Wien. Seit Tagen diskutiert die Öffentlichkeit anlässlich von Rechercheergebnissen des Falters wieder über die Ausgaben der ÖVP in ihren Wahlkämpfen. Thema sind aber nicht nur teure Flüge, Berater und Veranstaltungen. Parteivertreter, wie am Dienstag im ORF-"Report"-Interview zuletzt ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer, versuchen dagegen die Datenbeschaffung durch einen mutmaßlichen Hackerangriff ins Zentrum der Diskussion zu bringen. Wie bei jeder Krisenkommunikation versucht die ÖVP zu lenken, worüber die Öffentlichkeit informiert wird. Kommunikationsmanagerin Elisabeth Pechmann erläutert im Interview mit der "Wiener Zeitung", welche Strategien es dabei gibt.

"Wiener Zeitung": Was muss man bei Krisenkommunikation beachten?

Elisabeth Pechmann: Grundsätzlich gilt sowohl für Unternehmen als auch Parteien, dass man sich auf Krisen vorbereitet haben sollte, bevor sie am Horizont sichtbar sind. Im Akutfall gilt es dann, die Situation zu analysieren. Das spielt sich auf Skalen mit zwei Extremen am jeweiligen Ende ab: beim Einräumen der Verantwortung zwischen "Wir sind völlig unschuldig zum Handkuss gekommen" bis hin zu "Wir haben einen riesigen Fehler gemacht" ab. Bei der Resonanz in der Öffentlichkeit von "Das kümmert ohnehin keinen" bis hin zu "Das wird überall aufpoppen" denken; bei der Dauer der Krise "Das ist übermorgen schon egal" bis hin zu "Das wird sehr lange Thema bleiben"; beim Zeitpunkt der Krise "Muss ich sofort reagieren" über "Kann ich den Zeitpunkt verlagern" bis hin zu "Kann man sie aussitzen"; bei der Glaubwürdigkeit der Kommunikation von "Wir haben gute Beziehungen zu unseren Stakeholdern" bis hin zu "Uns glaubt eh schon keiner was". Man entscheidet dann, welche Geschichte man wann aktiv erzählt oder ob nur reaktiv - also erst auf Anfrage – agiert. Oft übersehen, aber sehr wichtig: Wie verhalten sich die Repräsentanten meiner Organisation beim Kommunizieren? In diesem Verhalten steckt extremer Zündstoff für die Glaubwürdigkeit der zuvor konzipierten Geschichte.

Elisabeth Pechmann unterstützt Unternehmen und Organisationen bei der Kommunikation von Krisen. - © Pechmann Netzwerk
Elisabeth Pechmann unterstützt Unternehmen und Organisationen bei der Kommunikation von Krisen. - © Pechmann Netzwerk

Die ÖVP könnte also diese Punkte analysiert haben – zu welchem Schluss scheint sie gekommen zu sein?

Klar ist, dass die ÖVP die aktive Kommunikation gewählt hat, mit der Botschaft "Wir wurden gehackt" rausgegangen ist. Klar ist auch, dass man sich Endorsement, also externe Unterstützung, von außen gesucht hat, in diesem Fall IT-Experten. Das hilft dabei, die Geschichte zu untermauern. Was offenbar auch angekommen ist, dass sich das Publikum nun die Frage stellt: Was genau ist denn die Krise? Ist die Krise das veröffentlichte Material, oder dass die ÖVP gehackt wurde?

Genau das hat der ORF-Redakteur ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer gefragt: Ob es das Problem sei, dass die ÖVP gehackt wurde oder dass nun über teure Wahlkampf-Ausgaben der ÖVP wie für Sebastian Kurz‘ Haarschnitt und einen Privatjet nach Rom gesprochen wird? Er beantwortet das nicht, sondern spricht von gerichtlichem Vorgehen gegen den "Falter", sagt, dass "Wahres mit Falschem vermischt" worden sei, und dass das auch Ziel des Hackerangriffs gewesen sei. Warum das?

Klagen können beim Zeitpunkt von Krisen eine große Rolle spielen. Man kann damit versuchen, Unklarheit zu prolongieren und Fakten auf der Zeitleiste auf einen günstigeren Zeitpunkt zu verschieben: Da gibt es die Ankündigung einer Klage, dann wird sie vielleicht oder auch nicht eingebracht, dann wird sie – oft erst nach sehr langer Zeit - ausjudiziert. Sehr allgemein gesagt, kann mir eine Klage dabei helfen, über einen kritischen Zeitpunkt zu kommen.

Der kritische Zeitpunkt wäre in diesem Fall die Wahl?

Könnte man sagen. Übrigens braucht auch Datenforensik Zeit bis sie Ergebnisse liefert - Zeit, die man für Krisenkommunikation nutzen kann.

Nehammer nutzt diese offenbar nicht, um zu sagen, was wahr und was falsch ist. Er stellt in den Raum, dass Leute, die "Daten stehlen, sie auch manipulieren könnten". Warum sagt er nicht einfach: Diese Daten wurden manipuliert, diese sind wahr, diese sind falsch?

Versuchen wir es mit einer Analogie. Ein Autohersteller entdeckt einen Mangel an einem Fahrzeug, das sagt er aber nicht, sondern: Wir müssen erst prüfen, ob wir Opfer einer Sabotage oder eines Fehlers beim Zulieferer wurden. Welches Bild entsteht da in den Köpfen?

Ja, welches?

Es kann der Eindruck entstehen, der Arme ist möglicherweise unschuldig zum Handkuss gekommen. Außerdem wird das Festzurren der Fakten, und wer die Verantwortung dafür hat, hinausgeschoben.

Haben Wählerinnen und Wähler nicht das Recht zu erfahren, was Sache ist?

Krisenkommunikation hat ja das Interesse, das Wohlergehen der eigenen Organisation oder des eigenen Unternehmens zu wahren. Jene, die sie adressiert - Medien genauso wie jeder Einzelne, der wählen geht - haben aber auch ein Interesse: und zwar jenes an der Wahrheit. Dabei haben sowohl Medien als auch Wählerinnen und Wähler eine Pflicht: und zwar das, was kommuniziert wird, zu hinterfragen.

Genau das aber macht die ÖVP Medien und Wählerinnen schwer. Sie hat kritische Fragen mancher Medien nicht einmal zugelassen.

Das kann Teil der Strategie der Krisenkommunikation sein, oder aber auch, dass man die Information noch nicht hat, das kann man nicht von außen beurteilen. Von außen kann man nur versuchen, möglichst klug nachzufragen – als Medium genauso wie als jene, die wählen.

Ist das der Zündstoff im Verhalten der ÖVP-Politik?

Was sich in der Krisenkommunikation jedenfalls nicht gut auf die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen auswirkt, ist, wenn ich mich zwar für die aktive Variante entscheide und offene Darstellung signalisiere, dann aber, wie beim Report-Interview, ausdrücklich nur drei Fragen zulasse oder einer Journalistin den Zugang zum Pressegespräch verwehre. Das wirkt widersprüchlich.

Der Presseclub Concordia hat die Versuche der ÖVP, kritischen Fragen zu entgehen, nicht nur als Problem der Glaubwürdigkeit, sondern als "demokratiepolitisch bedenklich" bewertet. Nehammer sagte nun aber, dass das Hacking "nicht nur ein Angriff auf die ÖVP, sondern in Wahrheit auch auf die Demokratie" sei. Was ist es nun?

Genau diese Frage muss jeder für sich beantworten: Ist es legitim, Medien auszuschließen oder muss es ihnen möglich sein, umfassend zu informieren? In einer Demokratie, denke ich, kann möglichst viel Information nicht schaden - jedenfalls nicht der Demokratie.

Müssen Parteien, die sich dem urdemokratischsten Prozess - Wahlen - stellen, nicht auch kritische Fragen wahrheitsgemäß beantworten?

Wünschenswert wäre es, aber als Wählerinnen und Wähler muss man sich darauf einstellen, dass das in der Praxis, und zwar weltweit, bei Parteien aller Couleurs, nicht so ist, weil es um Vermarktung und optimale Selbstdarstellung geht – und da ist die Grenze zwischen beschönigender Darstellung und Wahrheitsbeugung leider sehr oft fließend.