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Der unauflösbare Widerspruch in der Verkehrspolitik

Von Simon Rosner

Politik

Die Menschen wollen mobil sein. Am besten per Auto. Aber die meisten stören sich auch an zu viel Verkehr.


Es gibt wenige politische Themen, die so widersprüchlich verhandelt werden wie Verkehrsthemen. Das hat aber weniger mit wankelmütigen Politikern zu tun als mit gegensätzlichen Bedürfnissen der Bevölkerung. Das allein wäre noch kein Problem, denn das ist bei vielen Themen der Fall. Die Besonderheit bei Verkehrsfragen: Diese divergierenden Bedürfnisse finden sich oft bei ein und denselben Personen.

Und es ist ja auch verständlich. Wer möchte nicht möglichst schnell, bequem und zeitlich flexibel von A nach B gelangen? Und dass stets das komplette Warensortiment im Supermarkt vorrätig ist? Und dass der eigene Arbeitgeber seinen Umsatz durch Exporte steigert? Auf der anderen Seite: Wer möchte nicht auch in Ruhelage wohnen, von keinem Straßenlärm im Garten gestört, von keinem ratternden Lkw-Motor im Gastgarten genervt werden und nicht ewig an einer Ampel warten, weil sich gerade die Autoschlange durch den Ort wälzt?

Es sind meist Landes- und Kommunalpolitiker, die sich mit diesen Fragen und Widersprüchen beschäftigen müssen, etwa beim Transitproblem im Inntal und Teilen Salzburgs. Oder bei von manchen ersehnten, aber von anderen gleichzeitig bekämpften Straßenprojekten. Oder bei Ortsumfahrungen in Gemeinden, Stau- und Luftproblemen in den Städten. Es ist eine der Kernaufgaben der Politik, unterschiedliche Bedürfnisse der Menschen zu moderieren und Kompromisse zu finden. Das ist jedoch schwierig, wenn die Menschen selbst ambivalent sind.

Kfz-Bestand wächstJahr für Jahr

Auch wenn die Bundespolitik bei vielen verkehrspolitischen Fragestellungen keine Kompetenzen hat, ist das Thema auch in diesem Wahlkampf von großer Relevanz. Vor allem deshalb, weil der Kampf gegen den Klimawandel im Zentrum der Auseinandersetzung steht und der Verkehr dabei eine sehr gewichtige Rolle spielt. Schließlich ist ein wesentlicher Teil der Emissionen auf den Verkehr zurückzuführen.

Dass der zunehmende Autoverkehr ein fundamentales Problem darstellt, ist unter den Parteien jedenfalls unstrittig. Es gab kein Jahr, und wirklich kein einziges, in dem der Zuwachs bei Pkw kleiner war als das Bevölkerungswachstum. (Es gab nur ein Jahr mit einer statistischen Bereinigung). Mittlerweile ist man bei fünf Millionen Pkw angelangt, dazu kommen einspurige Kraftfahrzeuge, die dazu seit Jahren im Trend liegen. Seit dem Jahr 2005 ist deren Zahl um 33 Prozent gestiegen.

"Die Folgekosten und externalisierten Kosten sind enorm", sagt Harald Frey vom Institut für Verkehrswissenschaften von der TU Wien. Das nach wie vor wachsende Straßennetz verschlingt Bodenressourcen, zudem führen die Lärmemissionen zu hohen Kosten für Schutzwände und schalldämpfende Fenster bei Anrainern, die teilweise die öffentliche Hand zu tragen hat. Bei der Asfinag sind in den vergangenen vier Jahren jährlich zwischen 15 und 35 Millionen Euro für Lärmschutzmaßnahmen ausgegeben worden. Dass die Kosten zuletzt stiegen, ist laut Asfinag auf die Realisierung großer Projekte zurückzuführen, beispielsweise die Einhausung der Autobahn bei Zederhaus in Salzburg an der A10. "Aber das ist nur Symptombekämpfung", sagt Frey.

Dazu kommen noch Kosten für das Gesundheitssystem. Und diese gehen in die Milliarden. Der Lärm und seine Folgen schlagen auch hier zu Buche, aber natürlich auch Kosten für Unfälle und Erkrankungen (Abgase). Das sind die indirekten externen Kosten von Treibhausgasemissionen, es gibt jedoch auch direkte Kosten, sollte Österreich Strafzahlungen leisten müssen infolge eines Nichterreichens der eigenen Klimaziele.

Alles zusammen ist das ein hoher Preis für das Mehr an Bequemlichkeit, das der individuelle Personenverkehr bietet. Klar ist aber auch, dass es ohne Auto nicht mehr geht. In der Großstadt vielleicht schon, im ländlichen Raum aber häufig nicht mehr. Wobei genau das, wie Harald Frey anmerkt, eben nicht naturgegeben ist. "Das Auto hat seine eigenen Strukturen geschaffen." Es lässt sich zeigen, dass dort, wo neuere, bessere Straßen gebaut werden, die Zahl der Autos und Motorräder stärker steigt.

Günther Leichtfried gehört zu jenen, deren politische Karriere stark von der Verkehrsthematik geprägt war. Leichtfried, ein Sozialdemokrat, war ab Anfang der 1990er in der Kommunalpolitik in Wieselburg tätig und von 1997 bis heuer Bürgermeister. In seine Amtszeit fiel eine jahrelange Diskussion, Planung, Beschluss und schließlich Baubeginn einer Ortsumfahrung.

Leichtfried ist sich bewusst, dass die neue Straße, vorbei am Ortszentrum mit vier Ampelanlagen, die Nutzung der Erlauftal Straße (B25) attraktivieren wird. Andererseits: Was war die Alternative? Schon Mitte der 90er ist der Wunsch der Einwohner nach einer Entlastung entstanden, obwohl der Verkehr damals noch geringer war. Die Zahl der Autos, Motorräder und Lkw lag in Österreich zu jener Zeit bei 4,4 Millionen. Heute sind es um fast 2 Millionen Kfz mehr.

"Der Wohlstand ist gestiegen und der Verkehr ist immer mehr geworden", sagt Leichtfried. "So richtig ist die Belastung um die Jahrtausendwende spürbar geworden." Auch das ortsansässige Unternehmen ZKW, ein Hersteller von Lichtsystemen für diverse Kraftfahrzeuge, ist bedeutend gewachsen. Der im Vorjahr vom südkoreanischen LG-Konzern erworbene Betrieb beschäftigt heute 3200 Personen, das entspricht fast der Einwohnerzahl Wieselburgs. Logisch, dass auch der Pendlerverkehr in der Stadt sehr intensiv geworden ist.

Dazu kommen noch schwere Holztransporte aus dem gesamten Bezirk Scheibbs, die durch die Stadt in Richtung Westautobahn brummen. Und da kann es dann schon passieren, dass man im Schanigarten des Cafés an der Hauptstraße in Wieselburg die Stimme um ein paar Dutzend Dezibel heben muss, um gehört zu werden. Andererseits: Es ist auch dieser Verkehr, der der regionalen Wirtschaft dient.

Das sind eben die zwei Seiten des hohen Verkehrsaufkommens: Wieselburg hat nach wie vor eine funktionierende Infrastruktur an Handels- und Gastronomiebetrieben. Es gibt mehrere Cafés samt Eissalon im Sommer, Restaurants, Drogerien, Kleidungsgeschäfte, einen Elektrofachhändler, diverse Dienstleister und sogar ein zentrales Einkaufszentrum mitten im Ort. Etliche Gemeinden, gerade in Niederösterreich, mussten die bittere Erfahrung machen, dass sich diese Infrastruktur nach dem Bau einer Ortsumfahrung nicht mehr halten kann. "Wir haben da schon viel Hirnschmalz hineingesteckt", sagt Leichtfried, der vor einigen Monaten seinen Ruhestand angetreten und den Bürgermeistersessel an Nachfolger Josef Leitner übergeben hat.

Lange Verfahren,heftig umstritten

Gemeinsam mit umliegenden Gemeinden wurden ein Raumkonzept und eine Mobilitätsstrategie erarbeitet. Sie räumt Radfahrern und Fußgängern Vorrang ein. Das heißt, auch wenn es künftig weniger Autos in Wieselburgs Ortszentrum gibt, soll es dennoch nicht weniger Kunden bedeuten und dem Ortskern schaden. Die Kunden sollen aber öfter mit dem Fahrrad kommen.

Die Umfahrung in Wieselburg war auch ein langer Kampf, und zwar bis zum höchsten Verwaltungsgericht. Das ist nicht unüblich bei derartigen Projekten. Denn wo immer eine Straße geplant wird, gibt es eben auch deren Gegner und es formierten sich Bürgerinitiativen. Das gesamte Verfahren dauerte viele Jahre, erst 2017, fast 20 Jahre nach den ersten Studien, wurde mit dem Bau begonnen. "Ich komme ja eigentlich von der Umweltseite, mir ist das auch nicht leicht gefallen", sagt der Altbürgermeister. Aber es ging einfach nicht mehr. "Es ist eben Aufgabe der Politik, Mittel und Wege zu finden, um es halbwegs richtig zu machen", sagt Leichtfried.

Selbst die FPÖ, die sich wohl am stärksten für die Interessen der Autofahrer einsetzt und in ihr Wahlprogramm geschrieben hat, dass es "eine tendenziöse Bevorzugung anderer Verkehrsteilnehmer wie beispielsweise Radfahrer mit der FPÖ" nicht geben werde, tut sich in der politischen Ebene schwer, diese Linie auch konsequent zu halten. Der Linzer Vizebürgermeister Markus Hein (FPÖ) stellte erst jüngst klar, dass "viele Radabstellanlagen zulasten von Parkplätzen" kommen werden. Auch Linz muss eben die Zahl der Autos in der Innenstadt reduzieren. Staus sind dort längst zum Alltag geworden und belasten Nerven und Atemwege der Linzer. Ein anderes Beispiel: In Wien wettert die FPÖ gegen den "Fluglärm-Terror", während dieselbe Partei gleichzeitig den Bau der dritten Start- und Landepiste des Flughafens Wien fordert.

Für die Grünen ist das Thema grundsätzlich ein Heimspiel. Sie wollten schon immer weniger Verkehr, weniger Autos und mehr Umwelt- und Naturschutz, mehr Ruhe. Das ist heute nicht anders. Nun wird diese Forderung langsam mehrheitstauglich. Es ist fast Konsens, dass es zu viel Individualverkehr geworden ist. Vor allem dann, wenn man selbst betroffen ist, in der eigenen Gemeinde, der Region, im Bundesland.

Natürlich, individuell mag es anders sein. Der Wiener will weiterhin schnell ins Wochenendhaus ins Mostviertel kommen, die Urlauberin rasch von München nach Italien fahren und die Pendler wollen bequem von Tür zu Tür mit dem eigenen Pkw fahren, wenn der Betrieb einen Parkplatz anbietet. Aber all das verursacht eben Verkehr und Lärm für andere. "Auf der Straße vor dem eigenen Haus wünscht sich jeder ein Fahrverbot mit Ausnahme für sich selbst und seine Freunde. Man vergisst zu leicht, dass man anderswo selbst zum Lärmerreger wird", sagt Forscher Harald Frey.

Landauf, landab entstehen Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte. In Lustenau hat aus Sorge vor zu viel Verkehr die Bevölkerung die Ansiedlung von Ikea bekämpft; in Tirol und Salzburg wurden Notwehrmaßnahmen gegen den Urlaubsverkehr getroffen; in Sachen Lobautunnel wird am Ende wohl das Höchstgericht die Entscheidung zu treffen haben.

Parteien wollenmehr Regionalbahnen

SPÖ und ÖVP tun sich nach wie vor schwer mit klaren Botschaften. Wohl auch aus der Furcht heraus, Pendler zu vergrämen, die etwa die Hälfte der Erwerbstätigen ausmachen. Allerdings fährt die Mehrheit, wie der Verkehrsclub Österreich recherchierte, unter zehn Kilometer zur Arbeit und hat zudem einen überdurchschnittlich gut qualifizierten Job. Stichwort: urbaner Speckgürtel.

SPÖ und Grüne wollen deshalb auch das Pendlerpauschale umbauen. Wer auf Öffis umsteigt, soll laut SPÖ künftig einen "Klimabonus" erhalten, also mehr bekommen. Ähnlich argumentieren die Grünen. Das Problem dabei ist, dass eine Überprüfung schwierig ist und einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand darstellt. Fakt ist aber auch: Die derzeitige Ausgestaltung fördert umweltschädliches Verhalten.

Einig sind sich sämtliche Parteien darin, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Das gaben die Parteien in einer Umfrage der Plattform "Verkehrswende NÖ" an. FPÖ, Grüne, SPÖ und Neos wünschen sich sogar explizit einen Ausbau der Regionalbahnen, die ÖVP ist vorsichtiger. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker erwähnt in der Anfrage der Plattform die "Schließung und Auflassung von 26 Nebenbahnen in Niederösterreich". Die ÖBB verweisen darauf, dass im Jahr 2010 auf ein Viertel des Streckennetzes nur 3,5 Prozent der Fahrgäste entfielen. Kleine Regionalzüge sind oft leer, auch jener, mit dem man von Wieselburg in die Bezirkshauptstadt Scheibbs fahren kann.

Die Zeiten ändern sich jedoch. Was betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, muss nicht umweltpolitisch wünschenswert sein. Auch die Neos schreiben in ihrer Antwort von "veränderten Erfordernissen in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz".

Bei den ÖBB weist man auf interne Analysen von Bahnstrecken hin, die als Investitionsempfehlungen an das Verkehrsministerium übermittelt werden. Und wörtlich: "Für regionale Strecken, die hinsichtlich Auslastung, Fahrgast-Potenzial und Investitionskosten als nicht effizient eingeschätzt werden, gibt es keine Investitionsempfehlung für den Bund." Die Alternative zur Bahn sind aus Sicht der ÖBB Busse.

Am Prinzip, den Menschen auch im ländlichen Raum öffentlichen Verkehr zur Verfügung zu stellen, halten zumindest rhetorisch alle Parteien fest. Dafür werden naturgemäß hohe Investitionen nötig sein, eine "Nahverkehrsmilliarde", die die vergangene Regierung beschließen wollte, kam nicht mehr. Doch Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer erklärte im Juli ohnehin bereits, dass diese Milliarde nicht ausreichen werde - "das sage ich ganz offen", so Mahrer.

Das Verkehrsthema ist auch hinsichtlich des Bodenverbrauchs in Österreich relevant. Er ist extrem hoch, die türkis-blaue Regierung wollte deshalb auch einen "Masterplan gegen Bodenversiegelung" entwerfen. Auch der kam nicht. Ein solcher Masterplan impliziert eine neue Mobilitätsstrategie und damit eine neue Raumordnung.

Denn neue Straßen haben bisher immer noch zu neuen Kreisverkehren, zu neuen Einkaufszentren geführt, die dann ohne Auto nicht erreichbar sind. Die Folge: Geschäfte im Zentrum schließen, womit es ohne Auto dann gar nicht mehr geht. "Je größer die Autoabhängigkeit ist, desto schwieriger werden neue Wege", sagt Wissenschafter Frey.

In der Raumordnung liegt ein wichtiger Schlüssel zur Problemlösung beim Thema Verkehr. Auch darin sind sich alle Parteien einig. Raumordnung ist allerdings Ländersache. "Eine verkehrssparende Raumordnung soll über den Finanzausgleich erreicht werden", heißt es bei den Grünen. Der Finanzausgleich, also die Aufteilung der Steuermittel, wird immerhin zwischen den Gebietskörperschaften verhandelt. Da hätte die Bundespolitik also in gewisser Weise Zugriff. Allerdings: Wer um die Komplexität des Finanzausgleichs Bescheid weiß, kann den Vorschlag kaum ernst nehmen.