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Schuldenbremse nach "Schweizer Art"

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik
© stock.adobe.com/Egor

ÖVP, FPÖ und Neos wollen eine Schuldenbremse in die Verfassung schreiben. Das würde zunächst nicht viel ändern.


Wien. Sebastian Kurz hat ein Thema für sich entdeckt, das aufgrund seiner Dringlichkeit so gut wie alle Parteien beschäftigt: Der Klimaschutz soll in der Verfassung verankert werden, forderte der Ex-Kanzler und ÖVP-Chef gemeinsam mit der ehemaligen Umweltministerin Elisabeth Köstinger am Montag medienwirksam vor Journalisten im Grünen.

Bis 2015 soll es "flächendeckend Wasserstofftankstellen" in ganz Österreich geben; Unternehmen, die die Forschung zu Wasserstoff vorantrieben, sollen mit zusätzlichen 500 Millionen Euro im Jahr gefördert werden, so die Vorstellungen des ÖVP-Chefs. Einzig: Am Tag nach der Vorstellung seiner Pläne gaben ÖVP, FPÖ und Neos ihre Pläne bekannt, eine Schuldenbremse ebenfalls in der Verfassung verankern zu wollen. Und dessen ungeachtet stimmte auch die ÖVP beim größten nichtbudgetierten Posten mit, der im freien Spiel der Kräfte im Parlament (einstimmig) beschlossen wurde: der Valorisierung des Pflegegeldes. Kostenpunkt bis 2023: 575 Millionen von insgesamt 1,1 Milliarden Euro, die nicht budgetiert waren und Finanzminister Eduard Müller zum Appell an die Parlamentsparteien brachte, das Budget im Auge zu behalten.

"Verteufelung nicht zeitgemäß"

Kommen wird eine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse ohnehin nicht - zumindest fürs erste. Die SPÖ hat bereits klargestellt, dass sie im Bundesrat ihr Vetorecht (dieses gilt in Verfassungsfragen, weil es Länder und Gemeindekompetenzen betrifft) nutzen wird, um die Verfassungsänderung zu verhindern. Investitionsfeindlich und daher schlecht für den wirtschaftspolitischen Spielraum sei die Schuldenbremse, argumentieren die Sozialdemokraten. Spätestens 2020 aber wird in der Steiermark gewählt, verliert die SPÖ dort viele Stimmen, könnte dies auch zum Verlust des Vetorechts im Bundesrat führen. Erst dann wäre der Weg frei. Bis dorthin aber wird es eine neue Bundesregierung geben, abhängig von deren Zusammensetzung wird das Thema Schuldenbremse in der Verfassung wohl ohnehin neu verhandelt werden.

Investitionen in den Klimaschutz und weitreichende Förderungspläne, aber eine Schuldenbremse in die Verfassung - wie passt das zusammen? Was unterscheidet eine Schuldenbremse in der Verfassung "nach Schweizer Modell" von der seit 2017 effektiv greifenden, einfachgesetzlichen Schuldenbremse, die über den Stabilitätspakt auch Länder und Gemeinden bindet? 2017 präferierte Kurz jedenfalls noch eine Schuldenbremse "deutscher Art".

Dieser plötzliche Sinneswandel hat einen rein politischen Grund. In Deutschland diskutieren derzeit selbst arbeitgebernahe Ökonomen wie Michael Hüther vom Deutschen Institut der Wirtschaft darüber, dass die Schuldenbremse zehn Jahre nach ihrer Einführung nicht mehr als sakrosankt angesehen werden sollte. Angesichts der niedrigen Zinsen und des nötigen Investitionsbedarfs in Deutschland fordert er eine Lockerung. "Die Verteufelung der Schulden ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Hüther. In der Schweiz gibt es hingegen seit 2003 eine Schuldenbremse, die eine breite Mehrheit des Volkes unterstützt. Das ist der wesentlichste Unterschied zwischen den beiden Modellen. Beide Länder haben eine Schuldenbremse in der Verfassung.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Dass man die Schuldenbremse überhaupt in die Verfassung heben möchte, ist für den Wifo-Ökonomen Hans Pitlik eine "Signalwirkung". Einerseits, weil sie im Gegensatz zur bestehenden einfachgesetzlichen Variante rechtlich einen höheren Rang bekommt. Andererseits, weil sie aufgrund der nötigen Zweidrittelmehrheit schwerer aufzulösen ist. Wobei sich die bestehende Gesetzeslage ebenfalls schwer kippen lässt, weil sie im Grunde Vorgaben der EU-Kommission aus der Zeit der Finanzkrise folgt.

Im Zuge der Recherche bleibt unklar, warum die bestehende Gesetzeslage nicht ausreicht. Neos-Frontfrau Beate-Meinl Reisinger argumentiert damit, dass eine Schuldenbremse in der Verfassung auch für Länder und Gemeinden gelten würde. Durch den Stabilitätspakt ist das in Österreich aber bereits der Fall. Das Schweizer Modell berücksichtige zudem konjunkturelle Schwankungen. Auch das sei Teil der aktuellen Variante, erklärt der Chefökonom der Arbeiterkammer, Markus Marterbauer. Das geht auch aus dem Gesetz hervor. Für den Parlamentsklub der ÖVP ist auf Nachfrage nur wichtig, dass die Schuldenbremse in die Verfassung kommt, weil sich Regierungen folglich dazu verpflichten.

Fehlende Konsequenzen

Inwiefern man sich mehr daran halten muss als derzeit, ist fraglich. Die einfachgesetzliche Variante ist auf dem Papier recht klar definiert. Tatsächlich ein Problem ist, dass in der politischen Realität darauf nur wenig Rücksicht genommen wird und es keine Sanktionen bei Nichteinhalten von Fiskalregeln gibt. Im Fiskalbericht für 2017 bis 2019 wird zwar darauf hingewiesen, dass die "Vorgaben weder auf Bundesebene noch auf Landes- oder Gemeindeebene eingehalten" wurden, und der Fiskalrat ärgert sich über den schlechten Datenaustausch mit Ländern und Gemeinden. Kein Finanzminister musste sich diesen Problemen bisher stellen. "Es ist schade, wenn die Verletzung der Ausgabenregel achselzuckend zur Kenntnis genommen wird, aber keine Konsequenzen gezogen werden", sagt Lukas Sustala, Ökonom der Agenda Austria.

Es scheint notwendiger, die bestehenden Gesetze zu leben und Sanktionen zu definieren. Der bloße Verfassungsrang alleine ändert realpolitisch nicht viel.