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Zu wenig Zeit für Freiwilligkeit

Von Petra Tempfer

Politik

Die Zahl der jungen Freiwilligen und der Zivildiener sinkt. Geplanter Tauglichkeitsgipfel liegt auf Eis.


Wien. 222 Stunden pro Jahr: So viel Zeit investierte ein Freiwilliger 2008 durchschnittlich in seine Arbeit beim Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK). Zehn Jahre später, 2018, waren es nur noch 165 Stunden. "Der Beruf ist für viele anstrengender geworden", sagte dazu ÖRK-Präsident Gerald Schöpfer am Mittwoch. Und: Freiwillige engagierten sich zunehmend projektbezogen, zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe. Dass jemand als Jugendlicher zu einer Freiwilligenorganisation geht, um dann 50, 60 Jahre lang dort zu bleiben, sei immer seltener der Fall.

Das verzerre das Bild der Freiwilligenarbeit, so Schöpfer. Denn die Gesamtzahl der freiwilligen Mitarbeiter des Roten Kreuzes ist zwar von 48.700 im Jahr 2008 auf 72.000 im Vorjahr gestiegen - diese haben aber weniger Zeit für ihr Engagement, und der Anteil der Jungen sinkt. Insgesamt sind laut Schöpfer 46 Prozent der österreichischen Bevölkerung ehrenamtlich tätig, was im EU-Vergleich ein überdurchschnittlich hoher Anteil ist, unter den 15- bis 29-Jährigen sind es aber nur 43 Prozent. Im Moment sei die Situation also noch positiv, blickt man aber in die Zukunft, fehle der Nachwuchs.

Geburtenschwache Jahrgänge

Denn auch die geburtenschwachen Jahrgänge wirken sich jetzt aus. Gab es 1969 laut Statistik Austria noch 121.377 Geburten, waren es 1999 nur noch 78.138. Diese Zahl ist mittlerweile auf 85.535 im Vorjahr leicht gestiegen, die geburtenschwachen Jahrgänge haben aber zudem zu einem Zivildienermangel in Österreich geführt - der durch die sinkende Tauglichkeit noch einmal verstärkt wurde. Fast ein Drittel der Wehrpflichtigen ist untauglich. Auch diesen Mangel spürt das ÖRK, bei dem im Vorjahr rund 4300 der insgesamt 14.591 Zivildiener beschäftigt waren. Vor allem in ländlichen Regionen seien bereits manche Stellen unbesetzt, sagte Michael Opriesnig, stellvertretender Generalsekretär beim ÖRK. "Im Februar 2019 waren 25 Prozent der Stellen für Zivildiener offen", sagte er.

Die sinkende Tauglichkeit - etwa durch Übergewicht oder psychische Labilität - war noch Anfang Mai auch auf politischer Ebene Thema: Der damalige Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) und Ex-Innenstaatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) wollten eine Reform der Tauglichkeitskriterien vorantreiben und planten einen Tauglichkeitsgipfel mit dem Sport- und Gesundheitsministerium. Die Regierung wurde am 28. Mai des Amtes enthoben, der Gipfel liegt seitdem auf Eis. Und mit diesem der Begriff "eingeschränkt tauglich", den Edtstadler als Zusatzkategorie vorgeschlagen hatte. Die Betroffenen, die dann weder "tauglich" noch "untauglich" wären, könnten als Zivildiener oder für bestimmte Aufgaben im Bundesheer eingesetzt werden, so die Idee. Generalstabschef Robert Brieger hatte sich dafür ausgesprochen, den Leistungsanspruch an die Rekruten zu evaluieren. Eine entsprechende Arbeitsgruppe für diese Evaluierung soll es bereits geben, hieß es damals. Die Neos reagierten auf diese Debatte skeptisch, sie plädierten für eine EU-Armee.

"Eingeschränkt Taugliche" wären allerdings auch nicht für das ÖRK die perfekte Lösung, sagte Opriesnig, weil eben nur eingeschränkt einsetzbar. "Im Rettungsdienst könnten sie vermutlich nicht im Einsatz sein, weil das psychisch und physisch anstrengend ist", so Opriesnig.

Schon im Herbst des Vorjahres hatte sich Edtstadler für eine Reduktion der aktuell rund 1700 Trägerorganisationen ausgesprochen, bei denen Zivildiener arbeiten. Im November wurde eine Zivildienstgesetzesnovelle beschlossen: Die Anerkennung einer Organisation als Träger wird demnach widerrufen, wenn diese drei Jahre keinen Zivildiener angefordert hat. Das hält auch Opriesnig für sinnvoll. "Es wird aber noch Jahre dauern, bis sich das auswirkt."

ÖRK für Haftpflichtversicherung

Den Mangel an Zivildienern werde man nicht einmal mit einer Steigerung der Anzahl an Freiwilligen kompensieren können - nur abfedern, so Opriesnig. Um Freiwillige zu stärken, fordert das ÖRK, dass zum Beispiel freiwillig erworbene Kenntnisse wie die Sanitätsausbildung für das Studium angerechnet werden können. An der Uni Linz ist das bereits der Fall. Außerdem soll es zusätzlich zur existierenden Unfallversicherung eine Haftpflichtversicherung für Menschen im Rettungseinsatz geben.

Die Bundesjugendvertretung (BJV) sieht das Problem in der geringen Wertschätzung der Freiwilligenarbeit begründet. Denn im Unterschied zu Deutschland, wo es in allen Bundesländern bis auf zwei eine gesetzlich verankerte Freistellungsmöglichkeit für freiwillig engagierte Arbeitnehmer gibt, besteht in Österreich dieser Rechtsanspruch nicht. Die BJV fordert daher, dass der Anspruch auf eine Sonderfreistellung von bis zu fünf Arbeitstagen (im Idealfall mit Lohnfortzahlung) für Arbeitnehmer, die sich freiwillig engagieren, im Bundesgesetz zur Förderung von freiwilligem Engagement (FreiwG) gesetzlich verankert wird.