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Wählerstimmen wurden überhört

Von Petra Tempfer

Politik
© stock.adobe.com/alphaspirit

Dafür, dass die SPÖ der Bundesregierung Kurz ihr Misstrauen aussprach, wird sie laut dem Politologen Fritz Plasser bei der Nationalratswahl büßen müssen - sie hätte vielleicht den EU-Wahlsieg der ÖVP mehr berücksichtigen sollen.


Wien. Die Rahmenbedingungen der EU-Wahl waren beispiellos turbulent. Wer letztendlich davon profitiert hat, wird sich bei der Nationalratswahl im Herbst zeigen. Dass es die SPÖ ist, glauben der Politikwissenschafter Fritz Plasser, der unter anderem das Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für angewandte Politikforschung leitet, und Wahlforscher Franz Sommer jedenfalls nicht. Beide gelten als ÖVP-nah.

Doch alles der Reihe nach: Vor der EU-Wahl wurde das Ibiza-Video mit Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und dem ehemaligen geschäftsführenden FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus bekannt. In diesem schmiedeten sie Pläne über dubiose Geschäfte mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte. Nach Bekanntwerden des Videos trat Strache zurück, der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte Neuwahlen an, und Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) wurde auf Kurz’ Vorschlag entlassen. Die FPÖ-Regierungsmitglieder traten zurück, die türkis-blaue Koalition war Geschichte.

Eine Zeit, die von Bezeichnungen wie "Ex", "ehemalig" und "damalig" dominiert wird. Danach, also nach der EU-Wahl, ging es in ähnlichem Ton weiter. Am Montag sprach der Nationalrat der Regierung Kurz das Misstrauen aus und enthob sie damit des Amtes: Der von der SPÖ eingebrachte Misstrauensantrag wurde von der FPÖ und der Liste Jetzt unterstützt und hatte damit die Mehrheit.

Die SPÖ, die weder auf eine Videovergangenheit noch auf eine Koalition mit der Partei der Protagonisten des Ibiza-Videos zurückblicken kann, werde aus all dem dennoch nicht als große Siegerin hervorgehen, meinte Plasser. Ganz im Gegenteil. "Die SPÖ kann seufzend aufatmen, wenn sie bei der Nationalratswahl im Herbst kein großes Minus bekommt", sagte er am Dienstag am Rande der Präsentation einer Wahlanalyse rund um die EU-Wahl, die er mit Sommer erstellt hat. Denn Kurz habe nun zwar freilich keinen Kanzlerbonus mehr - aber den Bonus des politischen Kapitals.

43 Prozent der SPÖ-Wähler waren gegen Abwahl von Kurz

Deutlich wurde der Kanzlerbonus am Ausgang der EU-Wahl vergangenen Sonntag. 34,6 Prozent der Wähler gaben der ÖVP ihre Stimme, die damit den ersten Platz belegte. Diese hat den Wählerstromanalysen zufolge freilich auch vom Ibiza-Video und somit ehemaligen FPÖ-Wählern profitiert. Die SPÖ hätte aber hinsichtlich ihres Misstrauensantrags vielleicht grundsätzlich besser auf diese Stimmen hören und vorsichtiger agieren sollen. Weniger das Ibiza-Video, sondern der angekündigte Misstrauensantrag habe zu einem enormen Mobilisierungsschub für die ÖVP geführt, so Sommer.

Plasser und Sommer stützten ihre Aussagen auf die Wahlanalyse. In den letzten Tagen vor der EU-Wahl sprachen sich demnach nur 28 Prozent für eine Abwahl von Kanzler Kurz aus, eine klare Mehrheit von 66 Prozent war dagegen. Interessant dabei sind die Präferenzen der SPÖ--Wähler. Selbst diese waren laut Analyse gespalten: 49 Prozent waren für die Abwahl, 43 Prozent allerdings dagegen.

Kurz’ Neuwahl-Entscheidung bewerteten 70 Prozent der Wähler als richtig. Dass er Innenminister Kickl entlassen hat, hielten 66 Prozent für gerechtfertigt.

Vor allem die 160.000 bis 190.000 Wähler, die laut Sommer bei der vergangenen Nationalratswahl 2017 nicht grün, sondern aus koalitionstaktischen Gründen die SPÖ gewählt haben, "sind wieder bei den Grünen angelangt". Die Grünen, die seit 2017 nicht mehr im Nationalrat vertreten sind, haben sich bei der EU-Wahl mit 14,1 Prozent zurückgemeldet und gelten als die "großen Gewinner". Sie werden im Herbst wieder in den Nationalrat einziehen, vermutet Sommer.

"Auswechseln von Rendi-Wagner würde wenig bringen"

Seine Prognose: "Ich würde erwarten, dass sich durch den Misstrauensantrag die wahlpolitische Position der ÖVP in Hinblick auf die Nationalratswahl verbessert hat (die ÖVP erreichte 2017 31,5 Prozent, die SPÖ 26,9 Prozent, Anm.)." Dass die FPÖ ihre 26 Prozent halten wird können, sei unwahrscheinlich, es werde vielmehr in Richtung 20 Prozent gehen. Die Grünen, die 2017 mit nur 3,8 Prozent dramatisch abstürzten, könnten laut Sommer 8 bis 10 Prozent erreichen. Auch die Neos würden vermutlich ein besseres Ergebnis als 5,3 Prozent erzielen. Und die Liste Jetzt (ehemals Liste Pilz)? "Die gibt es dann nicht mehr."

Selbst ein Auswechseln der SPÖ-Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner würde wenig bringen, glauben zumindest Plasser und Sommer. Plasser hält einen Kandidatenwechsel - etwa zwischen Rendi-Wagner und Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil - für ausgeschlossen. Zudem wäre die Zeit von vier Monaten bis zur Wahl relativ kurz für einen neuen Spitzenkandidaten, um sich zu profilieren. Welche Alternativmöglichkeit zum Misstrauensantrag die SPÖ gehabt hätte, diese Frage blieb allerdings unbeantwortet.

Eine Mehrheit gegen die ÖVP wäre somit nur durch eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ möglich, meinte Sommer. "Ich halte das aber nicht für wahrscheinlich." Eine nochmalige Koalition zwischen ÖVP und FPÖ würden die ÖVP-Wähler nicht goutieren. Eine Dreierkoalition zwischen ÖVP, Neos und den Grünen "müsste sich ausgehen" - vorausgesetzt, der politische Wille ist gegeben.

Die Einstellung der Österreicher zur EU hat sich jedenfalls verbessert. Bei keiner EU-Wahl war das Stimmungsbild so positiv wie 2019, so die Analyse. Im Rückblick war der Beitritt für 80 Prozent die richtige Entscheidung. 1996, waren nur 55 Prozent dieser Meinung.

Die Wahlanalyse von Fritz Plasser und Franz Sommer stützt sich auf eine bundesweite CAWI-Onlinebefragung unter rund 2760 deklarierten Wählern, die von Demox Research bis 25. Mai durchgeführt wurde. Zudem wurde ein kumulierter Datensatz von fünf bundesweiten, repräsentativen Telefonumfragen von der GfK Austria miteinbezogen (2750 Interviews).