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Auch Interimsregierung muss politische Entscheidungen treffen

Von Simon Rosner und Brigitte Pechar

Politik

Bundeskanzlerin Bierlein präsentiert dem Nationalrat heute ihren Regierungsplan. Politikexperte Filzmaier glaubt nicht daran, dass in den nächsten Monaten gar keine Entscheidungen fallen.


Wien. Wenn sich ein frisch angelobter Regierungschef erstmals dem Parlament präsentiert, dann hat das etwas Feierliches, jedenfalls für jene Fraktionen, die diesem Regierungschef und seinen Ministerinnen und Ministern eine Mehrheit verschaffen, um zu regieren. Zu hören und zu diskutieren gibt es die Regierungserklärung, der Ton im Plenum des Parlaments ist bei diesen Sitzungen, dem Anlass entsprechend, meist noch sehr gemäßigt. So war es auch, als Ex-Kanzler Sebastian Kurz am 20. Dezember 2017 den Abgeordneten das Programm seiner Regierung präsentierte.

Diesmal ist alles anders

Am Mittwoch wird es wieder so weit sein, dass sich eine neue Regierung dem Parlament vorstellt. Und doch ist diesmal alles anders. Erstmals ist der Regierungschef, eine Chefin, Österreich hat in Brigitte Bierlein die erste Kanzlerin bekommen. Zweitens hat weder sie noch ein anderes Regierungsmitglied Erfahrungen im oder mit dem Parlament, während sämtliche Kanzler der Zweiten Republik vor ihrer Amtszeit entweder Minister waren oder, wie Alfred Gusenbauer, als Abgeordnete ins Hohen Haus gewählt wurden.

Drittens, und das ist wohl die größte Besonderheit, wird es in Bierleins Regierungserklärung nicht um ihre politischen Ziele für die kommenden Jahre gehen. In gewisser Weise ist es eine Regierung ohne Programm, dafür mit einem klaren Auftrag: das Land zu verwalten, bis die Republik eine neue Regierung erhält. Bis es so weit ist, wird es das Parlament sein, das die politische Richtung vorgeben wird.

Es lässt sich hier einwerfen, dass dies immer so ist, schließlich ist das Parlament gemäß Verfassung das gesetzgebende Organ des Bundes. Realverfassungsrechtlich sieht die Sache freilich etwas anders aus: Eine Regierung gibt die politische Richtung vor, arbeitet Gesetzesentwürfe aus, das Parlament legitimiert dies.

Auch das ist nun anders: Es gibt keine Fraktionen, von deren Parteien die Regierungsmitglieder entsandt wurden. Und das ist für die neue Kanzlerin eine Erschwernis, auch wenn Bierlein eben nur eine Übergangsregierung bestehend aus Verwaltungsexperten anführt. Sie kann sich jedoch nicht wie die meisten Kanzler vor ihr auf eine Mehrheit im Nationalrat stützen.

Für die Plenartage am Mittwoch und Donnerstag haben die Parteien bereits eine Reihe von Anträgen angekündigt, beschlossen wird am Mittwoch jedenfalls jener über die vorzeitige Beendigung der Legislaturperiode, sprich: die Neuwahl.

Formal ist es die Regierung, die den Termin für die Wahl festzusetzen hat. Der Verfassungsausschuss hat am Dienstag aber mit SPÖ-FPÖ-Mehrheit beschlossen, den Neuwahlbeschluss erst am 3. Juli in Kraft treten zu lassen, womit aus Gründen der verfassungsrechtlich einzuhaltenden Fristen, der 29. September der frühestmögliche Termin ist. Die ÖVP wollte früher wählen, die Liste Jetzt vorerst gar nicht.

Freies Spiel der Kräfte

Doch auch abgesehen von diesem Beschluss, wird in den kommenden Tagen im Parlament einiges los sein, das "freie Spiel der Kräfte" nimmt Fahrt auf. Die SPÖ lanciert gleich etliche Initiativen, etwa zum Rauchverbot in der Gastronomie, der Entgeltfortzahlung für Freiwillige oder zum "Papa-Monat". Man wolle "mit Verantwortungsgefühl und Mut" dafür sorgen, dass die Periode bis zur Wahl keine Zeit des Stillstands werde, sagte SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried.

Das komplette Rauchverbot scheint fix zu sein, auch wenn Details noch auszuhandeln sind. Die ÖVP hat nach längerem Zögern ebenfalls Zustimmung signalisiert, nur die FPÖ ist als einzige Fraktion für die Beibehaltung der jetzigen Lösung mit getrennten Bereichen in den Lokalen. Der Verfassungsgerichtshof berät derzeit allerdings darüber, ob das Gesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen bestehen bleiben kann. Diese nahende Entscheidung will die ÖVP noch abwarten.

Die SPÖ will auch ein Verfassungsgesetz beantragen, das das österreichische Trinkwasser vor Privatisierung schützen soll. Laut Leichtfried könnte der Klimawandel dazu führen, dass die Lust gewinnorientierter Konzerne auf österreichisches Wasser immer größer werde. Auch beim Thema Plastiksackerl-Verbot, das Ex-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger von der ÖVP noch vor der Wahl umsetzen will, planen die Sozialdemokraten einen eigenen Antrag.

Die Neos wollen wiederum aufgrund der Konflikte zwischen Justizministerium und Staatsanwaltschaft einen weisungsgebundenen Bundesstaatsanwalt, und die Liste Jetzt will im freien Spiel der Kräfte die Möglichkeit einer Ministeranklage zum Minderheitsrecht machen. Eine Reform der Parteienfinanzierung soll auch noch vor dem Sommer verhandelt werden. Konkret wurde im Verfassungsausschuss ein Unterausschuss eingerichtet, der sich in den kommenden Wochen intensiv mit dem Thema befassen wird.

Parteinfinanzierung

Genau dieses Parteiengesetz, in dem die Parteienfinanzierung geregelt ist, erachtet Politikwissenschafter Peter Filzmaier als die Gelegenheit für eine Expertenregierung, mit einer Regierungsvorlage zu punkten. Denn die Parteien haben hier völlig unterschiedliche Vorstellungen: Die ÖVP will die Förderungen senken, die SPÖ wiederum Großspenden verbieten - jede Partei plant hier Regelungen, die für sie genehm wären. Die Regierung könnte hier eine Vorlage einbringen, die klaren Tisch macht und dem Rechnungshof tatsächlich Einschau in die Parteifinanzen gewährt und durch die er jederzeit eine Prüfung vornehmen kann. "Die Parteien können dem zustimmen oder das ablehnen - dann sieht man, wofür sie stehen", sagt Filzmaier.

Auch Experten machen Politik

Es war aus der Sicht des Politikwissenschafters wichtig, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine schnelle Lösung gefunden hat. Kurzfristig seien Expertenregierungen populär, weil es sich eben nicht um Politiker handle, sagte Filzmaier. Langfristig laufe eine Expertenregierung aber Gefahr, auch unpopulär zu werden, vor allem, wenn klare politische Entscheidungen verlangt werden. Genau das will die österreichische Regierung vermeiden. Allerdings müsse man berücksichtigen, dass diese Expertenregierung möglicherweise für neun Monate im Amt ist - dreieinhalb Monate bis zur Wahl und sechs Monate bis zur Bildung einer neuen Regierung.

"Es ist die Frage, ob eine Regierung so lange ohne politische Entscheidung auskommt", sagt der Politikexperte. Österreich sei in diese Lösung hineingestolpert. Man könne das aber zum Anlass nehmen, um das Parlament zu stärken. Denn derzeit sei es so, dass sogar in einzelnen Ministerien Legislativabteilungen installiert seien, während der Legislativdienst im Parlament ein Schattendasein friste.

Um Entscheidungen werde die Interimsregierung nicht herumkommen - und diese sind häufig politisch. Ob die Regierung das wolle oder nicht.

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