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Umdeuten der Gefühle

Von Martina Madner

Politik
Probleme konstruieren, um sich selbst als jemand mit der einfachen Lösung zu präsentieren, kommt auch in der Politik immer häufiger vor.
© srady - stock.adobe.com

Statt auf Inhalte setzt Politik vermehrt auf Bauchentscheidungen bei Wahlen. Framing macht politische Erzählungen greifbarer.


Wien. Es ist skurril, was die FPÖ da als Video unter die Wählerinnen und Wähler brachte. Der echte designierte Parteiobmann Norbert Hofer trifft einen Schauspieler, der ÖVP-Obmann Sebastian Kurz mimt, zur Paartherapie. Es ist von der "guten", "harmonischen", gar "großartigen" Beziehung die Rede. "Wollen Sie das wirklich riskieren, nur wegen Ibiza?", lässt die FPÖ die Therapeutinnen-Schauspielerin sagen.

Sie darf das Ibizia-Video, in dem der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ganz ungeniert Gegenleistungen für Geldspenden anbot, als "Dummheit" verharmlosen - und an ÖVP und das Wahlvolk gerichtet sagen: "Oft braucht es nur einen kleinen Schubser, um gemeinsam weiterzumachen."

Die Taktik fährt die FPÖ bereits seit Monaten. Strache selbst sprach von der "b’soffenen G’schicht". "Es wird suggeriert, Männer sind halt so in Anwesenheit von feschen Frauen. Als wäre es ein individueller Moment persönlicher Schwäche gewesen. Dass hier ein zumindest fragwürdiger Zugang zur politischen Moral zu sehen ist und das System in der Partei hat, soll in den Hintergrund treten", erläutert Alexa Jirez, die sich im gewerkschaftlichen Bereich mit Framing auseinandersetzt.

Denn es ist Framing, was die FPÖ hier versucht. Laut Duden geht es dabei um die "Einbettung eines Themas in einen subjektiven Deutungsrahmen". Kommunikationsmanagerin Elisabeth Pechmann erklärt es einfacher: "Es geht darum, unseren Blickwinkel auf das Geschehen zu steuern und zu manipulieren." Eine Methode, die auch ÖVP und SPÖ nicht fremd ist.

Homer Simpson stattHomo Oeconomicus

Wie macht man das? So wie zum Beispiel Novomatic, sagt Pechmann. Strache behauptete im Ibiza-Video bekanntermaßen: "Die bezahlen alle", was der Glückspielkonzern stets von sich wies und weist. Nun aber ist auf ganzseitigen Zeitungsinseraten und auch Online-Werbung des Unternehmens der Satz "Wir zahlen alle" zu lesen - mit der Erläuterung allerdings, dass der Konzern alle Steuern zahle. "Ein hervorragendes Beispiel, wie man aus einer Krise gute Werbung macht", stellt Pechmann, die auch Wirtschaftspsychologin ist, fest. Ein hervorragendes Beispiel auch für Reframing, also Umdeutung.

Warum funktioniert das auch in der Politik? "Weil der Mensch kein Homo Oeconomicus ist, der Entscheidungen ausschließlich aufgrund vernünftiger, sachlicher Kriterien trifft", sagt Pechmann. Im Gegenteil: "Wir Menschen sind höchst erratische, gefühlsbetonte Wesen, die viele Pi-mal-Daumen-Bauchentscheidungen treffen."

Menschen handeln also weit weniger rational, als sie von sich selbst denken, sondern eher so wie Homer Simpson, wie in der deutschen Zeitung "Welt" einmal zu lesen war: Homer weiß wenig, widerspricht sich ständig und lässt sich eher von seinem Bierdurst oder Launen als von seinem Verstand leiten. Zeitgemäße Kommunikation setze deshalb nicht nur auf Inhalte, sondern vor allem auf Gefühle. Framing ist laut Pechmann eine der beliebtesten Methoden dabei.

Problem erkannt,Problem gebannt?

Birgit Sauer, Politikwissenschafterin an der Universität Wien, die sich mit Politik und Emotionen auseinandersetzt, stellt fest, dass politisches Framing aus zwei Schritten besteht: "Im ersten wird ein Problem identifiziert oder überhaupt erst konstruiert." Dann folge der zweite Schritt: "Die Politikerin oder der Politiker präsentiert sich selbst gleich dazu überzeugend als kompetente Person mit der einfachen Lösung dazu und hat die Macht, sie umzusetzen", sagt Sauer.

Maria Pernegger, Geschäftsführerin von Media Affairs, die Performance und Medienpräsenz der Spitzenkandidaten im Wahlkampf analysiert, nennt das altbekannte Thema Zuwanderung bei der FPÖ als Beispiel für so ein Narrativ, also ein bestimmendes Thema, das in der erzählten Geschichte über allen anderen steht: Egal ob der Sozialstaat, Sicherheit, Schulen, Frauen - alles sei durch Ausländer gefährdet. Ein Narrativ, das laut Pechmann bei der Wahl 2017 auch von der ÖVP bemüht wurde. Migration blieb das Framing-Ass im Ärmel der gemeinsamen Koalition, egal wie konstruiert manche der Probleme wirkten.

Framing wirkt einfach, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bewies Ende Mai allerdings, dass es das nicht ist. Im Interview mit Armin Wolf identifizierte, Kritiker sagen konstruierte, sie das Problem, dass Kurz die Regierung in Folge des Ibiza-Videos gesprengt habe. Österreich brauche aber Stabilität als Lösung. Ihr Weg dahin war das Misstrauensvotum gegen die um einige Experten neu ergänzte ÖVP-Regierung.

Der Frame scheiterte schon im Interview an Wolfs Frage, was danach komme. Und, so Sauer: "Da kam eine kommunikative Leerstelle." Denkbar wäre ein Sager gewesen, dass aus Chaos Neues entstehe, also ein positives Zukunftsbild zu erzeugen. Möglich war auch, die bessere Alternative zu zeichnen, also Kompetenz zu beweisen. "So aber war Wolfs Frame, nach so einem Misstrauensvotum herrscht Instabilität, der stärkere", analysiert Sauer.

Die dunkle Optik mit einer sich ans Mikro klammernden Person erinnert an alles andere als an den dynamischen Menschen mit Macht, der sonst im Fernsehen oft durch eine sich öffnende Tür ins Helle tritt und jenen, die aufmerksam zusehen, Lösungen verkündet.

Die SPÖ zeichnet zwar mittlerweile ein Bild ihrer Spitzenkandidatin als "Mensch unter Menschen", liefert dazu aber unterschiedlichste Forderungen. Pechmann vermisst außerdem das "zusätzliche, den Glauben an sie abstützendes Heilversprechen": "Entsprechend schwer wiegen dann Störungen durch Kontraste wie depressiv-dunkelbunte Kamera-Statements."

Sich ins Bild setzenund Bilder neu zeichen

Dabei versuchte die SPÖ beim Thema Pflege ein positives Bild von Pamela Rendi-Wagner zu zeichnen: authentisch, kompetent, empathisch im Gespräch mit Älteren - und stellte das Sebastian Kurz Fauxpas, dem Ausschnitt aus dem ORF-Report, als er im Pflegeheim ältere Menschen fragte, "Habts schon was gessen? Jo, jo?" - und sich mangels Antwort von ihnen wegdrehte, gegenüber.

"Kurz hat überhaupt kein Gefühl dafür, was gebraucht wird. Er ist abgehoben", sollte das laut Sauer suggerieren. Das spielte allerdings so gut wie keine Rolle in der medialen Diskussion im Sommer, wie Pernegger feststellte. Was in den Medien durchdrang, ist: "Kurz gibt sich sehr staatsmännisch, sehr selbstbewusst, sehr engagiert." In der "Kronen Zeitung" sei er damit zum Beispiel doppelt so häufig präsent gewesen als alle anderen Spitzenkandidaten zusammen. Der ÖVP-Wahlkampf sei ganz auf Kurz als Person zugeschnitten, sagt Pechmann, "herausragend, aber als Mensch unter Menschen, der Klarheit bringt in unklaren Zeiten".

"Gelingt das, prallen auch die Vorwürfe unsauberer Gebarung ab", sagt sie auch. Denn inhaltliche Ziele spielten im laufenden Wahlkampf kaum eine Rolle - und wurden vom Ibiza-Video, der Schredder-Affäre, Parteispenden und Co überlagert. Gelingt es der ÖVP nicht, "Wählerinnen und Wähler zum Glauben zu führen, kratzen die Vorwürfe natürlich am Messias-Lack".

Wie Hofer von der FPÖ beweist aber auch Kurz Geschick im Reframing. Das war zum Beispiel im ORF-Sommergespräch zu beobachten. "Kurz präsentiert Alexander Van der Bellen als jenen, der die meisten Spenden gesammelt hat, und lenkt damit von der Stückelung der ÖVP-Parteispenden ab und dass er sich nicht von Anfang an offengelegt hat", sagt Pernegger.

"Dazu betonte er, er halte sich an Gesetze, wollte dieses - anders als SPÖ und FPÖ - auch ändern." Was Kurz dabei nicht erzählt, ist, dass die ÖVP genau das seit 1987 als Teil jeder Regierung oder auch er selbst als Kanzler eineinhalb Jahre bereits hätte machen können.