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Koalitionäre Farbenlehre: Nichts passt zusammen

Von Simon Rosner

Politik

Kurz akzeptiert keinen FPÖ-Innenminister, seine rigide Migrationslinie bleibt aber unverhandelbar. Das ist für FPÖ und Grüne ein Problem.


Irgendwie muss es nach der Wahl am 29. September weitergehen. Zwei oder drei Parteien müssen sich inhaltlich wie atmosphärisch finden, um in der kommenden Legislaturperiode eine Regierung zu stützen, die im Nationalrat eine Mehrheit hat. Aber wie soll das gehen? Legt man die Aussagen der Politiker nebeneinander, ist der logische Schluss: Nichts geht mehr. Rien ne va plus.

Gehen wir es durch: Die ÖVP will den Kurs fortsetzen, schließt aber ein Ministeramt für Herbert Kickl aus. Das hat Sebastian Kurz am Dienstag in der ZiB2 sehr klar gesagt. Und außerdem: Die FPÖ bekommt das Innenministerium unter Kurz sicher nicht mehr.

Die FPÖ macht aber ihrerseits Kickl zur Koalitionsbedingung. Das sagte Generalsekretär Christian Hafenecker schon vor Wochen. Eine Ablehnung Kickls wäre für die FPÖ "eine Hürde, die nicht zu nehmen ist". Außerdem ist den Blauen das Innenministerium, was den Grünen das Umwelt- oder den Roten das Sozialministerium wäre. Die innere Sicherheit gehört mittlerweile zum Genom der Partei. Also: Türkis-Blau geht nicht.

Eine erneute Auflage der großen Koalition, in diesem Fall wohl mit einem ÖVP-Kanzler, ist so undenkbar, dass derzeit nicht einmal danach gefragt wird. Manche Äußerungen von roten und türkisen Parteimitarbeitern und Politikern kratzen an den Grenzen der Hassrede. Und die Schredder-Affäre entspannte die Situation nicht. Im Gegenteil. Türkis-Rot? Geht auch nicht.

Also muss es Türkis-Grün werden, oder? Diese Variante müsste sich zunächst rechnerisch ausgehen. Das ist unsicher, aber möglich. Doch der grüne Spitzenkandidat Werner Kogler hat bekundet, dass er "mit dieser türkisen ÖVP sicher nicht" zusammenarbeiten werde. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass sich Sebastian Kurz nach einem vermutlich klaren Erfolg bei der Nationalratswahl mitsamt seinem türkisen Team zurückziehen wird, damit einer Koalition mit Grün nichts im Weg stünde, ist gleich null. Und Kurz hat seinerseits in der ZiB2 seine "konsequente Linie in der Migrationsfrage" als "Kernposition" bezeichnet, wo "ich nicht bereit bin, zu verhandeln". Das war’s damit also auch für Türkis/Schwarz-Grün.

Keine logische Variante

Für eine türkis-pinke oder auch eine rot-blaue Koalition müssten sich noch massive Verschiebungen ergeben. Bisher ist in Umfragen für diese Varianten keine Mehrheit in Sicht. Der logische Schluss daraus: Es ist schlicht gar keine Variante möglich, zumal auch eine ÖVP-Minderheitsregierung von möglichen Mehrheitsbeschaffern abgelehnt wird.

Interessant ist, dass dieselben Parteien aber vorgeben, genau zu wissen, welche Allianzen da gerade geschmiedet werden. Die ÖVP warnt vor einer rot-blauen Koalition, mutmaßlich von Herbert Kickl organisiert. Das erzählte etwa ÖVP-Klubchef August Wöginger. Für die SPÖ ist eine Fortsetzung von Türkis-Blau ausgemachte Sache, und zwar auch mit Kickl. Das schrieb beispielsweise Raphael Sternfeld, SPÖ-Pressechef in Wien, auf Twitter.

Peter Pilz hatte wiederum neulich in der "Wiener Zeitung" Türkis-Grün als fix bezeichnet, oder, wenn es sich rechnerisch nicht ausgeht, eine Dreier-Koalition mit den Neos. "Das ist ganz sicher", so Pilz. Die FPÖ ist dagegen überzeugt, dass die ÖVP "mit Vollgas in Richtung Schwarz-Grün unterwegs" sei, wie Generalsekretär Harald Vilimsky sagt.

Wahlstrategische Manöver

Bei diesen Erzählungen der Parteien gibt es ein logisches Problem. Türkis-Blau, Rot-Blau oder Türkis-Grün, mit oder ohne Neos, können nicht alle gleichzeitig gerade hinter den Kulissen verhandelt werden und quasi fix sein. Sie schließen einander aus.

Das wirft einen schrecklichen Verdacht auf: Sind diese Warnungen vielleicht gar nur wahlstrategische Manöver? Natürlich, sehr ernst sollte man das nicht nehmen. Warnungen vor drohenden Koalitionen sollen die eigene Wählerschaft mobilisieren. Beobachter der heimischen Innenpolitik wissen, dass nach der Wahl oft vieles anders kommt als zuvor erzählt.

Doch das Koalitionsproblem ist diesmal tatsächlich real. Denn die ganz großen Pflöcke sind meist schon unverrückbar. Sie stellen ja auch Entscheidungsgrundlagen für Wählerinnen und Wähler dar, und entsprechend heikel kann es sein, die großen Pflöcke ab Oktober wieder herauszuziehen.

Kann die FPÖ wirklich auf Kickl und Innenministerium verzichten, wenn sie nun zwei Monate trommeln, dass sie das sicher nicht akzeptieren werden? Was machen Grün-Wähler, die eine Koalition mit Kurz ablehnen, wenn sie dann genau diese serviert bekommen? So positiv die Umfragen für die ÖVP derzeit sind, so schwierig sind die Rahmenbedingungen für Kurz, eine stabile Koalition zu formen.

Innerparteiliche Konflikte

Allerdings ist er nicht ganz unschuldig, dass die Situation so verfahren ist. Erstens ist er die personifizierte und glaubwürdige Gegenerzählung zur unbeliebt gewordenen großen Koalition. Von diesem Veränderungsversprechen kann er kaum abrücken, es ist eine Säule seines Erfolgs. Zweitens, seine unverrückbaren Bedingungen für eine Zusammenarbeit (hart in der Migrationsfrage; kein Kickl, kein FPÖ-Innenministerium) bringen beide möglichen Partner in gravierende, potenziell sogar bedrohliche innerparteiliche Schwierigkeiten, sollten sie diesen Bedingungen zustimmen.

Drittens, ein Politiker, der eine Partei binnen zwei Wahlen von 24 auf vielleicht 38 Prozent führt, wird keine große Bereitschaft zeigen, inhaltlich weit auf die Partner zuzugehen. Das ist der Preis des Erfolges, dafür kann er nichts. Aber Kurz hat sich, viertens, bisher auch nicht als leidenschaftlicher Kompromissler inszeniert, der stets um den großen Ausgleich bemüht ist. Es ist wahrlich verzwickt. Aber irgendwie muss es nach der Wahl weitergehen.