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Wenn Polizisten mauern

Von Werner Reisinger

Politik
© stock.adobe.com/Tyumentseva Anna

Nach den Gewaltvorfällen auf der Klimademonstration am 31. Mai steht die Polizei unter massivem Druck - erneut.


Wien. Ein Demonstrant liegt mit dem Kopf unter einem Polizeiwagen, Beamte haben ihn auf dem Bauch liegend fixiert. Der Wagen fährt los, erst in letzter Sekunde schleifen die Polizisten den Mann seitlich weg. Ein anderer Demonstrant liegt ebenfalls fixiert auf dem Boden, ein Polizist drischt mit seinen Fäusten auf ihn ein.

Geschehen sind diese Szenen am 31. Mai bei einer Anti-Klimawandeldemonstration in Wien. Aktivisten hatten als zivilen Ungehorsam eine Straßenblockade organisiert. Zuerst tauchte ein Video der Polizeiaktion in sozialen Medien auf, dann ein weiteres. In den sozialen Medien kocht die Stimmung hoch, die Polizei reagiert zögerlich und vor allem widersprüchlich. Am Donnerstagabend gabe es in Wien eine Demonstration gegen Polizeigewalt.

Vorfälle wie diese sind keineswegs eine Seltenheit: Immer wieder ist vor allem die Wiener Polizei mit Vorwürfen zu Polizeigewalt konfrontiert, mit Rassismusvorwürfen oder mit jenen zu mutmaßlichem Missbrauch der Amtsgewalt. Nach außen hin macht die Polizei, allen voran ihre Obersten, dem Eindruck nach vor allem eines: mauern. Dabei hat sich bei dieser im Umgang mit Polizeigewalt in den vergangenen Jahren viel getan. Wieso fällt es ihr nach wie vor so schwer, eine Fehlerkultur zu entwickeln?

Hans Dieter Schindlauer hat viel Erfahrung mit der Kultur innerhalb der Polizei. Der Geschäftsführer des Antirassismus-Vereins Zara hält regelmäßigen Kontakt zur Polizeispitze, er sitzt mit hohen Beamten im 2008 eingerichteten Forum "Polizei macht Menschenrechte". "Man muss auch versuchen, alles aus der Sicht der Polizei zu sehen", sagt er. "Wenn sofort nach so einem Vorfall kommuniziert wird: ‚Es tut uns leid, hier ist ein Fehler passiert‘, was ja auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit ist, vor allem in den sozialen Medien, könnte dies als Vorverurteilung der betreffenden Polizisten dargestellt werden."

Im Hintergrund die Angst

Tatsächlich ermittelt die Staatsanwaltschaft seit Mittwoch in den beiden vorliegenden Fällen gegen vier involvierte Beamte - unter anderem wegen des Verdachts auf schwere Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung.

Schindlauer teilt die Einschätzung, dass sich zumindest auf den Ebenen der einfachen Beamten in den vergangenen Jahren vieles zum Positiven verändert hat. Vor allem seit dem Folter-Skandal um den afrikanischstämmigen Asylwerber Bakary J., der 2006 von Wega-Polizisten in einer Lagerhalle aufs Schwerste gefoltert und misshandelt worden war, hat zu einem Umdenken vor allem in der Polizeiausbildung geführt. Der Kurzfilm "VOID" des Regisseurs Stefan Lukacs behandelt den Folter-Skandal und die inneren Dynamiken zwischen den involvierten Beamten, seit dem Vorfall wird er in der Polizeiausbildung herangezogen - unter Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl wurde dies übrigens eingestellt. Lukacs hat inzwischen mit "Cops" einen Nachfolge-Film vorgelegt, auch er widmet sich der Kultur innerhalb der Polizei. "Im Hintergrund steht die Angst, dass ein einmaliges, öffentliches Schuldeingeständnis eine Flanke aufmachen werde und die Polizei als Institution dadurch unter die Räder kommen könnte", sagt der Regisseur zum Problem der Fehlerkultur. Auch denke man an der Polizeispitze wohl, dass ein Eingeständnis eines Fehlers sich fatal auf die Stimmung unter den einfachen Beamten auswirken könnte. "Wirklich bemerkenswert ist aber die Kommunikationsstrategie der Polizei", sagt Lukacs. Diese sei nämlich schlicht so gut wie nicht vorhanden.

In der Tat mutete für Beobachter die Kommunikation der Polizei auf den verschiedenen Kanälen eher chaotisch an. Man werde prüfen, alles wurde von den Beamten dokumentiert, hieß es zuerst auf dem offiziellen Twitter-Account der Landespolizeidirektion Wien. "Die medialen Darstellungen der Ereignisse entbehren teilweise dem Grundsatz einer objektiven und faktenbasierten Berichterstattung", war schließlich einen Tag später in einer Aussendung zu lesen. "Die teils absurden Anschuldigungen gegen die Wiener Polizei" in den sozialen Medien würden "auf das Schärfste" zurückgewiesen.

Chance auf Lernprozess

Erst als das zweite Video des Vorfalls öffentlich wurde, sprach man offiziell von einer "gefährlichen Situation". Zuvor hatte Polizei-General Michael Lepuschitz noch medial behauptet, der Kopf des Demonstranten sei gar nicht unter dem Auto gelegen. Der Wiener Polizeipräsident Pürstl gab schließlich implizit den sozialen Medien an sich die Schuld: Diese hätten diese Sache schließlich "aufgebracht".

Man sei sehr wohl "auf einem guten Weg, Probleme zu lösen", sagt dazu der ÖVP-Polizeigewerkschafter Reinhard Zimmermann. Auch er spricht von Videos in den sozialen Netzwerken, die "aus dem Zusammenhang gerissen" sein könnten. Deshalb sei auch Aufklärung so nötig. "Die Polizeiarbeit wie die Gesellschaft hat sich sehr verändert, es ist nichts mehr so wie in den 80er Jahren." Zumindest in diesem Punkt stimmt auch Zara-Geschäftsführer Schindlauer zu. "Für uns ist es im Gegenteil hochinteressant, dass es im Gegensatz zu früher nun Videos gibt, die dokumentieren können", sagt er. Die Polizei müsse lernen, dass in solchen Fällen auch eine große Chance auf einen Lernprozess liege. Vor allem aber müsse sie sich damit abfinden, dass eine "Mauer-Taktik" aufgrund von Smartphones und Twitter heute nicht mehr möglich ist.

Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl sieht die Polizeispitze gefordert. Schulungen der Einsatzkräfte seien zu wenig. "Solange ich im Apparat keine Resonanz dafür habe, in der Kultur der Polizei, bringt das nicht viel."