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Eine diplomatische Rüge

Von Jan Michael Marchart

Politik

Bundespräsident Van der Bellen übte in seiner Rede Kritik an Ex-Bundeskanzler Kurz, ohne ihn direkt zu nennen.


Wien. In den vergangenen Wochen wurden die Fernsehbilder von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, durch die berühmte rote Tapetentür kommend, fast schon zur Gewohnheit. In der Präsidentschaftskanzlei vermittelte das Staatsoberhaupt nach der "Ibiza-Affäre" den Rücktritt des ehemaligen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache. Dort entließ er auch Herbert Kickl als Innenminister und gelobte - nach dem Rückzug aller freiheitlichen Minister - in der Wiener Hofburg in Abstimmung mit Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz Experten für die freien Plätze in der Regierung an. Diese blieben aber fürs Erste nur sechs Tage im Amt.

Denn schon am Dienstag musste Van der Bellen wieder außertourlich durch die rote Tapetentüre schreiten. Nach dem Misstrauensvotum von SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt enthob er die komplette Regierung samt der Übergangsminister ihres Amtes. "Irgendwie haben wir schon eine gewisse Übung in diesen Dingen", sagte der 75-Jährige, der sich bei dieser Bemerkung auch ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.

Finanzminister Hartwig Löger wurde interimistisch als Kanzler angelobt. Auch die Minister dürfen für wenige Tage weiterarbeiten. So lange, bis Van der Bellen eine neue Regierung für die Zeit bis zur Wahl im September zusammengestellt hat, von der er annehmen kann, dass ihr nicht erneut von der Mehrheit im Nationalrat ein Misstrauen ausgesprochen wird.

"Das rächt sich dann"

Van der Bellen nutzte die Gelegenheit für eine Ansprache. Indirekt kritisierte er wohl auch den ehemaligen Kanzler Sebastian Kurz, ohne seinen Namen zu nennen. Van der Bellen wies darauf hin, "wie wichtig Gespräche" seien. Es reiche in einer Demokratie nicht, "wenn man mit anderen nur redet, wenn man sie braucht". Nachsatz: "Das rächt sich dann."

Vor allem die erste Kurz-Rede nach der "Ibiza-Affäre" hatte auch so manchen ÖVP-Parteifreund irritiert. Mit einer leicht überheblichen Note nutzte Kurz aber vor allem zum Ärger der Opposition diesen Auftritt nach dem Koalitionsbruch als Wahlkampfauftakt. Die FPÖ sei nicht regierungsfähig, die SPÖ trage seinen Kurs nicht mit und die restlichen Parteien seien schlicht zu klein für eine Koalition, sagte er. Kurz rief seine Wähler dazu auf, ihm die Absolute zu geben, als er verbal nach einer "Mehrheit" trachtete.

Kurz erwähnte später wohl nicht unbewusst in seinen Reden immer wieder Van der Bellen, mit dem er jede seiner Entscheidungen akkordiere. Vielleicht auch, um wie ÖVP-Klubobmann August Wöginger am Montag im Parlament die Dramaturgie zu erhöhen, der meinte, dass die SPÖ mit ihrem Misstrauensantrag "gegen den Willen des Bundespräsidenten" handle. Van der Bellen hatte SPÖ und FPÖ indirekt vor den Folgen eines solchen Misstrauensantrags gewarnt.

Die Opposition ärgerte sich aber nicht nur über die Kommunikation des Ex-Kanzlers in den vergangenen Wochen. Seit Beginn der türkis-blauen Regierung beklagen sie eine Missachtung des Parlaments. Gesetze seien über Initiativanträge ohne Begutachtung eingebracht worden, Verhandlungen auf Augenhöhe seien nicht vorhanden gewesen. Das hätte sich auch in der Zeit von der Veröffentlichung des Ibiza-Videos bis zur Amtsenthebung nicht geändert, ist zu hören. Die von Kurz gewünschten Experten als Ersatz für die abgewanderten FPÖ-Minister bis zur Wahl im September seien mit der Opposition nicht abgestimmt worden.

Kurz war am Dienstag bei der Enthebung der Regierung nicht in der Präsidentschaftskanzlei. Aber die Verabschiedung des Kanzlers bei einer Amtsenthebung ist keine Usance. Bemerkenswert ist allerdings der Umgang des Ex-Kanzlers mit der politischen Gesamtsituation. Vor kurzem postete Kurz noch auf Facebook, dass er "egal in welcher Position", sein Bestes geben und Österreich dienen werde. Nun bleibt Kurz aber vorerst einmal nur Obmann der Volkspartei. Denn er hat bereits erklärt, dass er sein Nationalratsmandat nicht annehmen werde. ÖVP-Klubobmann bleibt weiterhin der Oberösterreicher August Wöginger. Nach der Übergabe des Kanzleramts an Löger ist Kurz laut seinem Sprecher schon im Wahlkampfmodus.

Der kürzeste Kanzler Breisky

Kurz reiste daher auch nicht wie geplant zum EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs nach Brüssel, der sich um die Wahl des nächsten EU-Kommissionschefs drehte. Darüber, dass Kurz nach dem Misstrauensvotum nicht als Übergangskanzler bleiben konnte, habe es "Einvernehmen" mit dem Bundespräsidenten gegeben, heißt es aus der ÖVP.

Für Kurz übernahm Interimskanzler Hartwig Löger, der zuversichtlich nach Brüssel flog. Er habe schon Kontakte zu seinen europäischen Kollegen aufgenommen und freue sich, Verantwortung zu übernehmen, sagte er.

Lögers Freude währt allerdings nur kurz. Dem Vernehmen nach könnte bereits am Freitag eine Übergangsregierung samt neuem Kanzler feststehen. Löger wird Kurz als kürzesten Kanzler der Zweiten Republik ablösen. Dazwischen dürfte sich dann zeitmäßig der Übergangskanzler einreihen.

Der am kürzesten dienende Bundeskanzler überhaupt war aber Walter Breisky. Er führte einen Tag lang in der Ersten Republik die bis dato einzige Beamtenregierung an. Er wurde am 26. Jänner 1922 angelobt, tags darauf war die Amtszeit wieder zu Ende.

Zeitnah muss Van der Bellen jedenfalls wieder durch die rote Tapetentür schreiten und einen neuen Kanzler sowie Minister angeloben. Dann sollte die Türe zu seinem Büro zumindest in dieser Hinsicht für einige Monate geschlossen bleiben. Bis die vorgezogene Wahl geschlagen ist und der Bundespräsident die neue Regierung ersucht, "das folgende Gelöbnis zu leisten und mit Ihrem Handschlag sowie durch ihre Unterschrift zu bekräftigen."