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Das Ende eines Grenzgängers

Von Jan Michael Marchart

Politik

Was bleibt vom "besten Innenminister aller Zeiten" (© FPÖ), der als erster Minister der Zweiten Republik entlassen wurde?


Wien. Herbert Kickl brauchte von seiner Angelobung weg exakt 24 Tage, um erstmals international für Schlagzeilen zu sorgen. Vor Journalisten sprach er am 11. Jänner 2018 davon, dass Asylwerber in Zukunft "konzentriert an einem Ort zu halten" seien. Die "New York Times" berichtete darüber, der britische öffentlich-rechtliche Rundfunk BBC bezeichnete den rhetorischen Ausritt als "Nazi-Sprache". Bundespräsident Alexander Van der Bellen rückte aus und mahnte einen "verantwortungsvollen Umgang mit der Sprache" ein.

Eineinhalb Jahre später ist der Provokateur Kickl der erste Minister der Zweiten Republik, der entlassen wurde.

Die Orbanisierungs-Fantasien von Vizekanzler Heinz-Christian Strache und FPÖ-Klubchef Johann Gudenus in der "Ibiza-Affäre" beendeten die Koalition vorzeitig. Ein Weitermachen soll für Bundeskanzler Sebastian Kurz nur unter der Bedingung möglich gewesen sein, dass Kickl geht. Nicht ohne Grund.

Dabei war Kickl für Strache "der beste Innenminister aller Zeiten". Das ist natürlich eine bewusste Überhöhung, einem objektiven Blick hält das nicht stand, die Realität ist eher das Gegenteil. Kickl war bis zu den "Ibiza-Videos" das größte Problem für seinen Koalitionspartner. Kickl sei "ein Zerstörer und kein Gestalter", sagte Jörg Haider einmal über den Sprücheklopfer, den er selbst entdeckt hatte.

Zumindest beschädigt wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz- und Terrorismusbekämpfung (BVT) durch Kickls heikelste Affäre. Die Razzia vom Februar 2018 beschäftigt bis heute Gerichte und einen Untersuchungsausschuss. Auch Akten über rechtsextreme Netzwerke, die von den Identitären bis zur FPÖ reichen, wurden beschlagnahmt. Seit der Razzia und durch die Russland-Kontakte der FPÖ wird das BVT von europäischen und internationalen Geheimdiensten gemieden. Die "Ibiza-Affäre" verschärft die Isolation: Der deutsche Verfassungsschutz sieht "erhebliche Risiken" in der Zusammenarbeit mit Österreich.

Rennwagenund Maturafeiern

Sachpolitisch gab Kickl seinen Wählern das, wofür sie die FPÖ gewählt haben: scharfe Töne gegen Ausländer und eine restriktive Asylpolitik.

Der Innenminister erhöhte den Druck auf Abschiebungen von Asylwerbern, die Zahlen stiegen von 3150 auf 4661 im Jahr 2018 an. Es ging sogar so weit, dass eine schwangere Mutter von ihrem dreijährigen Sohn getrennt und ein Asylwerber am Traualtar festgenommen wurde. Kickl nannte die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Traiskirchen in "Ausreisezentrum" um, verstaatlichte die Betreuung und Beratung des Flüchtlingswesens und entzog sie NGOs.

Die Polizei stilisierte Kickl zum Ärger vieler Beamten unrealistisch als Behörde der Rennwägen, Hundeführer und Cobra. Tatsächlich bekam die Polizei einen KTM-Rennwagen zu Rekrutierungszwecken, den die "Kronen Zeitung" auf die Titelseite hob. Die Realität sieht aber mehr nach Skoda, Büroarbeit und Schlichtung von Familienstreitigkeiten aus. Auch die viel zu groß angekündigten Polizeipferde, die bis heute nicht traben, sorgen für Kritik, weil man sie laut Beamten eigentlich nicht braucht. Sogar eine Einstellung nach dem Testbetrieb wird debattiert, heißt es in Polizeikreisen.

Für die Exekutive schaffte Kickl zwar mehr Geld für 2100 zusätzliche Dienstposten für die nächsten Jahre heran, aber er hatte trotz Lockerung der Aufnahmekriterien Probleme, die Stellen zu besetzen. Das neue Aufnahmeverfahren in den Polizeischulen führte obendrein dazu, dass getestete Bewerber die Prüfung wegen des neuen Punktesystems wiederholen mussten und nicht eher eingesetzt werden konnten. Zusätzlichen Ärger brachte Kickl die Anfang 2019 angedrohte Überstundenkürzung bei der Exekutive, die zu Engpässen auf der Straße führt, obwohl der Minister betonte, keinesfalls bei der Polizei sparen zu wollen.

Die schusssichere Westeeines anderen

Wie wichtig den Polizeieinheiten gute Ausrüstung ist, wusste Kickl. Wohl auch deshalb ließ er sich öffentlichkeitswirksam mit den neuen schusssicheren Westen im Boulevard abbilden. Er gab auch vor, sie ermöglicht zu haben. Das ist allerdings nicht richtig. Der oberste Polizeigewerkschafter Rainhard Zimmermann ist über die Eigendarstellung Kickls verärgert. Die schusssicheren Westen seien bereits seit 2016 unter Kickls Vorgänger Wolfgang Sobotka beschlossene Sache gewesen.

Irritiert zeigte man sich unter Beamten auch über die Rekrutierungsmaßnahmen des Ministers, die mehr teure Shows als Nutzen waren. In den vergangenen beiden Jahren zahlte das Innenministerium 45.000 Euro an den Maturareise-Veranstalter DocLX,  um auf der Partyreise X-Jam in Kroatien mit dem Kommunikationschef vor Ort für Polizisten-Jobs zu werben. Laut einer parlamentarischen Anfrage der Neos gab es dort im Vorjahr nur 86  "Interessenten" für die Polizei.

Geld floss zur Rekrutierung aber nicht nur in teure Veranstaltungen, sondern auch in Inserate. Kickls Ministerium steckte mehr als eine Million Euro vorrangig in Boulevardblätter. Aber auch in das am rechten Rand befindliche Medium "Wochenblick" wurden einige tausend Euro investiert.

Jedoch verliefen all diese Rekrutierungsmaßnahmen ohne wirklichen Erfolg. 2018 gab es nur etwa 80 zusätzliche Aufnahmen gegenüber dem Jahr davor. "Das ist gar nichts", sagt ein Beamter aus dem Innenministerium.

Sonst blieb von Kickls Amtszeit das, was er seit seiner Haider-Zeit und als Oppositionspolitiker perfektioniert hatte: Provokation.

Kickl verhöhnte Abgeordnete, indem er sie nachäffte, demonstrativ gähnte, sie "Drama-Queen" oder "Verschwörungstheoretiker" nannte. Im Parlament musste er sich sechs Misstrauensanträgen stellen, die er mithilfe des Koalitionspartners allesamt überstand. Doch es regte sich auch Widerstand in der ÖVP. Der Abgeordnete Werner Amon sah sich veranlasst, Bertolt Brecht zu zitieren: "Vertrauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch genommen wird."

Ende Juni 2018 inszenierte Kickl gemeinsam mit Verteidigungsminister Mario Kunasek im steirischen Grenzort Spielfeld Abwehrmaßnahmen gegen illegale Flüchtlinge. Tatsächlich gab es im Jahr 2018 nur noch 13.700 Asylanträge, rund um die Hälfte weniger als im Jahr davor. Dieser Rückgang entsprach jedoch dem allgemeinen EU-Trend, was sich daher kaum auf Kickls installierte Sondereinsatztruppe zurückführen lässt. Die Grenzschutzübung "Puma" mit 250 Polizeischülern kostete die beiden Ministerien mehr als eine halbe Million Euro.

Kickl rüttelte an demokratischen Grundfesten. Er forderte nach dem kaltblütigen Mord von Soner Ö. an einem Beamten aus Dornbirn demonstrativ eine "Sicherungshaft" für Flüchtlinge, ohne den Fall vorher aufklären zu wollen. Kickl wollte auch die Menschenrechtskonvention "auf Sinnhaftigkeit" überprüfen lassen, weil er sich ärgerte, straffällige Flüchtlinge erst dann abschieben zu können, wenn sie rechtskräftig verurteilt wurden.

Kommt nach Kickl eineneutralere Kommunikation?

Auch mit unabhängigen Medien hatte Kickl ein Problem. Seine Kommunikationsabteilung ließ den SMS-Verlauf des Journalisten Florian Klenk auf der Ministeriumswebseite veröffentlichen und eigene "Journalisten" von einer Abschiebung ("Was wirklich passiert") berichten. In einem öffentlich gewordenen E-Mail der Abteilung wurde strikt darauf verwiesen, unliebsamen Medien nur die nötigsten Informationen zu geben und Staatsbürgerschaft und Aufenthaltstitel von Verdächtigen explizit zu nennen. Für die operative Kommunikation war Alexander Höferl zuständig. Höferl war davor Chefredakteur der FPÖ-Plattform "unzensuriert.at", die vom Verfassungsschutz als "zum Teil äußert fremdenfeindlich" mit "antisemitischen Tendenzen" eingestuft wurde.

Kickls Kommunikationsarbeit könnte bleiben, dürften doch einige aus seinem Kabinett über Nacht den Sprung ins Team des neuen Ministers geschafft haben, wie zu hören ist. Eine neutralere Kommunikation könnte eine der Aufgaben von Interims-Innenminister Eckart Ratz sein. Das Abschiedsgeschenk Kickls, die 1,50-Stundenlohn-Verordnung für Asylwerber, hat Ratz aber gleich einmal zurückgenommen.