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"Die Enttäuschungsgefahr ist groß"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Laut dem Protestforscher Dieter Rucht wird Fridays for Future keine generationenübergreifende Massenbewegung werden. Neben dem Widerstand von außen drohen auch interne Spannungen.


Mehrere Millionen Menschen weltweit sind am Freitag dem Aufruf von Fridays for Future gefolgt und haben im Rahmen des Earth Strike für mehr Klimaschutz demonstriert. Allein in Wien gingen mehr als 30.000 vorwiegend junge Menschen auf die Straßen. Im Interview spricht der Protestforscher Dieter Rucht über das Potenzial von Fridays for Future, aber auch über die großen Herausforderungen.

"Wiener Zeitung":Vor eineinhalb Jahren ist Greta Thunberg noch allein mit ihrem "Schul-Streik fürs Klima"-Schild vor dem Parlament in Stockholm gesessen. Heute mobilisieren die von ihr initiierten Fridays-for-Future-Proteste Millionen junge Menschen. Woher kommt diese unglaubliche Anziehungskraft dieser Bewegung?Dieter Rucht: Das ist ein Bündel von Faktoren. Da ist diese ungewöhnliche Person Greta Thunberg mit ihre Mischung aus Kindlichkeit, aber auch Entschlossenheit. Dann ist da die Dringlichkeit der Klimafrage, die ja nicht nur vor den Aktivisten, sondern auch schon seit Jahrzehnten von Wissenschaftern hervorgehoben wird. Die Aktionen von Fridays for Future sind zudem von Freundlichkeit und Friedfertigkeit geprägt und verbleiben thematisch ganz im Feld des Klimaschutzes. Viele andere Bewegungen sind ja ausgeufert, indem immer mehr Themen ins Portfolio gepackt wurden. Und nicht zuletzt profitiert Fridays for Future von der Attraktivität, die von der Jugendlichkeit der Demonstrierenden ausgeht, und der Vorstellung, hier sind junge Leute mit hohen moralischen Ansprüchen zugange, die sich Sorgen um die Zukunft machen.

Jahrelang war von einer Jugend die Rede, die oft apolitisch ist und sich vor allem für das unmittelbar persönliche Lebensumfeld interessiert. Wie passt das mit Fridays for Future zusammen?

Die Wahrnehmung ist immer wieder zwischen einer politisierten Jugend oder einer unpolitisierten Jugend geschwankt. Beides war meiner Meinung nach eine mediale Übertreibung. Zwar hat es ausgelöst durch Konflikte und Demonstrationen Schwankungen gegeben, aber im Zeitverlauf sind das Engagement von Jugendlichen für Politik und das politische Interesse relativ stabil. Und es ist immer schon so gewesen - auch bei den Studentenrevolten in den 60ern -, dass nur eine Minderheit aktiv war. Das gilt auch heute. Selbst wenn bei Fridays for Future nun eindrucksvolle Zahlen registriert werden, dann ist gemessen an der gesamten Schülerschaft doch nur ein kleiner Teil mit dabei. Die Berufsschüler sind komplett abwesend, die Hauptschüler sind ebenfalls sehr schwach vertreten. Auch die Studierenden beteiligen sich nicht in großer Zahl.

Was ist die Ursache für die Zurückhaltung der Studierenden?

Das liegt zum einem wohl an den Anfangsimpulsen. Greta Thunberg hat ja zunächst vor allem ihre eigene Peer-Group, also die Gleichaltrigen, angesprochen. Es liegt aber vielleicht auch an der Desillusionierung der Studentenschaft, die in Abständen von drei bis fünf Jahren ja immer aktiv geworden ist, doch diese Proteste haben wenig Substanzielles erbracht. Damit verbinden sich Frustrationserfahrungen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Möglicherweise haben die Studierenden auch einen kühleren und resignierteren Blick auf die Möglichkeit von Politik. Gerade auch weil sie schon mehr über den politischen Betrieb wissen, während die sehr Jungen hier noch unverbraucht sind und auch mit hochfliegenden Erwartungen daran gehen. Bei dieser Gruppe ist aber natürlich auch die Fallhöhe und die Enttäuschungsgefahr groß.

Derzeit ist Fridays for Future eine Jugendbewegung. Werden noch andere dazustoßen?

Fridays for Future hat sich ja schon explizit geöffnet und die älteren Generationen eingeladen. Da mag es noch einen gewissen Zustrom geben, aber dass wir am Anfang einer Bewegung stehen, die die große Mehrheit aktiviert, sehe ich nicht. Es gibt inzwischen auch Gegenmobilisierungen, es gibt Gruppierungen von Autofreunden und natürlich auch die Gewerkschaften, die die Sorge haben, dass man beim Klimaschutz zu schnell vorangeht und damit Arbeitsplätze gefährdet. Und es gibt Lobbygruppen aus Industrie und Landwirtschaft, die hinter den Kulissen auf die Bremse treten.

Welche Rolle spielen Soziale Medien bei Fridays for Future? Sind Facebook, Instagram und WhatsApp-Gruppen nicht auch ein Ort, an dem sich die eigenen Überzeugungen enorm stärken und bestätigen lassen? In den entsprechenden Gruppen sind ja in puncto Klimaschutz alle mehr oder weniger derselben Meinung wie man selbst.

Viele meiner Kollegen sind der Überzeugung, dass diese Mobilisierung ohne die Sozialen Medien nicht möglich gewesen wäre. Ich bin da sehr zurückhaltend. Zum einen, weil auch schon in der Vergangenheit Millionen von Menschen für bestimmte Anliegen mobilisiert wurden. Aber auch deshalb, weil ich glaube, dass die Motivationsarbeit vor allem im Kreis der Gleichgesinnten, der Schulen und der Familien läuft. Dort werden die Dinge besprochen, die man in den Medien aufgreift, dort wird bewertet und abgewogen. Und dann, wenn der Boden schon bereitet ist, die Leute also schon sensibilisiert und motiviert sind, greifen die Vorteile der netzbasierten Kommunikation, nämlich dass sich Informationen rasch verbreiten lassen und dass man sich schnell koordinieren kann, um Demonstrationen abzusprechen.

Wie wirkmächtig ist Fridays for Future realpolitisch?

Bisher haben wir eine enorme Fähigkeit verzeichnet, das Thema zu setzen und es auch in den Medien zu halten. Und von politischer Seite ist auch schon bekundet worden, dass der Einfluss von Fridays for Futures erheblich ist. So hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gesagt, dass es gut und richtig ist, was hier gemacht wird und dass das die politische Entscheidungsfindung beschleunigt. Bisher ist allerdings substanziell wenig passiert. Die Entscheidungen des deutschen Klimakabinetts sind etwa weit hinter den Erwartungen geblieben. Vielleicht ist das aber auch noch ein weiterer Impuls, um den Druck aufrechtzuerhalten.

Kann diese massive Präsenz, die Fridays for Future im Augenblick in den Medien hat, nicht auch zu einem gegenteiligen Effekt führen? Etwa zu einer Übersättigung, die dann bei vielen auch in Ablehnung umschlägt.

Ich glaube, es gibt zwei Reaktionen, die dadurch mitausgelöst werden können. Die eine ist eine gewisse Ermüdung oder schlicht Langeweile. Die andere ist die, dass die Kritik zunimmt und dabei auf einzelne Aspekte von Fridays for Future zielt. Da gibt es natürlich einige Ansatzpunkte. Und wenn man ohnehin eine skeptische Grundhaltung hat, kann man diese Punkte auch aufblasen. So kann man etwa den Auftritt von Greta Thunberg vor der UNO als nicht authentisch, sondern inszeniert und ein bisschen theatralisch kritisieren. Genauso gut könnte man aber auch fragen, wer eigentlich die Entscheidung in der Bewegung trifft und auf Basis welcher Legitimation das passiert. Oder wie sich Fridays for Future finanziert? Wenn man sucht, dann findet man auch Schwachpunkte.

Vor einigen Jahren hat es ja mit Occupy Wall Street eine ähnlich gelagerte große Protestbewegung gegeben. Damals protestierten die Menschen gegen die Macht des Finanzkapitalismus. Occupy Wall Street ist aber komplett von der Bildfläche verschwunden. Könnte auch Fridays for Future ein ähnliches Schicksal drohen?

Occupy hat sich mit der Besetzung öffentlicher Plätze auf eine Aktionsform konzentriert, die nur hochmotivierte Aktivisten mit großer zeitlicher Flexibilität durchhalten. Jemand, der eine Familie zu Hause hat oder jeden Tag ins Büro muss, kann da nicht einfach mitmachen. Occupy hat auch keine Strukturen entwickelt und hat das auch dezidiert abgelehnt. Organisationen, die Unterstützung anboten, wie die Gewerkschaften oder die Globalisierungskritiker von Attac, wurden alle als zu hierarchisch abgelehnt. Bei Fridays for Future sehe ich dagegen wenig, was auf einen absehbaren Niedergang hindeutet. Allerdings glaube ich auch, dass die Bewegung vielleicht jetzt schon ihren Höhepunkt erreicht hat.

Woran könnte Fridays for Future noch scheitern?

Es gibt eine Reihe von Herausforderungen, die das Leben für Fridays for Future schwieriger machen. Dazu gehört, dass sich das hohe mediale Interesse - und es ist ja nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch ein gewisses Wohlwollen - nicht halten wird. Das wird zu einer Demobilisierung führen. Und es wird wohl zu Differenzen und Spannungen in der Bewegung kommen, weil bestimmte Fragen geklärt werden müssen. Etwa jene, ob man zu zivilem Ungehorsam übergehen soll oder sich davon abgrenzt. Und falls man sich für zivilen Ungehorsam entscheidet, muss geklärt werden, was das konkret heißt. Es gibt ja Aktionen, die gut gemeint sind, aber abschreckend wirken können. Etwa wenn durch Straßenbesetzungen tausende Menschen im Stau stecken und da auch jemand darunter ist, der ins Spital muss. Das erzeugt nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen enorme Verärgerung, sondern führt auch zu Unverständnis bei jenen, die Fridays for Future zunächst sympathisierend oder indifferent betrachtet haben.