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Bischof Bünker: "Eigene Feiertage für alle Religionen"

Von Mathias Ziegler

Politik

Flüchtlingskrise, Reformationsjubiläum, Karfreitag: Der scheidende evangelische Bischof von Österreich blickt zum Abschied auf Höhepunkte und Fehler zurück.


Wien. Mit 1. September bekommt die evangelische Kirche in Österreich einen neuen Bischof: Michael Chalupka übernimmt das Amt von Michael Bünker, der diesen Samstag ab 15 Uhr ein Abschiedsfest feiert, mit einem Gottesdienst in der Wiener Lutherische Stadtkirche (Dorotheergasse 18), "der dann nahtlos in Grammelpogatscherl übergehen wird", ehe der Abend im Schutzhaus Zukunft ausklingt. Erwartet wird dazu auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Offiziell ins Amt eingeführt wird Bünkers Nachfolger Chalupka aber erst am 13. Oktober in einem Festgottesdienst um 14.15 Uhr in der Wiener Gustav-Adolf-Kirche (Lutherplatz 1).

Im Rahmen eines Medienempfangs hat Bünker eine Bilanz über seine Zeit als Bischof (seit Jänner 2008) gezogen. Der 65-jährige gebürtige Leobener gibt auch zu, in der Diskussion um den Karfreitag Fehler gemacht zu haben, er hofft aber immer noch auf eine zufriedenstellende Lösung.

"Wiener Zeitung": Sie übergeben Michael Chalupka demnächst Ihr Amt - auch Ihr Amtskreuz?

Michael Bünker: Nein, das behalte ich mir und schmelze es ein - ich trage es ja nicht mehr. Der Goldpreis steigt (lacht). Vielleicht hebe ich es mir aber auch als Andenken auf.

Was geben Sie ihm als Tipp mit auf den Weg?

Ich glaube, es ist wichtig, besonders im Auge zu behalten, dass bei der Ausdünnung der sozialen Verbindungen in den Dörfern und Kleinstädten die Pfarrgemeinde oft die letzte ist, die es vor Ort gibt. Es braucht diese Orte der gelebten Nachbarschaft, ich sage es einmal so unreligiös. Die kirchlichen Gemeinden bringen dabei eine gewisse Spannung mit: Sie sind offen für alle, aber nicht offen für alles. Es gibt klare Prinzipien, einen klaren Auftrag aus dem Evangelium. Dinge wie die Seenotrettung sind außer Diskussion, darüber kann man in der Politik diskutieren, aber nicht in der Kirche. Es ist wichtig, sich dafür einzusetzen und das zu stärken. Und es gilt die deutliche überverhältnismäßig positive Wahrnehmung der evangelischen Kirche zu nutzen.

Was waren im Rückblick die Höhepunkte Ihrer Zeit als Bischof?

Da kann ich drei Dinge nennen: Erstens war ich von 2007 bis 2018 auch ehrenamtlicher Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, zu der an die 100 evangelische Kirchen aller Schattierungen gehören. Mir als Bischof einer kleinen Minderheitskirche in einem traditionell provinziellen Land wie Österreich hat das einen europäischen Blick gebracht, für den ich sehr dankbar bin. Ich glaube, auch die Kirchengemeinschaft hat davon profitiert, dass ihr Generalsekretär nicht ein Vertreter einer riesigen Volkskirche wie etwa der schwedischen war. Und unsere Kirche hat von diesem europäischen Netz profitiert. Wir brauchen mehr Europa.

Zweitens ist es mir in den knapp zwölf Jahren gelungen, so gut wie alle rund 200 evangelischen Pfarrgemeinden zu besuchen. Die Unterschiedlichkeit ist hier wirklich sehr groß. Aber überall sind zahlreiche ehrenamtliche, total engagierte Männer und Frauen, Ältere und Jüngere. Das finde ich großartig. Das hat man auch im Jahr 2015 gemerkt.

Die Zahl der Freiwilligen, die sich für Asylwerber einsetzen, ist nie zurückgegangen, da hat es keinen Umschwung gegeben, der war ein rein mediales und politisches Ereignis. Deshalb waren auch viele über die Maßen erschüttert und enttäuscht, als die Abschiebungen plötzlich sehr konsequent durchgeführt wurden, auch bei Familien, die seit Jahren hier waren. Es gab auch einige Fälle von Kirchenasyl. In den meisten Fällen gab es neue Verfahren, die gut ausgegangen sind. Es hat also seinen Zweck erfüllt, sich nicht dem Rechtsstaat zu widersetzen, aber ihn dazu zu bringen, noch einmal genauer hinzuschauen.

Der dritte Höhepunkt war 2017 das Jubiläum 500 Jahre Reformation, das war natürlich sensationell mit dem Papst in Lund, der die schwedische Erzbischöfin geküsst hat.

Was war der größte Fehler, den Sie als Bischof gemacht haben?

Das war sicher ein Kommunikationsfehler in der Diskussion um den Karfreitag. Die Schlagzeile "Positiv mit Wermutstropfen" war sicher falsch. Ich war froh, dass der halbe Feiertag weg war, und habe die Dynamik dahinter wohl nicht ganz richtig eingeschätzt.

Glauben Sie beim Karfreitag an eine alle zufriedenstellende Lösung?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass man mittlerweile eingesehen hat, dass das, was wir jetzt haben, hatschert ist, wie es der Kardinal formuliert hat. Es ist einfach nicht gut umsetzbar, die völlige Privatisierung des Feiertags über das Urlaubsrecht funktioniert nicht. Das Beispiel der Bundesheer-Soldaten, die sich ihren persönlichen Feiertag bei der Airpower nehmen wollen, zeigt ja, wie das pervertiert werden kann. So kann man Feiertage nicht regeln. Was immer gefehlt hat, war eine Runde mit Vertretern der Religionsgemeinschaften und der Sozialpartner. Das würde ich mir von der neuen Regierung erwarten. Es wird nicht die eine Lösung herauskommen, wo alle glücklich sind. Meiner Meinung nach ist es am ehesten verkraftbar, wenn manche Branchen wie der Handel oder der Tourismus nicht ganz zufrieden sind.

Sehen Sie das freie Spiel der Kräfte im Parlament hier als Chance?

Ja, zumindest als Chance, die Diskussion voranzutreiben und einen vernünftigen Beschluss vorzubereiten. Unsere Klage ist so gut wie einreichfertig. Eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ist aber schon massiv. Wir müssen uns noch überlegen, ob wir erst klagen oder erst noch Gespräche führen.

Was wäre für Sie die Ideallösung?

Die Ideallösung wäre der Karfreitag als Feiertag für die Evangelischen, so wie es war. Meiner Meinung nach sollte man in unserer pluralen Gesellschaft eine Lösung für alle staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften finden. Man könnte endlich Yom Kippur aus dem Kollektivvertrag herausholen, die Muslime könnten ihr Opferfest zum Feiertag machen, und für die nicht religiös Gebundenen könnte man etwa den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember nehmen.

Kardinal Christoph Schönborn hat sich jüngst etwas kritisch gegenüber der offiziellen Ökumene geäußert. Wie ist Ihre Sicht?

Die offizielle Ökumene ist in Österreich aus guten Initiativen von starken Persönlichkeiten - Kardinal Franz König, Metropolit Michael Staikos, Oberin Christine Gleixner - entwickelt worden und stark gewachsen. Daneben gibt es immer noch andere Formen auf der regionalen und lokalen Ebene, die ein gutes Stück weiter sind, etwa bei der Eucharistie für Nichtkatholiken. Am weitesten fortgeschritten ist sie im Religionsunterricht. Die Kirchliche Pädagogische Hochschule, die nicht nur christlich-ökumenisch ist, sondern interreligiös, ist ein europäisches Unikat. Und es gibt eine neue Form von evangelikal-charismatisch und pfingstlerisch ausgerichteter Ökumene, die sagt: "Die Kircheninstitutionen halten uns nur auf, wir wollen unser Bekenntnis zu Jesus sichtbar machen." Die einen "Marsch für Jesus" veranstaltet oder eben oder ein "Awakening Europe". Diese Form, die bei uns bisher nicht so sichtbar war, ist weltweit die am rasantesten wachsende Form des Christentums. In Brasilien ist sie sogar Präsident. Ob man das sympathisch findet, ist eine andere Frage. Aber man muss die Realität auch sehen, insofern hat mich das, was in der Stadthalle passiert ist, nicht wirklich überrascht. Dass man einzelne Politiker herausgreift und ins Gebet nimmt, ist im Weißen Haus seit Ronald Reagan üblich. Bei uns fällt es auf, weil wir eher ein distanziertes, wohlwollendes Verhältnis gewohnt sind. Natürlich spielt unsere Geschichte mit hinein, mit katholischem Ständestaat und Nationalsozialismus - die Kirchen sind ja alle irgendwie angepatzt, auch die evangelische. Deswegen muss man da vorsichtig sein.

Sie haben jedenfalls das Gebet für Ex-Kanzler Sebastian Kurz in der Wiener Stadthalle kritisiert.

Meiner Meinung nach war es nicht in Ordnung, ihn ohne sein Wissen - wenn das stimmt - so zu exponieren. Es war aber umgekehrt auch nicht in Ordnung, dass der ÖVP-Vorsitzende auf Wahlkampftour dorthin gegangen ist, obwohl er als Bundeskanzler eingeladen worden war. Da würde ich doch sagen, dass es Unterschiede gibt. Die Veranstalter haben ja gesagt, sie hätten jeden Kanzler eingeladen, egal von welcher Partei. Also ist es ihnen auf die Funktion angekommen - und die hatte er eben nicht mehr inne. Das war zu diesem Zeitpunkt Brigitte Bierlein. Im Wahlkampf geht sowas nicht.

Aber in ein paar Wochen wird auch das wohl wieder vergessen sein.

Ich bin nicht sicher, ob wir da nicht beginnende Entwicklungen vor uns sehen, die uns noch stärker beschäftigen werden. Mich nicht - aber Ihre Leserinnen und Leser.

Sie sind noch zwei Monate Bischof. Wie wird Ihr Sommer aussehen?

Ich muss Urlaub abbauen. Ich hoffe, dass nichts passieren wird. Wir werden nach Kärnten fahren. Ich habe meinen letzten Gottesdienst als Bischof am 27. Juli auf der Heidi Alm am Falkertsee in Kärnten. Das wird großartig. Und wir fahren im August nach Dresden zur Einschulung unserer Enkeltochter. Das ist dort ein Riesen-Event, da tanzen alle Verwandten an, da wird die ganze Stadt abgesperrt, das kennen wir gar nicht.

Gibt es Dinge, die Österreichs evangelische Kirche von der deutschen lernen kann und umgekehrt?

Was sich mittlerweile für alle Kirchen, nicht nur die evangelische, im europäischen Kontext herausstellt, ist der Leitbegriff "Diaspora". Wir gehen nicht mehr davon aus, die überwiegende Bevölkerungsmehrheit zu sein. Davon verabschiedet sich ja auch die katholische Kirche in Österreich Zug um Zug. In Wien sind weniger als 50 Prozent der Menschen katholisch. Die zahlenmäßige Minderheit stellt ganz neue Herausforderungen, weil man sie mit einem Engagement fürs Ganze in der Gesellschaft kombinieren muss. Die Kirchen wollen ja immer etwas für alle tun, nicht nur für die eigenen Leute. Da können Kirchen wie unsere auf einige Erfahrung zurückblicken. Die Betonung der Schulen ist wichtig, ebenso die Betonung der Diakonie. Und da wird niemand gefragt, ob er katholisch oder evangelisch ist oder gar nichts, sondern da geht es um die Qualität der Arbeit. Da können Kirchen glaubwürdig etwas einbringen. In gewisser Weise sind die Waldenser in Italien ein Vorbild.

Sie sind eine kleine Minderheitskirche mit etwa 35.000 Mitgliedern, aber durch das italienische Kirchenfinanzierungssystem haben sie an die 400.000 Menschen, die ihnen ihre Mandatssteuer von 8 Promille widmen, vor allem durch die Diakonie. Die Waldenser sind Partner der Gemeinschaft Sant’Egidio für die humanitären Korridore, durch die in Kooperation mit dem UNHCR 50.000 Flüchtlinge aus unsäglichen Lagern in Libyen nach Europa geholt werden sollen, womit auch Innenminister Matteo Salvini erstaunlicherweise einverstanden ist. Die Kirchenmitglieder übernehmen die Flüchtlinge privat für zwei Jahre und kommen für die Kosten auf. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, dass man sich um Leute kümmert, die gar nicht mehr in der Lage wären, in ein Schlauchboot zu steigen - Menschen im Rollstuhl, Schwangere, Alte, Kranke. Bei uns wird immer davon gesprochen, dass die illegale Migration verhindert werden muss - wir haben aber keine legale Migration. So gibt es wenigstens für diese ausgewählten verletzlichen Personen einen legalen Weg, nach Europa zu kommen. Da kann eine zahlenmäßige Minderheitskirche viel bewirken, das empfinde ich als ermutigend.

Es klingt, als würden Sie sich eine Änderung beim Kirchenbeitragssystem wünschen.

Ich bin der Meinung, wir würden mit einem Acht-Promille-System in Österreich nicht schlecht abschneiden. Die evangelische Kirche hat mehr Bekanntheit als Mitglieder, und wenn sie sich weiterhin engagiert und einbringt, muss das nicht negativ ausgehen. Aber keine österreichische Regierung wird eine Acht-Promille-Steuererhöhung beschließen.

Was machen Sie ab 1. September 2019?

Nichts. Martin Luther hat einmal in einem Brief an Philipp Melanchthon geschrieben: "Vergiss nie, Gott dienen wir am besten durch Nichtstun." Und das finde ich einfach total befreiend. Ich probiere es wieder. Ich konnte es als Schüler und als Student eigentlich ganz gut - verlernt man das? Aber ernsthaft: Es gibt auch ein Leben außerhalb der kirchlichen Funktion. Ich habe ein paar Hobbys, die mich erfüllen und freuen, zum Beispiel das Schlagzeugspielen in der Rockband Kreuzweh. Vielleicht lerne ich sogar noch was dazu. Oder ich schreibe etwas. Ich lasse die Zukunft auf mich zukommen.