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Erdogans österreichische Opfer

Von Werner Reisinger

Politik

Immer mehr Österreicher verschwinden in türkischen Gefängnissen, dürfen nicht mehr ausreisen und werden mit konstruierten Terror-Vorwürfen vor Gericht gestellt. Ihre Angehörigen fühlen sich im Stich gelassen.


Wien/Ankara. "Ich bitte Sie innigst um Hilfe und versichere, dass wir weder mit einer Terrororganisation noch mit sonst irgendetwas dergleichen zu tun haben." Es sind die verzweifelten Worte einer Österreicherin, deren Mann in der Türkei festsitzt. So wie ihm geht es dutzenden Österreichern: Sie reisen meist aus familiären Gründen in die Türkei, oft geht es um Verwandtenbesuche, um Krankheits- oder Todesfälle - und geraten in die Fänge der türkischen Behörden. Sie werden vom Krankenhaus weg, in dem sie Verwandte besuchen, auf dem Friedhof, an der Wohnungsadresse oder direkt am Flughafen verhaftet, oft sind dabei gleich ein Dutzend Polizisten im Einsatz. Der Vorwurf ist fast immer der gleiche: Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, manchmal auch "Beleidigung des Präsidenten". Viele der Betroffenen haben kurdische oder alevitische Wurzeln.

Der "Wiener Zeitung" liegt nun neben den drei mittlerweile bekannten Fällen ein weiterer vor. Insgesamt betreffen zwei davon Familien aus Oberösterreich, je ein Fall betrifft Wien und Vorarlberg. Alle Personen sind österreichische Staatsbürger und das, was man als "gut integriert" bezeichnen würde - sie arbeiten als Angestellte oder Unternehmer, verfügen über ein enges nachbarschaftliches Netzwerk in ihren Heimatgemeinden - und sie sind unbescholten. Ihr einziges Vergehen, so scheint es, ist ihre politische Meinung, ihr Alevitentum oder ihr kurdischer Background. Jener Vorarlberger, der in der Türkei seinen kranken Vater besuchte und nun an der Heimreise gehindert wird, engagiert sich in seiner Heimatgemeinde für einen kurdischen Verein. Wie der "Standard" berichtete, wurden ihm bei seiner Festnahme Fotos aus dem Verein vorgelegt. Woher die Behörden die Infos haben, wie sie vorab an Namen und an die Daten der nun Betroffenen gekommen sind, darüber gibt es keine gesicherten Informationen. Von einem Spitzelnetzwerk im Auftrag des türkischen Geheimdienstes sprach vor zwei Jahren der Liste Jetzt-Gründer Peter Pilz, eine zentrale Rolle dabei sollen die türkischen Vereine, allen voran der Dachverband AtiB und die "Union Europäisch-Türkischer Demokraten" (UETD) spielen. Sogar von einer Bespitzelungs-App war die Rede, über die missliebige Personen gemeldet werden können.

Überfüllte Gefängnisse

Drei Jahre ist der gescheiterte Militärputsch in der Türkei nun her. Tausende tatsächliche oder vermeintliche Gegner des Regimes von Präsident Recep Tayyip Erdogan sind seither in den türkischen Gefängnissen eingesperrt. Auf den versuchten Putsch, den Erdogan der Bewegung seines einstigen Mitstreiters und jetzigen Erzfeinds Fethullah Gülen und der Gülen-Bewegung anlastet, folgte eine beispiellose Verhaftungswelle: Tausende Beamte, Richter, Militärs und vor allem Journalisten wurden verhaftet, praktisch jeder konnte und kann ins Visier von Polizei oder Geheimdienst geraten. "Das Vorgehen der türkischen Behörden hat sich mittlerweile verändert", sagt die Grünen-Politikerin Berivan Aslan. "Die Gefängnisse sind inzwischen so überfüllt, dass die Behörden nicht mehr wie bisher Untersuchungshaft verhängen. Die Betroffenen werden nach relativ kurzer Zeit - oft nach 24 Stunden, manchmal aber auch erst nach einer Woche - wieder entlassen, dürfen aber nicht ausreisen und müssen sich einmal wöchentlich bei den Behörden melden", sagt Aslan. Sie alle aber werden angeklagt, der erste Verhandlungstermin wird meist erst Monate später anberaumt und nicht selten weiter vertagt. "Das kann dann Monate, sogar Jahre so weitergehen." Für die verzweifelten Angehörigen und die Betroffenen selbst ist Aslan die einzige Ansprechpartnerin, von den österreichischen Behörden fühlen sie sich im Stich gelassen.

Auch Aslan übt Kritik an der Untätigkeit und "Teilnahmslosigkeit" der Regierung, wie sie sagt. Zwar gibt es auf der Homepage des Außenministeriums eine allgemeine Warnung für die Einreise in die Türkei für Urlaubsreisende. "Bei der Einreise in die Türkei kann es zu vorübergehenden Festnahmen und Anhaltungen sowie zu Zurückweisungen kommen, ohne dass konkrete Vorwürfe bzw. genaue Gründe seitens der türkischen Behörden bekanntgegeben werden. In den letzten Monaten kam es bei Ein- und Ausreise vermehrt zu teils mehrwöchiger Inhaftierung österreichischer Staatsbürger aufgrund des Vorwurfes regierungskritischer Äußerungen vor allem in sozialen Medien", ist dort zu lesen. Aslan ist das zu wenig. "Für die Betroffenen ist das kein ‚Urlaub‘, sie haben Verpflichtungen in der Türkei", sagt die Grüne.

Nicht selten sind die Facebook-
Seiten und -Einträge, die die türkische Polizei den Festgenommenen zur Last legt, plumpe Fälschungen. Eine Erdogan-kritische Äußerung in sozialen Netzwerken aber reicht aus, um mit Terrorismusvorwurf vor Gericht zu landen.

Existenzbedrohende Situation

Für die in Österreich gebliebenen Angehörigen der Verhafteten stellt die Situation meist eine existenzielle Krise dar. Sie verlieren ihre Arbeitsplätze, Gastronomen und Selbständige fürchten, ihre Betriebe schließen zu müssen. Für die Kinder der Betroffenen, so auch im nun neuen Fall, führen der Verlust des Elternteils, die Unsicherheit und die Angst zu einer Traumatisierung. Die Mutter von drei Kindern ist mit der Situation völlig überfordert. Sie fürchtete wie die meisten Betroffenen um ihre Existenz. Der "Wiener Zeitung" liegen alle Details zu ihrem Fall vor - die Betroffene bittet aber, diese nicht zu veröffentlichen. Zu groß ist die Angst, dass dem Ehemann in der Türkei etwas zustoßen könnte oder sich seine Situation verschlechtert und dadurch die Willkür der Behörden noch weiter geschürt wird. Auch besteht ein berechtigter Grund zur Sorge, dass weitere Verwandte oder Freunde des Beschuldigten in den Fokus der türkischen Behörden rücken könnten. Besonders perfide scheint in diesem Zusammenhang eine Taktik, die im Falle einer in der Türkei verhafteten, in Österreich lebenden Mutter und Tochter deutlich wurde. Die beiden dürfen seit über einem Jahr nicht nach Österreich zurück, die Behörden sollen aber eine Rückkehr in Aussicht gestellt haben, für den Fall, dass der Mann in die Türkei reist - was möglicherweise seine Festnahme zur Folge hätte.

Berivan Aslan ist wichtig zu betonen, dass die verfolgten Personen völlig unbescholten sind und zudem fest hinter der österreichischen Rechtsordnung stehen. "Es müssen konkrete Maßnahmen und mutige Schritte gesetzt werden, gegen die menschenunwürdige Abschreckungspolitik von Erdogan", fordert sie. "Die Daten der festgenommen Personen wurden aus Österreich geschickt. Es braucht auch hier innenpolitische Konsequenzen gegen Informanten und Organisationen." Stattdessen, kritisiert die Grüne, werde 2020 ein offizielles "Kulturjahr Österreich-Türkei" abgehalten, das Ex-FPÖ-Ministerin Karin Kneissl initiiert hatte. Wie Österreich mit der Situation umgeht, bleibt also unklar. Das Außenministerium wollte am Freitag weder telefonisch noch schriftlich Fragen zum Thema beantworten.