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Weiter warten auf den Opferschutz

Von Werner Reisinger

Politik
© Getty Images/Andrew Aitchison

Das von der abgesetzten türkis-blauen Koalition in Begutachtung gebrachte Gewaltschutzpaket liegt vorerst auf Eis. Die SPÖ will "zurück an den Start", Opfervertreter sehen eine unverhoffte, neue Chance, Versäumtes nachzuholen.


Wien. Für die Oppositionsparteien und vor allem für Opferschutz-Vereinigungen tut sich eine neue Chance auf: Der interimistische Justizminister und Vizekanzler Clemens Jabloner gab bekannt, das Gewaltschutzpaket der gescheiterten türkis-blauen Regierung vorerst nicht umzusetzen. Die Übergangsregierung wolle "nicht die mit dieser Strafrechtsreform verbundenen Werteentscheidungen" treffen, sagte Jabloner bereits am Mittwoch im Justizausschuss im Parlament. Damit ist ein weiteres, für die ehemalige Regierung wichtiges Projekt vorerst auf Eis gelegt. Wie es weitergeht, ist nun unklar.

Zur Erinnerung: Die ehemalige Regierung setzte beim Thema Gewalt- und Opferschutz vor allem auf Härte im Strafrecht. Schwere Traumatisierung von Gewaltopfern sollte künftig als Erschwernisgrund beim Strafmaß gelten, für rückfällige Gewalt- oder Sexualstraftäter sollte es höhere Strafen geben. Bei Kindern und Jugendlichen als Opfer hätte es ein lebenslanges Berufsverbot in einschlägigen Betreuungsjobs geben sollen. Die ehemalige ÖVP-Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler, leitete federführend die Task Force. NGOs und Opferorganisationen saßen zwar mit am Tisch, zeigten sich aber mit dem schließlich vorgelegten Entwurf wenig begeistert: Statt höherer Strafen plädierten sie für Nachbesserungen bei der Umsetzung bereits bestehender Gesetze und Bestimmungen, zudem sei im Bereich Prävention und Opferschutz zu wenig getan worden. Jetzt wittern sie eine neue Chance auf Nachbesserungen.

"Nur ein kleiner Teil dessen, was in der Taskforce von uns eingebracht und auch Eingang in den Endbericht gefunden hatte, findet sich im Entwurf wieder", kritisiert auch Udo Jesionek, Präsident der Opferschutzorganisation Weisser Ring. Von der "dicken Broschüre" sei nicht viel übrig geblieben. Was ihn besonders stört: "Es wurden hauptsächlich Maßnahmen vorgelegt, die nichts kosten." Höhere Strafen für Täter mögen eine "prinzipielle generalpräventive Wirkung" haben - "für den Opferschutz aber bringen sie nichts".

Ausweitung der Meldepflicht?

Positiv hervorzuheben sei lediglich die Erweiterung des Wegweisungsrechts bzw. des Betretungsverbots. Laut momentan gültiger Rechtslage können Täter schon jetzt aus einem gemeinsamen Haushalt weggewiesen werden. Künftig hätte es auch die Möglichkeit eines Annäherungsverbots auf 50 Meter geben sollen - auch wenn das Opfer sich außerhalb der Wohnung bewegt. Für Jesionek aber geht dies nicht weit genug. Er fordert für die Neuauflage des Gewaltschutzpakets einen verstärkten Fokus auch auf Täter, die in keiner Beziehung zum Opfer stehen. Im Falle von Gewalt innerhalb der Beziehung oder eines Haushalts hätte die Polizei laut Entwurf künftig die Verpflichtung gehabt, sofort Meldung an die Gewaltschutzzentren zu machen. "Das muss auch für Opfer gelten, die in keiner Beziehung zum Täter stehen", sagt Jesionek.

Ebenfalls positiv im nun auf Eis gelegten Entwurf ist laut Weissem Ring auch die Erweiterung des Anspruchs auf Kriseninterventionsbetreuung oder Psychotherapie für Opfer von Wohnungseinbrüchen. Auch hier müsse Opferschutz aber weiter gehen, fordert Jesionek. Geht es nach ihm, sollten auch Unbeteiligte und Zeugen eines schweren Verbrechens einen solchen Anspruch bekommen. Unterstützung bekommt Jesionek von den SPÖ-Frauen. Frauenbundesgeschäftsführerin und stellvertretende SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Brunner will "zurück an den Start", sie plädiert für eine neuerliche Revision des Pakets - und fordert Aktionen von den mehrheitsfähigen Parteien ÖVP und FPÖ.

SPÖ offen für Verhandlungen

Brunner weißt darauf hin, dass unter der Ägide der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures bereits im vergangenen Februar eine "ausgewiesene Expertengruppe" inklusive aller relevanten NGOs, Opferschutzverbände und der Polizei getagt hatte. Brunner will vor allem mehr Geldmittel für den Opferschutz. "Rund 20 Prozent aller Frauen sind ab ihrem 15. Lebensjahr von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen", das würden auch Zahlen des Vereins der Wiener Frauenhäuser zeigen. Die Positionen und Forderungen der NGOs und Opferorganisationen seien bei einer etwaigen Neuverhandlung "viel stärker zu berücksichtigen", so Brunner. Schließlich seien es diese Organisationen, die aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung "am besten wissen, was getan werden muss".

Wichtig sei der SPÖ auch, dass die von den Frauenhäusern bereits gut eingeführte Notrufnummer 0800 222 555 als zentrale Anlaufstation erhalten bleibt und nicht noch eine weitere Notrufhotline, wie die im Edtstadler-Entwurf vorgesehen gewesen wäre, hinzukommt. Für Verhandlungen mit den mehrheitsfähigen Parlamentsparteien FPÖ und ÖVP sei man jedenfalls bereit, heißt es aus der SPÖ.

In der ÖVP gibt man sich allerdings zurückhaltend. Man wolle die noch laufende Begutachtung abwarten. "Die Stellungnahmen sind uns wichtig", betont man im ÖVP-Parlamentsklub. Ob man in der noch zur Verfügung stehenden Zeit des freien Spiels der Kräfte im Parlament bis zu den Neuwahlen am 29. September nochmals die Initiative ergreifen will, sei aber "schwer einzuschätzen". Nur so viel: "Es ist ein sehr wichtiges Projekt für uns." FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan war am Donnerstag per Mail nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Clemens Jabloner hat auch ohne das Gewaltschutz-Paket jede Menge zu tun. Vor allem das nach der Affäre Pilnacek mehr als nur leicht beschädigte Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und der Sektion Strafrecht im Ministerium sowie der damit einhergehende, drohende Vertrauensverlust machen dem Interims-Justizminister Sorgen. Die prekäre Budgetsituation des Ressorts tut ein Übriges. Angehen will Jabloner allerdings eine weitere Großbaustelle im Justizwesen: den Maßnahmenvollzug. Dessen Reform soll ein zentraler Teil einer Strafvollzugsnovelle werden, die Jabloner bald auf den Weg bringen möchte.