ÖVP und FPÖ nicht zu reden, sind im Zweifel verlässlich für die dritte Flughafenpiste in Wien oder den Bau der Lobau-Autobahn. Wenn es um angebliche Standortfragen geht, dann sehen SPÖ und Gewerkschaften immer nur die bestehenden Arbeitsplätze, aber nie die, die es geben könnte, wenn wir die Mittel anders, nämlich ökologisch investieren würden. Die SPÖ ist in Umweltfragen eine Plakat- und Inseratenpartei: Grün blinken, dreckig abbiegen. Das ist der Unterschied zu uns Grünen: Wir halten durch, auch wenn nicht alles populär ist, was wir sagen.

Trotzdem wird, wie es heute aussieht, sowohl die dritte Flughafenpiste als auch die Lobau-Autobahn gebaut, und das obwohl die Grünen in Wien mitregieren.

Das sind aber Bundesthemen. So weit reicht unsere Macht dann auch wieder nicht.

Sie hätten beides auch zu Koalitionsfragen machen können.

Wir halten dagegen, wo wir können. Letztlich müssen aber auch wir Grünen letztinstanzliche Entscheidungen des Rechtsstaats akzeptieren, jedenfalls wenn sie korrekt zustande gekommen sind. Aber wir leisten physischen Widerstand, wo das sinnvoll und möglich ist.

So gesehen müssten die Grünen viel härtere Kritiker der EU sein, immerhin verfolgt diese eine Investitions- und Standortpolitik, die oft diametral zu grünen Ideen verläuft?

Wir kritisieren die EU hart. Wir unterscheiden sehr genau zwischen der EU als Einigungsprojekt und dem, was dort für konkrete Politik gemacht wird. Deshalb treten wir auch an, um die europäische Politik grundlegend zu verändern. Wer Europa liebt, muss die Union verändern wollen. Und zwar radikal.

Dieser Satz könnte auch von einem FPÖ-Politiker kommen.

Wenn, dann würde er aber in die völlig entgegengesetzte Richtung zielen. Die FPÖ und ihre Verbündeten wollen die EU zerstören, davon kann bei uns keine Rede sein. Wir stellen die Frage nach den Grundvorstellungen der Union und welche davon die EU nicht einlöst. Unser Ziel ist eine föderale europäische Grundordnung in den Bereichen, die auch europäisch gelöst werden müssen. Ich bin sicher, dass dann auch die Bindekraft der EU stärker sein wird.

Welche Bereiche sollen das sein?

In erster Linie Wirtschafts- und Finanzfragen, und zwar schon allein deshalb, um der Finanzkraft der großen Konzerne ein politisches Gegengewicht entgegenzusetzen. Ansonsten wird irgendwann die Regel gelten: Je größer die Konzerne, desto weniger Steuern zahlen sie. Und jedes Einkommen, egal aus welcher Quelle, soll gleich besteuert werden.

Gesetzt den Fall, Ihre Politikvorstellungen ließen sich durchsetzen: Wie würde dies das alltägliche Leben der Menschen verändern - im Positiven wie im Negativen?

Das hängt grundsätzlich von den Wertvorstellungen ab, die jeder Einzelne hat. Aber wenn man bei diesem Veränderungsprozess vorne dabei ist, dann sehe ich enorme wirtschaftliche Vorteile. Durch Investitionen gegen die Klimakrise ersparen wir uns nicht nur enorme Strafzahlungen, es entstehen auch neue Jobs. Grundsätzlich aber gilt: Entweder wir leben mit der Natur oder gegen sie. Wie auch immer unsere Entscheidung ausfällt, hat das Folgen für unser Leben.

Geht es ein bisschen konkreter?

Gerne. Als Erstes gilt es, die unsinnigen Förderungen zurückzufahren. Dass wir noch Jahre mit Milliarden Euro Energie aus Kohle subventionieren, ist schwachsinnig. Auch 95 Prozent der Agrarsubventionen gehen in die falsche Richtung - gigantische Tierfabriken, vergiftete Böden - und wir zerstören damit auch noch die Landwirtschaft in Afrika. Dieses System gehört radikal umgesteuert in Richtung Nachhaltigkeit und weniger Tierleid. Dann brauchen wir neue Antriebssysteme für den Individualverkehr. Und das Herzstück ist eine grundlegende ökologische Steuer- und Steuerungspolitik.