Zum Hauptinhalt springen

Von Deep Fakes zur narrativen Manipulation

Von Werner Reisinger

Politik

Offene Lügen, Propaganda und gefälschte Bilder schaffen es noch immer vom Netz in seriöse Medien. Doch es gibt eine Strategieänderung: "Info-Wars" lautet das von der extremen Rechten geprägte Schlagwort.


Wien/Alpbach. Wer weiß, wie genau ein TV-Beitrag technisch entsteht, der weiß auch: "Realität" ist ein relativer Begriff. Technisch ist so gut wie alles möglich: Schnittbilder, in denen keine sich bewegenden Fahrzeuge oder Menschen zu sehen sind, können rückwärts abgespielt werden, wenn der Kameraschwenk so besser auf das nächste Bild passt, für das Auge sind diese kurzen Sequenzen meist viel zu schnell, als dass es den Trick erkennen könnte. Bilder können "aufgeblasen" werden, sodass nur mehr ein bestimmter Ausschnitt zu sehen ist oder ein Objekt oder eine Person größer erscheint. Von Licht und Helligkeit und von den Atmosphäre-Tonspuren ganz zu schweigen. Rein technisch gesehen ist Fernsehen eine große Lüge.

Das ist es aber - zumindest was öffentlich-rechtliche Anstalten angeht - mitnichten. Der Objektivitätsanspruch im TV-Journalismus ergibt sich durch einen verantwortungsvollen Umgang mit technischen Möglichkeiten am Schnittplatz, aus einer soliden Recherche und Ausgewogenheit. Dass auch Bilder, vor allem audiovisuelle Medien und hier vor allem das TV, "lügen" können und ebenso Konstrukte sind, die eine gewollte oder ungewollte Wirkungsdynamik entfalten, ist keine neue Kritik. Als aber vor über einem Jahr auf dem progressiven Nachrichtenportal BuzzFeed plötzlich ein Video mit Barack Obama auftauchte, in dem er seinen Nachfolger Donald Trump als "kompletten Vollidioten" bezeichnet und vor einer "neuen Ära" warnt, in der "unsere Gegner es schaffen können, jeden jederzeit alles Mögliche sagen zu lassen", veränderte dies den Diskurs über die Glaubwürdigkeit audiovisueller Berichterstattung grundlegend. Sogenannte "Deep Fakes", Produkte von künstlich intelligenter Software, ermöglichen es politischen Akteuren, Fälschungen zu verbreiten, die optisch und akustisch praktisch nicht mehr von echten Aufnahmen zu unterscheiden sind. Erste Adresse für das Einspeisen von gefälschten Nachrichten, Bildern, Videos und Erzählungen ist seit langem das Internet.

Dort sind "alternative Fakten" und "Fake News" - damit bezeichnete Donald Trump eigentlich ursprünglich ihm missliebige seriöse Berichterstattung - seit vielen Jahren anzutreffen, sagt Jacob Davey. Der Projektmanager am renommierten Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) leitet dort die Forschungen in den Bereichen extreme Rechte und Hate Crime. In den aktuell laufenden Projekten arbeitet Davey vor allem an Deradikalisierung von Rechtsextremen im Internet und hat einen tiefen Einblick in die Funktionsweise der verschiedenen Szeneausprägungen, von der sogenannten Alt Right über die Identitären bis hin in den klassischen Rechtsextremismus - und vor allem deren Online-Taktiken.

In der Seminarwoche des Europäischen Forums Alpbach leitet er, gemeinsam mit dem politischen und technischen Berater Zack Exley, von 16. bis 21. August das "Digital Democracy Lab". Die Teilnehmer sollen dort herausfinden, warum autoritäre und antidemokratische Bewegungen online weltweit florieren - und entsprechende Gegennarrative entwickeln.

Bislang im Hintergrund: Reddit, 4chan und 8chan

"Spätestens der US-Wahlkampf 2016 hat das Desinformations- und Destruktionspotenzial des Internets für jedermann sichtbar gemacht", sagt Davey. Vor allem aber zeigten die damaligen Skandale, vor allem "Pizzagate", dass Desinformationskampagnen der extremen Rechten keineswegs nur in etablierten sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter ihren Anfang nehmen müssen. Vom Keller einer Pizzeria in Washington D. C. aus sei ein Kinderpornoring aktiv, in dem auch der Wahlkampfmanager der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton aktiv sei, war beispielsweise auf den obskuren Plattformen reddit.com und 4chan zu lesen. Die Verschwörungstheorien gingen viral, fügten Clintons Kampagne enormen Schaden zu. Schlussendlich stürmte ein Schwerbewaffneter die Pizzeria und schoss um sich, wie durch ein Wunder kam dabei niemand zu Schaden.

"Desinformation, gefälschtes Material oder einfach nur gezielte Lügen gegenüber den Medienkonsumenten sind noch immer präsent. Wir am ISD nehmen aber eine deutliche Veränderung wahr", erklärt der Experte. Die extreme Rechte benutzt zusehends nicht nur gefälschtes Material, sondern wechselt immer öfter zur Strategie einer manipulativen Erzählung ("Narrative Manipulation"). "Es geht um einen richtigen Wettbewerb um die Erzählung", sowohl innerhalb der sozialen Medien im Internet wie auch in einem erweiterten Diskursraum, getragen vor allem von den klassischen Massenmedien, erklärt Davey. Dabei werden die User selbst zu Instrumenten der organisierten extremen Rechten. Brücken werden geschlagen. Die weit verbreitete Meinung, es gehe vor allem um eine gezielte Intervention aus dem russischen Raum - Stichwort russische Troll-Armeen und Putin-Propaganda -, sei nur eine Seite des Problems. Manipulative Erzählungen, das bedeutet, bei Propaganda-Kampagnen weitestgehend reale, korrekte Fakten zu verwenden, allerdings die Erzählung zu dominieren und den Kampf um die Deutung der Themen zu gewinnen.

Nicht nur der Kreml bemüht sich intensiv, diese von der extremen Rechten "Info-Wars" genannte Auseinandersetzung zu gewinnen - fast überall übernehmen verschiedene Player diese Strategie. Immer stärker fallen dabei den besagten Plattformen Reddit, 4chan oder 8chan eine zentrale Rolle zu.

Auch bei der zurückliegenden deutschen Bundestagswahl sei dies verstärkt zu bemerken gewesen, sagt Extremismusforscher Davey: "Wir beobachten auf den Plattformen schon eine fast militärisch organisierte Arbeitsteilung." Das Stichwort ist Hierarchie. Wer neu in eine solche geschlossene Chatgruppe stößt, bekommt verschiedene Aufgaben zugeteilt, etwa "produziere 20 rassistische Memes", oder "arbeite an einem bestimmten Thema, das du gerne im Netz lanciert sehen würdest, etabliere dazu einen bestimmten Hashtag (Begriff, der an Twitter- oder Facebook-Beiträge angefügt wird, um sie einer Diskussion zuzuordnen, Anm.)". "Diese Gruppen koordinieren sich dann und werden zur selben Zeit, koordiniert, aktiv. Sie beginnen gleichzeitig in verschiedenen Plattformen eine Diskussion", sagt Davey.

So wird das Internet sukzessive mit extrem rechter Propaganda geflutet. "Es ist bezeichnend, dass auch Akteure auf der politischen Bühne inzwischen auf diese Agitationstaktiken zurückgreifen - oder in der einen oder anderen Form damit arbeiten", sagt Davey. Beispiele dafür, wie mit solchen ge- oder verfälschten Nachrichten, oft auch nur mit selektiven Ausschnitten aus Inhalten der extremen Rechten aus dem Netz politisch gearbeitet wird, gibt es auch in Österreich.

Feedbackschleifevon ganz rechts

Seit ihrem Bestehen propagieren die rechtsextremen Identitären den verschwörungsideologischen Begriff des "großen Austauschs". Es ist ein neuer Name für eine ewig bekannte rechtsextreme Annahme, dass demokratische Eliten die Bevölkerung eines Landes durch Zuwanderer ersetzen möchten ("Umvolkung" nannte es FPÖ-Politiker Andreas Mölzer, vom "Volkstod" sprachen Neonazis). Nach dem tödlichen Anschlag von Christchurch und den Verbindungen des Attentäters zum Chef der Österreichischen Identitären, Martin Sellner, standen medial die engen Verbindungen zwischen der rechtsextremen Gruppierung und der FPÖ im Fokus. Zuerst distanzierte sich der damalige Parteichef Strache, schließlich aber sprach auch er von einem "Bevölkerungsaustausch".

Ein weiteres Beispiel stellt die intensive Kampagne der Identitären und anderer Rechtsextremer gegen den UN-Migrationspakt dar. Es gibt bemerkenswerte Parallelen in der Argumentation zwischen der ehemaligen Regierung und den Identitären, die als Erste ihre Kampagne gegen den Migrationspakt initiiert hatten - vor allem in der Selektivität der aus dem Pakt zitierten Punkte. "Wir vertreten die Souveränitätsrechte der österreichischen Bevölkerung", rechtfertigte sich der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz damals. Migration sei "kein Menschenrecht".

Nicht wenige Beobachter in Politik und Medien sprachen davon, dass sich die Bundesregierung durch die Kampagnen zumindest inspirieren hatte lassen. Umgekehrt gibt es ein beträchtliches "Feedback" der rechtsextremen Diskurse auch im Bereich von konservativen und reaktionären Journalisten. Viele von ihnen nehmen die Diskussionen dankbar auf - und sorgen so auch für weitere Verbreitung und Grenzverschiebungen.

Wie wurde das UN-Vorhaben durch die Kampagnen und die Regierungsentscheidung gebrandet? Wer weiß heute noch, was genau Inhalte des Migrationspakts sind?

Das Christchurch-Attentat, sagt Jacob Davey, stellt ein wichtiges Beispiel für die den Zusammenhang zwischen digitaler Agitation und Vernetzung einerseits und der großen Gefahr durch die vorher kaum im Aufmerksamkeitsfokus von Behörden, Politik und Medien stehenden obskuren Plattformen dar. Es war aber auch ein Wendepunkt. "Christchurch machte vielen klar, wie die extreme Rechte hier handelt", sagt Davey. Auch in den Medien setzte ein gewisser Lernprozess ein. Als der Attentäter zum ersten Mal vor einem Richter stand und fotografiert wurde, formte er eine Hand zu einem "OK"-Symbol. Nur Experten war damals klar, dass es sich um eine weitere Provokation des Rechtsextremisten handelte. Die sogenannte Alt-Right-Bewegung schaffte es, vor allem über Plattformen wie 4chan oder 8chan, das Symbol umzudeuten - es soll für ei "W" und ein "P" stehen, kurz für "white power" oder "white pride". Die mediale Verbreitung dieser Tatsache wieder bewirkte, dass das Handzeichen nun mit der extremen Rechten assoziiert wird.

"Ich sehe nicht, dass die Konjunktur der Agitation wie auch der sogenannten ‚alternativen Medien‘ abnimmt", sagt der Extremismusforscher. "Narrativer Wettbewerb ist ein sehr effektives Werkzeug. Man präsentiert den Leuten, was sie hören wollen." Davey spricht von "tabloids on speed" - von "Boulevardzeitungen auf Amphetaminen". "Uns bleibt nur, bewussten und ethischen Journalismus zu stärken - und vor allem Jugendliche von klein auf aufzuklären und zu bilden."