Wien. Sebastian Kurz nimmt sich Zeit. Die hat er auch, weil er gänzlich auf eine Rückkehr ins Parlament verzichtete. Sein Fokus ist voll auf den Wahlkampf gerichtet. Nur einen Tag nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen ihn, gab der Ex-Kanzler so gut wie allen Gazetten Interviews. Mit einer klaren Botschaft: Er, Kurz, sei von Anfang an das Feindbild der SPÖ gewesen. Nun hätten ihn seine roten Erzfeinde gemeinsam mit den Freiheitlichen abgewählt.
Die rot-blaue Konstellation betont Kurz bewusst. Einerseits, um vor einer neuerlichen Koalition gegen ihn zu warnen. Andererseits, und das ist viel wichtiger, um die Ibiza-Affäre seines ehemaligen Koalitionspartners von sich abtropfen zu lassen. Seiner Erzählung nach sprach ihm die SPÖ gemeinsam mit jener Partei das Misstrauen aus, die im Sommer 2017 in Ibiza über eine Orbanisierung Österreich fantasierte. Warum sollte diese Zusammenarbeit nach der Nationalratswahl im September nicht weitergehen? Schließlich hätten die Sozialdemokraten bereits nach der Wahl 2017 auf eine Koalition mit der FPÖ gespitzt. Kurz spekuliert damit, und von der SPÖ gibt es hierzu keine wahrnehmbare Gegenwehr.
Maximale Mobilisierung im freiheitlichen Lager
Laut dem Politikexperten Thomas Hofer geht es für Kurz um "maximale Mobilisierung" im freiheitlichen Lager. "Das mag absurd erscheinen, aber es gibt eine gar nicht kleine Schnittmenge an Menschen, die in wechselnder Konstellation eine ÖVP-FPÖ Erst- und Zweitpräferenz haben und die SPÖ ablehnen", sagt Hofer. Diese Wackelkandidaten möchte Kurz ansprechen, indem er den rot-blauen Teufel an die Wand malt. "In dem Sinne, dass das eine Koalition werden könne, die wieder Geld ausgibt Ende nie."
Weiters nehme Kurz der SPÖ mit dem Rot-Blau-Gerücht und mit der Betonung der SPÖ-Koalitionen im Burgenland und Linz das Argument, dass Türkis-Blau in irgendeiner Weise amoralisch wäre – und entzieht dem Vorwurf jegliche Grundlage. Die Ibiza-Affäre brachte jedenfalls Bewegung in die SPÖ, wenn auch mit Schönheitsfehler. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil kündigte die Koalition mit der FPÖ nicht auf, er zog lediglich den Wahltermin auf den 26. Jänner vor. In Linz beendete der rote Bürgermeister Klaus Lugar das Arbeitsübereinkommen mit den Blauen.
Kickl als Belastung für die SPÖ?
Dass Kurz in seiner rot-blauen Warnung die Namen von SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und vom ehemaligen Innenminister Herbert Kickl kombiniert ins Spiel bringt, ist auch kein Ausrutscher. Immerhin war Kickl vor der Ibiza-Affäre nicht nur die größte Belastung der Regierung, weshalb Kurz seinen Abgang als Tribut für ein Weitermachen von Türkis-Blau forderte. Kickl war auch in den Umfragen bei der Bevölkerung äußert unbeliebt. Laut dem OGM-Vertrauensindex für April 2019 erzielte nur der Jetzt-Abgeordnete Peter Pilz geringere Vertrauenswerte als Kickl.
Der Ex-Kanzler lässt sich die Zusammenarbeit mit der FPÖ nach der Wahl im September allerdings selbst offen. Zumindest lenkt er bei Nachfragen dahingehend ab. Koalitionen seien für ihn momentan kein Thema, sagt er der deutschen "Bild". Nur eine, das sei Rot-Blau, "die zum Ziel hatte, die Regierung niederzustimmen".
Sein Verhältnis zu den Freiheitlichen ist aber selbst nach dem Koalitionsbruch alles andere als klar. Bei Kurz öffentlichkeitswirksamer Ausrufung von Neuwahlen am 18. Mai sprach der Ex-Kanzler der FPÖ die Regierungsfähigkeit ab. Sechs Tage später gab es für ihn kein "Misstrauen gegenüber der freiheitlichen Partei", sondern nur gegen Kickl.
Kurz hat aber nicht viele realistische Möglichkeiten. Eine Zusammenarbeit mit der SPÖ schloss er aus, weil die Sozialdemokraten sein Programm nicht unterstützen würden. Die anderen Parteien hielt er für zu klein. Für eine Koalition mit den Neos müssten die Pinken ordentlich wachsen. Eine Dreierkoalition würde Kurz' Vorstellung einer Regierung unter dem Label "Veränderung" wohl spürbar träger machen.