Die Positionen für die Nationalratswahl dürften bezogen sein, Meinungsforscher und Experten sehen wenig Bewegung in der Wählergunst. OGM-Chef Wolfgang Bachmayer ortet eine "stabile Wetterlage". Daran dürften auch die Debatten um Parteispenden, Wahlkampffinanzierung und Hacker-Vorwürfe wenig ändern, ist sich Bachmayer mit Meinungsforscher Peter Hajek und dem Politologen Peter Filzmaier einig.
Die ÖVP liegt laut den veröffentlichten Umfragen nach wie vor klar auf dem ersten Platz. Den in den Erhebungen seit Mai ablesbaren leichten Abwärtstrend der Volkspartei (von 36 bis 38 Prozent auf zuletzt 33 bis 35 Prozent) ordnete Filzmaier im APA-Gespräch in den Bereich von "Luxusproblemen" ein. Hier sieht der Experte eher das hohe Erwartungsspiel als ÖVP-interne Gefahr. Grund für den leichten Umfragen-Rückgang dürfte laut Hajek sein, dass die ÖVP angesichts des Parteienfinanzierungs-Themas ein wenig in die Defensive gedrängt wurde. Damit habe die Partei ihre eigenen Themen nicht wie geplant setzen können.
Die Ausgangslage für den Tag nach der Wahl sei aber im Wesentlichen gleich geblieben. Denn die möglichen Koalitionsvarianten hätten sich nicht entschieden verändert, sagte Filzmaier. Sowohl Türkis-Blau wie auch Türkis-Rot gehe sich sicher aus. Auch bei den anderen Varianten (etwa Türkis-Grün oder eine Koalition aus ÖVP, Grünen und NEOS) sieht der Politologe keine Veränderungen der Gesamtlage: Denn diese Koalitionen hätten ja auch schon in den Umfragen im Mai nur eine knappe (oder keine) Mehrheit aufgewiesen.
Bachmayer sprach gar vom "langweiligsten Wahlkampf, den ich je erlebt habe". Es gebe kein Kanzlerduell und die Positionen seien bezogen. Einziges Fragezeichen sei die Wahlbeteiligung, bei der der OGM-Chef einen merkbaren Rückgang erwartet. Die Frage sei, ob die Beteiligung bei allen Parteien gleich stark sinkt. Wenn nicht, dann könnten sich noch Verschiebungen ergeben. Mögliche Mobilisierungsprobleme macht Bachmayer bei den Grünen aus, falls sich die Wähler des Grünen Erfolges allzu sicher sein sollten. Ähnliches gelte für die NEOS. Aber auch bei der ÖVP könnten einige Wähler angesichts des sicheren ersten Platzes einen "Seitensprung" wagen, meinte er. Wenig Chancen räumen die Experten JETZT ein, auch wenn Pilz sich als erfahrener Wahlkämpfer präsentiert habe, wie Hajek und Filzmaier konstatierten.
Die SPÖ dürfte laut Hajek und Bachmayer die Umfragen-Talsohle bereits durchschritten haben. Zuletzt habe sich bei der Sozialdemokratie ein leichter Aufwärtstrend abgezeichnet, so die Experten. Filzmaier wies aber erneut auf die "strategische Perspektivenlosigkeit" der SPÖ hin: "Wenn sie (eine derzeit auch rechnerisch nicht mögliche) Koalition mit Blau nur laut anzudenken beginnt, bringt sie sich selbst in die offene Spaltung." Daher hätten die Sozialdemokraten nur eine Zusammenarbeit mit Türkis als mögliche Variante. Daraus erkläre sich auch, dass SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zuletzt die Möglichkeit einer Türkis-Roten Koalition nicht mehr ausgeschlossen hatte.
Freilich sei die SPÖ abhängig davon, ob Kurz eine solche Koalition will, betonte Filzmaier. Abgesehen von den thematischen Schwierigkeiten sei der ÖVP-Chef in einer Zeit politisch sozialisiert worden, in der SPÖ-ÖVP-Koalitionen nicht mehr wirklich funktioniert hätten. Bachmayer verwies auch auf die letzte Zweier-Konfrontation zwischen Rendi-Wagner und Kurz im ORF: Dabei habe sich gezeigt, dass eine Koalition "ziemlich unwahrscheinlich" sei. Rendi-Wagner habe bei diesem Aufeinandertreffen die "Muskeln spielen" lassen, auch um der eigenen Anhängerschaft Stärke zu signalisieren, meinte Bachmayer. Gleichzeitig betonte er, dass er Türkis-Rot "überhaupt nicht vom Tisch" sehe - "aber nicht mit diesen Personen an der Spitze".
Inhaltlich sei aber ohnehin klar, dass zwischen ÖVP und FPÖ die größten Gemeinsamkeiten bestehen, so Filzmaier: Bei einer türkis-blauen Variante bestünden 80 Prozent Übereinstimmung, wie der Experte mit Verweis auf das Wahl-Entscheidungstool wahlkabine.at sagte. "Das ist ein Vielfaches mehr als bei allen anderen Varianten. Mit den Grünen gibt es nur 20 Prozent Überschneidung."
Für Filzmaier bleibt also nur die "einzige Gretchenfrage": "Sieht die ÖVP, sieht Sebastian Kurz, die FPÖ als regierungsfähig an?" Inhaltlich wäre eine Neuauflage der gescheiterten Koalition "keine Diskussion", gab er sich überzeugt. Man könne nach der Wahl die Geschichte "Wir gehen den begonnen Weg weiter" spielen; diese sei "leicht erzählbar". Das Problem für die ÖVP sei, ob dieser Weg mit FPÖ-"Einzelfällen" belastet ist.
Bei den FPÖ-Wählern ortete Bachmayer zunehmend den Wunsch, erneut in die Regierung zu wollen, dies lasse sich auch aus den Umfragen ablesen. Wichtig werde für die FPÖ sein, einen "2er" vor dem Wahlergebnis stehen zu haben. "Das bewirkt Stabilität und damit auch mittelfristige Berechenbarkeit als Koalitionspartner." Sollte die FPÖ aber schlechter als erwartet abschneiden, wäre sie möglicherweise für die ÖVP als potenzieller Koalitionspartner "weniger berechenbar" und damit unattraktiver. Denn: "Einen weiteren Koalitionsbruch kann sich Kurz trotz seiner Erfolge nicht leisten", so Bachmayer.
Wenig Auswirkungen hatten laut den Experten die Debatten rund um Parteispenden oder Wahlkampfkosten. "Die Mehrheitsmeinung ist klar, beim Geld richten es sich die Parteien alle, wie sie es brauchen", sagte Filzmaier. Dies treffe die größeren Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ gleich. "Es wäre unlogisch, wenn die Stimmenverschiebung groß wäre." Wenn, dann könnten wohl die kleineren Parteien profitieren. NEOS habe aber die "offene Flanke" ihres Finanziers Hans Peter Haselsteiner. Und die Grünen hätten im Finish mit den Korruptionsvorwürfen rund um ihren ehemaligen Wiener Planungsstadtrat Christoph Chorherr ebenfalls ein Problem in diesem Bereich.
Auch Bachmayer sieht kaum Effekte durch diese Thematiken. "Es bleibt auf jedem ein bisschen Dreck hängen und die Menschen lassen sich dadurch in ihrem Wahlverhalten kaum beeinflussen."