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"Legal oder nicht - es ist ja nichts passiert"

Von Simone Brunner

Politik

Russischer Politologe Andrej Kulikow: Ibiza-Gate belastet weder die Beziehungen zu Österreich noch zur FPÖ.


Wien. Auch in Russland hat die Ibiza-Affäre Schlagzeilen gemacht. Doch in den staatlichen Medien wird der Fall, ähnlich wie von der FPÖ, bagatellisiert. Der kremlloyale Politologe Andrej Kulikow spricht mit der "Wiener Zeitung" über die Reaktionen in Russland und wie sich der Skandal auf die Beziehungen zwischen dem Kreml, der FPÖ und europäischen Rechtsparteien auswirken könnte.

"Wiener Zeitung":Das sogenannte ‚Ibiza-Video‘ hat in Österreich ein politisches Erdbeben ausgelöst, aber auch in den russischen Medien ist der Skandal ein großes Thema. Wie wird in Russland das Ende der politischen Karriere von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus gesehen?

Andrej Kulikow: Dieser Skandal nimmt einen beträchtlichten Teil in den russischen Medien ein, aber dennoch weniger, als wenn es wirklich einen direkten Russland-Bezug geben würde. Aber es kann natürlich kein positives Echo hervorrufen, wenn die guten Beziehungen zwischen Russland und Österreich für eine derartige Provokation herhalten müssen. Die einen sehen diese Geschichte als einen Beweis, dass verschiedene Kräfte - vor allem außerhalb Österreichs - einen Konflikt zwischen den beiden Ländern heraufbeschwören wollen. Andere, liberale Politiker, wiederholen im Prinzip das, was in der österreichischen und deutschen Presse gesagt wird über die Rechtsextremen und ihre Politik. Obwohl es einen klaren Unterschied gibt: in Russland hat niemand dazu aufgerufen, die Koalition aufzulösen und Neuwahlen auszurufen.

Es gibt viele Spekulationen, wer hinter diesem Video stecken könnte. Zuletzt haben sich Hinweise zu einem Wiener Anwalt und einem Münchner Detektiv verdichtet, aber es gibt noch keine klaren Antworten. Welche Varianten wurden in Russland diskutiert?

Sie unterscheiden sich nicht wirklich von jenen, die in Österreich oder Deutschland verbreitet werden. Aber natürlich gibt es in Russland auch Kommentatoren mit, sagen wir, ungewöhnlichen Vermutungen. Zum Beispiel gibt es auch die Theorie, dass hinter dem Skandal die USA stehen könnte.

Es gibt auch eine offizielle Stellungnahme des Putin-Sprechers, dass der Kreml und Russland nichts mit der Sache zu tun haben. Erregt der Fall in Russland so viel Aufmerksamkeit, dass der Kreml offiziell darauf reagieren muss?

Diese Sache ist nun einmal unangenehm für den Kreml, weil im Namen Russlands gearbeitet wurde, um die FPÖ-Politiker zu provozieren. Das kommt ja auch nicht alle Tage vor. Da müssen die offiziellen Stellen natürlich reagieren.

"Das ist ein ganz gewöhnliches Gespräch, wie das nun mal in einem Wahlkampf vorkommt", heißt es in der berühmt-berüchtigten russischen Sonntagabendshow "Westi Nedeli" von Dmitrij Kisseljow über das Ibiza-Video. Aber die Praktiken und die Vorschläge, die in dem Video gezeigt werden, sind problematisch - was etwa die Finanzierung über Vereine betrifft. Stört das denn niemanden in Russland?

Ich sehe keinen Grund, darüber zu diskutieren, ob etwas legal oder nicht legal ist, wenn eigentlich nichts passiert ist.

2016 wurde ein Kooperationsvertrag zwischen der FPÖ und der Kreml-Partei Einiges Russland geschlossen. In aktuellen russischen Medienberichten wird inzwischen aber kaum noch darauf hingewiesen. Gibt es die Vermutung, dass sich das offizielle Russland nach diesem Skandal von der FPÖ distanzieren möchte?

Nein, ich denke nicht, dass es diesen Wunsch in Russland gibt oder geben wird.

Dennoch waren es bei der FPÖ vor allem Strache und Gudenus, die viele Kontakte in Russland haben. Warum sind Sie so sicher, dass das keine Auswirkungen auf die Beziehungen zur FPÖ haben wird?

Von russischer Seite ist es ganz klar, dass sich die Beziehungen weder zu Österreich, noch zu österreichischen Politikern wie etwa der FPÖ verändern werden. Welche weiteren Schritte die österreichischen Politiker setzen werden, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Es ist ganz offensichtlich, dass in letzter Zeit aufgrund der guten Beziehungen zu Russland auf Österreich Druck ausgeübt wurde, und dabei geht es ja nicht nur um die FPÖ.

Was meinen Sie?

Das ist doch offensichtlich: Zum Beispiel, gibt es Druck auf "Nord Stream 2", außerdem gibt es inzwischen Einschränkungen der Zusammenarbeit mit Österreich vonseiten der USA im Bereich der Sicherheit, wegen der Position der FPÖ und ihrer Teilnahme an der Koalition (zuletzt gab es Berichte, dass europäische Nachrichtendienste ihre Kooperation mit Österreich wegen der Russland-Kontakte beschränken, Anm.)

Denken Sie, dass diese Ereignisse die künftigen Beziehungen zwischen Österreich und Russland oder sogar anderen europäischen Rechtsparteien und Russland beeinflussen werden?

Alles ist möglich. Aber ich hoffe, dass das nicht passieren wird. In Großbritannien hat es 2015 den Skandal "cash for access" gegeben. Die Journalisten haben sich für ein fiktives chinesisches Unternehmen ausgegeben, um über einen für beide Seiten vorteilhaften Deal mit einflussreichen Vertretern der Mainstream-Parteien - also den Liberalen und den Konservativen - zu verhandeln. Nach diesem Skandal haben diese Politiker ihre politischen Karrieren vorübergehend beendet, aber niemand hat das Thema China ausgerollt, um irgendwelche Schlüsse über China und seine Politik zu ziehen.

Im Unterschied zur aktuellen Affäre?

Jetzt wird in Österreich auf allen Ebenen die Zusammenarbeit mit der FPÖ beendet. Aber wenn die FPÖ eine Mainstream-Partei wäre, wie bei diesem Skandal in Großbritannien, wäre das wohl nicht so. Ich bin überzeugt, dass sich der Skandal dann nur auf einige Politiker beschränken und nicht zu einem Bruch der Koalition führen würde, schon gar nicht auf lokaler Ebene. Außerdem hat sich der aktuelle Skandal schon negativ auf Russland ausgewirkt, obwohl es ja überhaupt nichts damit zu tun hat. Nehmen Sie den Expertenklub "Waldaj" in Wien, bei dem jetzt der österreichische Partner im letzten Moment abgesagt hat. In Großbritannien hat damals niemand gefordert, die Zusammenarbeit mit China in Frage zu stellen.

Aktuell finden EU-Wahlen statt. Zuletzt wurde immer wieder darüber spekuliert, ob Russland versuchen könnte, Einfluss zu nehmen. Wie kommentieren Sie das?

Ich denke, es sind sich inzwischen alle einig, dass es keine Versuche gibt, Einfluss zu nehmen. Insgesamt finde ich, dass das Thema über einen möglichen Einfluss Russlands aufgebauscht wird, um unterschiedlichen Parteien und Politikern einen Vorwand zu liefern, ihre Gegner zu kritisieren und nicht über ihre eigenen Probleme sprechen zu müssen.